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ÖPNV steht vor einer Herkulesaufgabe

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Land will will Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln. Das ist kaum zu erreichen, wenn die Kommunen und Kreise nicht mitziehen. Und dann kommen auch noch ambitionierte Klimaschutz-Ziele dazu.

Ein engerer Takt auf der Frankenbahn wird nicht reichen, um die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 zu verdoppeln. 
Foto: Archiv/Seidel
Ein engerer Takt auf der Frankenbahn wird nicht reichen, um die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 zu verdoppeln. Foto: Archiv/Seidel  Foto: Ralf Seidel

Die grün-schwarze Landesregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Öffentlichen Personennahverkehr im Land bis 2030 zu verdoppeln. Ein erster Schritt in der Region erfolgt im Schienenverkehr mit der Fahrplanumstellung am Wochenende. Doch der Busverkehr hinkt hinterher. Dazu kommt: Jeder dritte Bus soll bis dahin klimaneutral unterwegs sein. Auf kommunaler Ebene sind die Infos dazu noch kaum angekommen.

Fast nur Dieselbusse unterwegs

"Mit Elektro-Bussen die Welt retten" lautete das zugespitzte Thema eines Kongresses des Verbands Baden-Württembergischer Omnibusunternehmer (WBO) vergangene Woche auf dem Bildungscampus in Heilbronn. Dort betont WBO-Vorsitzender Klaus Sedelmeier, der Bus sei jetzt schon Klimaschützer Nummer eins. Doch EU, Bundes- und Landesregierung setzen die Betreiber unter Druck. "Mit 97,3 Prozent ist der Anteil an Dieselfahrzeugen im Busbereich immer noch sehr hoch", sagt Ministerialdirektor Uwe Lahl aus dem Verkehrsministerium in Stuttgart. Eine EU-Richtlinie gibt vor, dass bis 2030 jeder dritte Bus emissionsarm oder -frei unterwegs sein muss.

Welche Antriebstechnik künftig in erster Linie zum Zuge kommen soll, lässt sich derzeit noch nicht sagen. 56 E-Busse sind im Land bis jetzt unterwegs. Der Bund und das Land fördern Investitionen in diesem Bereich, so dass die Mehrkosten zu 95 Prozent durch die Zuschüsse abgedeckt sind. Doch ungeklärte Fragen bei Reichweite, Ladeinfrastruktur und Personalschulung lassen bei den Betreibern keine Euphorie aufkommen.

Selbst Experten sind überrascht von den Zielen

Dazu kommt: Die Ziele der EU im Bereich Klimaschutz werden überlagert von den Bemühungen von Bund und Land, dem Auto einen ÖPNV entgegenzusetzen, der einen Anreiz zum Umstieg bietet. Das Ziel, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln, ist bisher aber so zurückhaltend formuliert worden, dass selbst Fachleute auf dem Kongress von Lahls Aussagen überrascht sind. Städte und Kreise wie auch die Busunternehmen fühlen sich teilweise allein gelassen mit der Planung.

HNV-Geschäftsführer Gerhard Gross sagt: "Das Ziel ist richtig, aber sehr ambitioniert." Zehn Jahre seien zwar eine lange Zeit. "Aber bei diesen Vorlaufzeiten muss man sich jetzt schon ins Zeug legen, um dieses Ziel zu erreichen." Zudem seien Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit das A und O.

 

Fahrgäste im Nahverkehr Baden-Württemberg

Je Quartal in Millionen

150

Bus

144 Mio.

(Q2/2019)

100

109 Mio.

(Q2/2019)

Straßenbahn

50

48 Mio.

(Q2/2019)

Eisenbahn

04

05

06

07

08

09

10

11

12

13

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16

17

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HSt-Grafik, Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

Fahrgäste im Nahverkehr

Baden-Württemberg

Je Quartal in Millionen

150

Bus

144 Mio.

(Q2/2019)

100

109 Mio.

(Q2/2019)

Straßenbahn

50

48 Mio.

(Q2/2019)

Eisenbahn

04

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HSt-Grafik, Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

 

Mehr Koordination wäre wünschenswert

Auch in der Region laufen derzeit Vorbereitungen für Ausschreibungen von Busverkehren. Das sind langfristige Verträge, die auf das neue Ziel ausgerichtet werden könnten - und das möglichst koordiniert. Doch der Informationsfluss scheint hier noch nicht in Gang gekommen zu sein. Hinter vorgehaltener Hand gibt es vorsichtig formulierte Kritik, die Unsicherheit wächst. Offiziell sagt dazu allerdings niemand etwas.

