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Kurzfristig kein weiterer Kostenlos-Test im HNV

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Die erste Aktion, kostenlose Fahrten an den Adventssamstagen im ÖPNV anzubieten, war erfolgreich: Die Zahl der Stadtbahn-Nutzer hat sich fast verdoppelt. Beim nächsten Test soll ein "Klebe-Effekt" entstehen.

Die Fridays-for-Future-Gruppe säubert den Ratssaal.
Foto: Gleichauf
Die Fridays-for-Future-Gruppe säubert den Ratssaal. Foto: Gleichauf  Foto: Gleichauf, Christian

Der Versuch, an den Adventssamstagen durch kostenlose Fahrten mehr Menschen in den ÖPNV zu bringen, hat nachweislich funktioniert. Nach Auswertung der Zahlen zeigte sich, dass vor allem in der Stadtbahn, aber auch in den Bussen in der Stadt und im Landkreis Heilbronn Zuwächse zwischen 50 und 93 Prozent beobachtet wurden. Eine schnelle Wiederholung der Aktion noch in diesem Sommer wird es dennoch nicht geben, zeigte sich jetzt im Heilbronner Gemeinderat.

Kleine Heilbronner Lösung hat Nachteile

Eine zentrale Frage für einen möglichen weiteren Test ist, ob die kostenfreie Zone auf das Gebiet der Stadt Heilbronn beschränkt bleibt oder ob sie - wie an den Adventssamstagen 2019 - für das gesamte Gebiet des Heilbronner Hohenloher Haller Nahverkehrs (HNV) gilt. Die kleine Heilbronner Lösung könnte zu Kommunikationsproblemen führen, fürchten die Verantwortlichen. Man müsse den Fahrgästen dann erklären, dass sie nur für die Fahrt aus dem Umland bis zur Stadtgrenze Heilbronn einen Fahrschein lösen müssen.

Deshalb sei die Umsetzung eines weiteren verbundweiten Tests "zielführend und weniger aufwendig". Dann müssen sich aber auch die anderen Gesellschafter wieder finanziell beteiligen - eine Entscheidung, die der Heilbronner Gemeinderat nicht fällen kann.

In Hohenlohe wurden am wenigsten Fahrgäste mobilisiert

Am 30. November drängen mehr Fahrgäste als sonst in die Stadtbahn. Wie andere Bahnen und Busse im HNV-Gebiet konnte sie an den Adventssamstagen 2019 kostenlos genutzt werden.
Foto: Archiv/Heibel
Am 30. November drängen mehr Fahrgäste als sonst in die Stadtbahn. Wie andere Bahnen und Busse im HNV-Gebiet konnte sie an den Adventssamstagen 2019 kostenlos genutzt werden. Foto: Archiv/Heibel  Foto: Veigel

Die entscheidende Frage lautet: Was hat es gebracht? In den Regional- und Stadtbuslinien sowie in der Stadtbahn wurden die Fahrgastzahlen am zweiten und dritten Adventssamstag erhoben, außerdem an einem Referenzsamstag im November. Überwiegend waren spürbare Zuwächse bei den Fahrgastzahlen festzustellen.

 

  • Im Hohenlohekreis wurden am 7. Dezember mit 1287 Fahrgästen etwa 30 Prozent mehr befördert als am Referenzsamstag drei Wochen zuvor. Eine Woche später war es immer noch ein Viertel mehr.
  • Im Landkreis Heilbronn sind die Fahrgastzahlen an den zwei evaluierten Samstagen um 58 beziehungsweise 62 Prozent angestiegen.
  • Die Verkehrsbetriebe in Heilbronn registrierten einen Anstieg von 52 Prozent am ersten Zähltag und einen Anstieg von 26 Prozent am zweiten.
  • In den Stadtbahnen war die Steigerung am deutlichsten. Um 93 Prozent stieg die Zahl am 7. Dezember auf 19 525 Passagiere. Eine Woche später wurden 89 Prozent mehr Fahrgäste als am Referenztag gezählt.
  • In den Regionalbahnen lag die Zunahmen schätzungsweise bei rund 40 Prozent.

Eine Million Euro für ein halbes Jahr

Für einen Versuch im Stadtgebiet liegen die Kosten nach Ermittlungen des HNV und der Stadtwerke Heilbronn bei rund 15.000 Euro pro Samstag. 40.000 Euro kostet es, wenn der ÖPNV im gesamten Verbundgebiet kostenlos angeboten wird. Bereits berücksichtigt ist dabei der Einsatz von größeren Bussen und zusätzlichen Wagen, um keine Fahrgäste stehen lassen zu müssen.

