Das Geld der Pflegekasse soll eigentlich der Entlastung der Angehörigen dienen. Sie können damit aber auch Freizeitangebote der offenen Hilfen bezahlen. Der monatliche Entlastungsbetrag für Pflegegrade 1 bis 5 beträgt 131 Euro. Dazu kommt das Entlastungsbudget von jährlich 3539 Euro. Insgesamt sind das rund 5000 Euro. Sie sind für Hilfe gedacht, wenn ein pflegender Angehöriger etwa krankheitsbedingt ausfällt oder Entlastung braucht in Form von Haushaltshilfe. Für soziale Teilhabe ist dagegen die Eingliederungshilfe, ein Bereich des Sozialamts, zuständig.
Zuschüsse für Freizeiten: Lösung in der Region Heilbronn zum Greifen nahe
Nach anderthalb Jahren Verhandlungen mit offenen Hilfen, Stadt Heilbronn und Landratsamt scheint das Ergebnis nah. Warum manche Familien trotzdem nach Alternativen suchen.

Wenn das Programmheft der offenen Hilfen (oH) endlich im Briefkasten liegt, ist das für Carsten Hummels Sohn Bennet ein bisschen wie vorgezogene Weihnachten. „Er ist darüber hergefallen und war drei, vier Stunden nicht davon zu trennen.“
Einzelne Wörter kann der 19-Jährige mit Down-Syndrom lesen, begeistert markierte er die begehrtesten Ausflüge. Am nächsten Tag klärte er in der Schule, wer sich zu welchen Aktivitäten anmeldet. Plätzchen backen? Super, so lange die Freundinnen dabei sind. Das ist Teilhabe.
Damit diese möglich ist, haben die offenen Hilfen in Heilbronn, das städtische Sozialamt und das Landratsamt nach zähem Ringen eine sogenannte Leistungsvereinbarung erarbeitet. „Es war mühsam aber konstruktiv“, sagt oH-Geschäftsführer Sven Seuffert-Uzler. „Und jetzt ist es ein richtig gutes Signal, auch an andere Landkreise und Bundesländer.“
Nötig wurde sie durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG). Dieses habe einen Paradigmenwechsel eingeläutet, so Seuffert-Uzler. Jede Person mit Handicap wird damit individuell betrachtet. Thomas Fick, Vorstand des Vereins Lebenshilfe Heilbronn-Franken, erinnert sich an ähnlich langwierige Verhandlungen zum Thema Wohnen, Arbeiten und Qualifizierung für behinderte Menschen.
Leistungsvereinbarung ist noch nicht final unterschrieben
Dass die aktuelle Leistungsvereinbarung noch nicht final unterschrieben ist, darauf weist der Heilbronner Sozialamtsleiter Achim Bocher hin. Weit fortgeschritten sei sie aber.
Deren Notwendigkeit hatte das Sozialgericht Heilbronn in seinem Urteil im Sommer 2024 festgestellt. Damals entschied es, dass Sozialämter nicht automatisch Ausflüge zahlen müssen, die Menschen mit Behinderung bei den oH machten.
Seuffert-Uzler: Das ist eine Verbesserung für die Familien
Das Sozialgericht hatte bemängelt, dass der rechtliche Rahmen in Form einer Leistungsvereinbarung hierfür fehle. Diese Voraussetzung ist jetzt nach anderthalb Jahren und 14 Treffen verhandelt. „Ich bin sehr froh. Das ist eine Verbesserung für die Familien“, sagt Seuffert-Uzler.
Auch, weil Menschen mit Behinderung ein Problem damit haben, selbst von A nach B zu kommen. „Entweder sie können nicht Fahrrad fahren, oder die Orientierung fehlt, auch zu Fuß“, sagt Carsten Hummel.
Nur zwei von 600 Klienten der oH haben den Führerschein. Deshalb ist es ein Fest, wenn sein Sohn mit den Schulkameraden aus Öhringen oder Löwenstein einen oH-Ausflug plant. Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) haben einen großen Einzugsbereich.
Warum die Verhandlungen so lang gedauert haben? „Mit der Gestaltung der Vereinbarung haben wir Neuland betreten“, sagt Susanne Thielicke, Dezernatsleiterin Jugend und Soziales des Landratsamts Heilbronn. Dass diese beispielhaft sein könnte, auch für andere Kommunen, hält auch sie für denkbar.
„Wir sind auf Anbieter wie die offenen Hilfen angewiesen, weil sie Teilhabe ermöglichen. Inklusion ist kein Selbstläufer“, sagt Thomas Fick von der Lebenshilfe, die die Interessen Angehöriger vertritt.
Informationsveranstaltungen sollen folgen
Informationsveranstaltungen sollen folgen, auch bei den offenen Hilfen. Die Leistungsvereinbarung sei ein Eintrittstor, sagt Seuffert-Uzler. Ab dem 1. Januar 2026, so der oH-Chef, könnten Interessierte Anträge stellen. „Wir haben deswegen extra das Programm später herausgebracht.“
Pflegende Angehörige sollen ab dem neuen Jahr Anträge auf Kostenerstattung für oH-Angebote bei der Eingliederungshilfe des Sozialamts stellen. Wie lange die Bearbeitung dauern wird, ist offen. Noch immer sind in dem Bereich im Sozialamt Heilbronn 4,5 Stellen unbesetzt. „Die Personalsituation in der Eingliederungshilfe ist angespannt“, sagt Sozialamtsleiter Achim Bocher.
Antragssteller müssen sich zudem gut in die Thematik einarbeiten. „Wer nicht Bescheid weiß, geht unter,“ so Thomas Fick. Angaben und Nachweise zu Einkommens- und Vermögensverhältnissen, Diagnosen oder Pflegegraden gehören dazu.
Carsten Hummel ist als Mitarbeiter der offenen Hilfen eigentlich Fachmann auf dem Gebiet. Trotzdem haben er und seine Frau beschlossen, die oH-Unternehmungen des Sohnes aus dem Pflegekassenbudget zu zahlen. Das ist eigentlich zur Entlastung der Angehörigen gedacht. 2025 hatten sie daraus Hilfe im Haushalt finanziert. „Wir sind bereit, den Einschnitt hinzunehmen“, sagt Hummel. „Weil wir Angst vor der Beantragung haben.“

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