Verkehrsclub: Vor allem beim Busverkehr geht noch etwas

VCD-Regionalchef Hans-Martin Sauter hofft darauf, dass mit Reaktivierungen wie der Zabergäubahn auch auf der Schiene noch Zuwächse möglich sind. "Das größere Potenzial besteht aber beim Busverkehr." Bis auf Busspuren und Vorrangschaltungen an Ampeln bräuchte die Infrastruktur dafür nicht ausgebaut werden. Bei der Bahn stoße man hier schnell an Grenzen.

Steffen Müller von den Verkehrsbetrieben in Heilbronn bestätigt die Überlegungen. Die Stadt Heilbronn arbeite daran, die Bevorrechtigung von Bussen an Ampeln umzusetzen. Mehr Busse in den Stau zu stellen, sei unsinnig. "Ansonsten gilt für uns das Mobilitätskonzept 2030", sagt Müller. Das sieht vor, dass der Anteil des ÖPNV an allen genutzten Verkehrsmitteln von zehn auf 15 Prozent steigen soll. Das konkrete Ziel der Landesregierung ist dort nicht zu finden. Dabei weiß auch Lahl: "Eine Zunahme der Attraktivität des ÖPNV geht nur, wenn alle am selben Strang ziehen."

Und auf dem Land?

Gerade im ländlichen Raum hakt es oft auf der letzten Meile. "Diese letzten Meilen gehen wir jetzt an", sagt Lahl. Rufbus- und On-Demand-Systeme nennt er als Beispiel. Zudem hat die Landesregierung die ÖPNV-Finanzierung für die Kommunen und Kreise von 200 Millionen auf 250 Millionen Euro erhöht, fördert Infrastrukturmaßnahmen und unterstützt engere Taktungen.

Ziele

Das Land hat das Ziel, die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 zu verdoppeln, erstmals im Nachhaltigkeitsbericht des Landesverkehrsministeriums festgelegt. Das war 2014. Unklar blieb, wie verbindlich dieses Ziel ist. Auch die Koalition aus Union und SPD auf Bundesebene hat im Koalitionsvertrag verabredet, die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr bis 2030 zu verdoppeln. Bahnvorstand Berthold Huber räumte gegenüber dem "Tagesspiegel" ein, dass die Herausforderungen im Nahverkehr noch größer sind als im Fernverkehr.

 

Kommentar "Mehr von allem"

Es ging zuletzt drunter und drüber beim Thema Mobilität. Diskussionen um CO2-Ausstoß, Feinstaub und Stickoxid-Emissionen waren kaum noch auseinanderzuhalten. Dazu kam der allgemeine Verkehrskollaps, während Hoffnungen keimten, mit autonomen E-Sammeltaxis könnten die Probleme bald schon mit einem Schlag gelöst werden.

Diese Euphorie hat sich gelegt. In der Region Heilbronn ist die Verkehrswende weg vom Individualverkehr hin zum ÖPNV ein langer, zäher Prozess. Umso wichtiger ist es, dass die Landesregierung ihre Ziele jetzt konsequent kommuniziert. Obwohl die Verdoppelung des ÖPNV bis 2030 schon 2014 anvisiert wurde, fehlt es an erkennbaren Leitplanken, was dazu notwendig ist.

Als die Stimme im Frühjahr zur Kommunalwahl die Heilbronner Gemeinderatskandidaten fragte, ob sie eine Verdoppelung der Ausgaben für den ÖPNV befürworten, lautete die Antwort fast durchgängig Nein. Zu absurd schien der Gedanke. Man darf gespannt sein, ob es mit deutlich weniger zu machen sein wird.

Gerade im Busverkehr hat sich in den vergangenen 15 Jahren wenig bewegt. Die Milliarden vom Bund gehen jetzt vor allem in den Bahn-Ausbau. Und Vorgaben wie die der EU, bei der Busflottenerneuerung fast nur noch Elektroantriebe anzuschaffen, stehen einem schnellen Ausbau des Angebots eher im Weg. Klar ist nur, dass es mehr von allem braucht: mehr Züge, mehr Schienen, mehr Lokführer, mehr Busse und mehr Fahrer.

 

 
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