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Gutachter: Rohre im Atomkraftwerk GKN II stellen akute Gefahr dar

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Neue Stellungnahme im Auftrag der Anti-Atom-Initiative Ausgestrahlt warnt, dass die besondere Art der Korrosion plötzlichen Rohrbruch zur Folge haben könnte. Ministerium verweist auf bisherige Untersuchungen.

Mit einem neuen Gutachten warnt die Bürgerinitiative Ausgestrahlt vor einem Weiterbetrieb des Atomkraftwerks GKN II in Neckarwestheim. Es gehe eine "akute Atom-Gefahr" von der Anlage aus. Das Umweltministerium in Stuttgart möchte auf Anfrage unserer Zeitung keine Stellung dazu nehmen, da das Gutachten, das dem SWR offenbar schon vor mehr als einer Woche vorlag, dem Ministerium nicht zur Verfügung gestellt wurde. Der Sender hatte am Mittwochabend dazu berichtet.

"Interkristalline Spannungskorrosion" besonders gefährlich

Seit Jahren ist bekannt, dass zahlreiche Dampferzeugerheizrohre des Blocks 2 schadhaft sind. Hunderte zeigten Korrosion und Rissbildung, in Einzelfällen betrugen die verbliebenen Wandstärken der Rohre nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Dicke.

Besonders kritisch sieht der neue Gutachter - wie bereits andere von den Atomkraftkritikern beauftragte Gutachter vor ihm - in diesem Zusammenhang die sogenannte interkristalline Spannungskorrosion. Mit dieser Art der Korrosion könne ein Rohr kreisrund reißen - und nicht nur in Längsrichtung, wovon die Atomaufsicht und der Betreiber bisher ausgehen, kommentiert Franz Wagner vom Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN).

Was also, wenn das Rohr sofort bricht?

Damit sei auch das sogenannte Leck-vor-Bruch-Konzept infrage gestellt. Danach erwartet der Betreiber EnBW, dass sich im schlimmsten Fall ein drohender Bruch eines Heizrohrs durch ein Leck ankündigen würde und die Anlage dann sicher heruntergefahren werden kann.

Mit einem Rohrbruch würde hochradioaktives Wasser aus dem Primärkreislauf in größeren Mengen in den Sekundärkreislauf gelangen.

Das Gutachten erstellt hat der ehemalige Leiter der Abteilung "Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen" im Bundesumweltministerium, Dieter Majer. Der Ingenieur befindet sich seit 2011 im Ruhestand und hat für die Bürgerinitiative Ausgestrahlt seit 2013 mehrere Gutachten erstellt, unter anderem zu den Atomkraftwerken Gundremmingen und Brokdorf.

 

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Umweltministerium will sich nicht zu einem Papier äußern, das nicht vorliegt

Das Umweltministerium in Stuttgart nimmt zu den Aussagen, die vom SWR zitiert werden, inhaltlich vorerst keine Stellung. "Da uns das Gutachten nicht vorliegt, gibt es für uns keinen neuen Sachstand", erklärte ein Sprecher auf Nachfrage. Schriftlich teilte das Ministerium mit: "Wie brisant können die angeblich neuen Informationen sein, wenn sie der Behörde, die dem Kernkraftwerk Neckarwestheim die Betriebserlaubnis entziehen könnte, vorenthalten werden?"

Gegenmaßnahmen wirken bereits

In der jüngsten Untersuchung im Jahr 2020 waren dem Ministerium zufolge noch an sieben von 16.400 Rohren "lineare Schäden" festgestellt worden. 2018 gab es 191 schadhafte Rohre, 2019 noch 101. Diese Rohre seien allesamt verschlossen worden.

Zudem seien Maßnahmen ergriffen worden, die eine weitere Schädigung von Heizrohren, also eine fortschreitende interkristalline Korrosion verhinderten. Unabhängige Experten und die Atomaufsicht seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anlage "auf der Basis des kerntechnischen Regelwerks und des Standes von Wissenschaft und Technik sicher betrieben werden kann".

Ausgestrahlt fordert sofortige Stilllegung

Die Bürgerinitiative Ausgestrahlt fordert indes, "die geltenden Sicherheitsvorschriften einzuhalten und den Riss-Reaktor Neckarwestheim umgehend stillzulegen". GKN II, das jüngste Atomkraftwerk in Deutschland, soll dem Atomgesetz zufolge bis maximal Ende 2022 Strom produzieren dürfen.

