Tafel, Beratung und Mitternachtsmission sind die Pfeiler des diakonischen Auftrags
Doppeljubiläum: Kreisdiakonieverband wird 80, Tafel Heilbronn 30 Jahre alt. Warum sich die Arbeit verändert hat, der Auftrag aber der gleiche geblieben ist

„Wir haben uns gehäutet und verändert, um uns treu zu bleiben“, sagt Karl Friedrich Bretz über den Kreisdiakonieverband Heilbronn, dessen Geschäftsführer er ist. 75 Jahre plus fünf wird dieser alt, Jubiläum feiert auch die Tafel mit 25 plus fünf Jahren. Doppelter Grund für das Fest und den Gottesdienst am Freitag um 11 Uhr in der Kilianskirche, was Corona vor fünf Jahren unmöglich gemacht hatte.
Die Veränderungen, von denen Bretz spricht, sind gewaltig, die Aufgaben blieben ähnlich. Aus der Anfangszeit nach dem Krieg, als der Dreiradlaster noch in Hohenlohe herumfuhr, um bei den Bauern Kartoffeln für Flüchtlinge zu sammeln, ist der Auftrag geblieben, den Ärmsten Nahrung zu bieten. Daraus hat sich 1995 die hochprofessionell organisierte Tafel entwickelt, „eine der Gründertafeln“, sagt deren Chef Marco Schönberger. „Und die zweite in Baden-Württemberg.“ Tafelläden, die alle zu Heilbronn gehören, gibt es auch in Eppingen, Bad Friedrichshall, Neckarsulm und neuerdings in Brackenheim. Sechs, sieben Kommunen in der Region warten seit langem darauf, dass das Tafelmobil dort einen Halt etabliert.
Manchmal stellt Marco Schönberger im Monat 186 neue Tafelausweise aus

Rentner, aber auch viele Familien und nach wie vor Menschen aus der Ukraine kaufen in der Goppeltstraße in Heilbronn für wenig Geld Essen. „Wir haben pro Tag bis zu fünf Haushalte, die dazu kommen. Das sind im Monat bis zu 186 neue Tafelausweise“, sagt Schönberger. Abgesehen von Discountern und Supermärkten spenden Schulen, Azubis, Privatleute, Serviceclubs oder Firmen. „Ohne dieses Netzwerk würde es nicht funktionieren“, sagt der Chef. Und dass die Tafel sich über Geld genauso wie über Sachspenden freut und trotz 300 Ehrenamtlichen immer Verstärkung sucht, etwa für die Kasse oder als Fahrer des Tafelmobils.
Damit es auch geistige Nahrung gibt, dafür hat Richard Siemiatkowski-Werner, Bretz langjähriger Stellvertreter, die Kulturtafel und das Forum Ehrenamt mitbegründet. Der offene Mittagstisch sonntags im Hans-Riesser-Haus wirkt der Einsamkeit entgegen, genau wie die tägliche Begegnungsmöglichkeit. Für seinen Einsatz für die Integration von Spätaussiedlern erhielt er das Bundesverdienstkreuz.
Bretz: Quartierszentren geben dem Stadtteil ein Herz
Seniorenarbeit, sie sollte auch ein Anker im neuen Quartierszentrum in der Stadt werden, findet Bretz. Die Quartiersarbeit mit Zentren wie dem Mehrgenerationenhaus Nord oder dem Quartierszentrum in Böckingen, das die Diakonie mit der Awo betreibt, hält er für eine der besten sozialpolitischen Entwicklungen der Stadt. „Sie geben dem Stadtteil ein Herz.“
„Wir haben klar einen Beratungsschwerpunkt. Er macht 80 Prozent der Arbeit aus“, so Bretz. Die Arbeit, die in den 50er Jahren Schwester Emma mit ihrer aufsuchenden Arbeit in der Trinkerszene verrichtete, war die Keimzelle, aus der das vielschichtige Angebot entstand, wo Süchte, Essstörungen, Sozial- oder Schwangerschaftsberatung Thema sind. Auch der Suchthilfekrankenverein hat seine Wurzeln in der diakonischen Arbeit. Ob die Migrationsberatung mittelfristig eine Zukunft hat, ist offen. Das Geld vom Bund reicht nicht, der Landkreis zieht sich finanziell zurück. Auch bei der Schwangerenberatung fehlen Stellen.
Die Immobilie für ein Frauenhaus im Landkreis fehlt noch
Die dritte Wurzel ist die Mitternachtsmission. Als ehemaliger Garnisonsstadt habe es in Heilbronn wie oft an solchen Soldatenstandorten, viel Prostitution gegeben, sagt Bretz. Einige der wenigen Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel befindet sich inzwischen hier und bietet sogar anonyme Schutzwohnungen. Ferner gibt es die Prostituiertenberatung und die Fachstelle für Internet- und Medienkonsum. Und natürlich: Das Open House, ein nicht geheimes Frauenhaus in der Steinstraße für Opfer häuslicher Gewalt mit innovativem Konzept. Jetzt fehlt noch eines im Landkreis. „Es hakt an der passenden Immobilie“, so Bretz. „Aber Stadt- und Landkreis brauchen die Kapazitätserweiterung.“

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