Der Antrag von CDU, Grünen und SPD im August 2019 sah auch vor, den ÖPNV ein halbes Jahr lang an Samstagen kostenlos anzubieten. Das würde die Stadt 390.000 Euro kosten, wenn das Angebot aufs Stadtgebiet begrenzt bleibt. Auf eine Million Euro beliefe sich die Lösung für den gesamten HNV.

Das nächste Mal soll vieles berücksichtigt werden

Daraus wird vorerst nichts. Finanzbürgermeister Martin Diepgen erläuterte, ein Fachexperte solle jetzt alle Möglichkeiten ausloten, den ÖPNV in der Region attraktiver zu machen. Auch Kooperationsmöglichkeiten mit dem Kreisverkehr Schwäbisch Hall würden geprüft. Denn wichtig sei, dass künftig ein "Klebeeffekt" erzielt werde, sprich "die Maßnahmen sollen nachhaltig wirken", so Diepgen. Das habe der HNV-Aufsichtsrat Anfang Februar beschlossen. Erst nach der Sommerpause dürfte der Gemeinderat sich wieder mit den Ergebnissen befassen können.

Dafür gab es im Gemeinderat - teils zähneknirschend - grünes Licht. Die Freien Wähler und die AfD sehen keinen Sinn in den Kostenlos-Angeboten. Stattdessen sollte der ÖPNV insgesamt verbessert werden. Die FDP zeigte sich offen für neue Vorschläge. CDU, SPD, Grüne und Linke forderten grundsätzlich mehr Tempo. Ansonsten bleibe wohl nur eine Wiederholung der Aktion im Advent.

 

OB zeigt Verständnis für Aktivisten

Für Aufsehen sorgte bei dem Tagesordnungspunkt vor allem eine Fridays-for-Future-Gruppe, die große Papierschnipsel von der Tribüne warf und so auf ihre Forderungen aufmerksam machte. Statt der Kostenlos-Aktion an Samstagen wünschten sie sich vielmehr einen komplett kostenlosen ÖPNV und weitere Verbesserungen.

OB Harry Mergel blieb ruhig und fragte nach, ob jetzt die "Reinemachefrauen" das wieder aufräumen sollen oder ob die Gruppe das übernehme. Die jungen Aktivisten lenkten ein, versprachen, das Papier wieder aufzusammeln. Daraufhin bedankte sich Mergel für die Aktion. Das missfiel dann allerdings FDP-Fraktionschef Nico Weinmann. "Da bin ich jetzt doch überrascht." Man könne doch nicht gutheißen, wenn eine Sitzung auf diese Art gestört werde. In der vorgezogenen Kaffeepause säuberten die Aktivisten dann wie versprochen den Ratssaal.

 

Kommentar von Christian Gleichauf: "Mut verflogen"

Noch immer ist beeindruckend, mit welcher Geschwindigkeit im vergangenen Jahr Bus und Bahn ins Bewusstsein der Menschen gerückt wurden. Neben den zahlreichen Defiziten, die ausgemacht wurden, gab es immer wieder auch positive Signale - wie den kostenlosen HNV an den Adventssamstagen.

Der HNV ist hier sogar Vorreiter. Kostenlosen ÖPNV in Städten gibt es zwar auch andernorts. Doch große, verbundweite Angebote gab es zuvor kaum. Die Auswertung der Zahlen zeigt zudem: Es war ein Erfolg. Mehr gibt es aber offenbar nicht zu sagen. Damit ist auch eine einfache Wiederholung des Versuchs überflüssig. Eine dauerhafte Entlastung auf den Straßen tritt nicht ein. Manche Fahrt wird einfach zusätzlich unternommen, weil sie nichts kostet. Und die Fridays-for-Future-Aktivisten weisen zurecht darauf hin, dass Dauerkarten-Besitzer von kostenlosen Samstagen nichts haben außer Gedränge.

Es ist richtig, wenn Experten mit dem unverstellten Blick von außen nun Vorschläge machen sollen. Verbesserungen im ÖPNV kosten viel Geld, da sollte man sich gut überlegen, wo man es investiert. Doch um den Schwung nicht zu verlieren, muss man jetzt auch dranbleiben. Ein Anreiz, die Stadtbahn oder den Bus zu nutzen, wären beispielsweise auch um 50 Prozent reduzierte Tageskartenpreise.

Wieder würde man die Menschen dazu animieren, das Auto mal stehen zu lassen - weil Sprit und Parkplatz allein schon teurer sind als das Ticket. Wieder könnte man untersuchen, welche Rolle der finanzielle Aspekt spielt. Wieder könnte man damit werben. Stattdessen zeigt man den Interessierten in der Region nur eines: Schnell geht beim ÖPNV gar nichts. Der Mut, den der HNV und seine Trägerkreise im vergangenen Jahr gezeigt haben, ist verflogen.

 
 
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