 

Die Bürgerinitiativen betonen, dass mit der aktuellen „gutachterlichen Stellungnahme“ von Dieter Majer ein weiterer anerkannter Experte genau diejenigen Schlussfolgerungen ziehe, die das Umweltministerium selbst bereits 2018 auf Grundlage der ihm damals vorliegenden Informationen hätte ziehen müssen. Majer schreibt: Kommt es zu einem spontanen Abriss von Dampferzeugerheizrohren, könne es „zu völlig unvorhersehbaren negativen Folgen bis hin zur Hochdruckkernschmelze mit großen Freisetzungen radioaktiver Stoffe kommen“.

Der Betreiber EnBW teilt auf Nachfrage unserer Zeitung mit, dass sich das im Jahr 2018 entwickelte Instandhaltungskonzept als geeignet erwiesen habe. „Es steht außer Frage, dass die Anlage GKN II stets sicher betrieben wurde und auch weiter sicher betrieben werden kann.“ Das Gutachten liege dem Unternehmen nicht vor. 

 

Kommentar: Gefahr erkannt

Seit 2018 ist bekannt, dass zahlreiche Heizrohre im GKN II in Neckarwestheim schadhaft sind und welche Art der Korrosion vorliegt. Und längst bekannt ist auch, wie man darauf reagiert hat. Dass nach fast 300 schadhaften Rohren in den Vorjahren 2020 nur noch sieben gefunden wurden, die verschlossen werden mussten, scheint zu bestätigen, dass der Betreiber diese Gefahr unter Kontrolle hat. Was kann ein Gutachter, so erfahren er auch sein mag, wirklich Neues aus Informationen ableiten, die seit mehr als zwei Jahren vorliegen?

Kurz vor dem 10. Jahrestag der Fukushima-Katastrophe wollen die Anti-Atomkraft-Initiativen nun dennoch das vorzeitige Aus für Neckarwestheim durchsetzen. Es dürfte ihnen nicht gelingen. Denn das Gutachten kann doch nur abermals zeigen, wie gefährlich die Situation 2018 war, als letztlich alle Experten von der weit fortgeschrittenen Korrosion überrascht wurden. Gäbe es den Atomausstieg nicht, dann hätte man den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken damals oder spätestens heute neu bewerten müssen. Aber es gibt den Atomausstieg. Die Gefahr korrodierender Heizrohre wurde identifiziert und alle Beteiligten müssen größtes Interesse daran haben, dass auch aus diesem Kraftwerk keine Radioaktivität austritt.

Was dennoch klar wird: Nie hätte es mit den Heizrohren so weit kommen dürfen. Wenn die Wandstärke eines Rohres an einer Stelle nur noch 0,1 Millimeter beträgt, dann ist der Betrieb eines Atomkraftwerks einfach nicht so sicher, wie oft behauptet wird. Das zu betonen ist gerechtfertigt. Weitere Überraschungen darf es nicht geben. Zum Glück naht der 31. Dezember 2022.

 

 

 

 

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Kommentare

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Christian Gleichauf am 05.03.2021 09:58 Uhr

Sehr geehrter Herr Kohler, überlassen Sie es doch den Mitarbeitern im Werk, ob sie den Artikel als Beleidigung empfinden. Wo bitte ist der Artikel einseitig? Es kommen alle Seiten zu Wort.

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Rudolf Kohler am 05.03.2021 08:12 Uhr

Es ist sicher purer Zufall, dass dieses "Gutachten" ausgerechnet kurz vor den Wahlen aufploppt. Die Fakten sind schon seit langem bekannt. Ja, dies wurde sogar bereits bei der Auslegung der Anlage berücksichtigt. Und es wurde von Seiten des Betreibers entsprechend gegengesteuert, um einen sicheren Weiterbetrieb zu ermöglichen.

Das Papier ist doch nichts anderes als ein Gefälligkeitsgutachten für eine Kampagnen- und Lobbyorganisation ("Ausgestrahlt" ist keine Bürgerinitiative) .

Ich empfinde derartige einseitige Artikel als eine Beleidigung der verantwortungsbewussten Menschen im Werk, bei den Fachfirmen, den Kontrollinstanzen und den Aufsichtsbehörden, die sicherstellen, dass wir tagaus tagein sicheren und bezahlbaren Strom erhalten.

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