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Steigende Kosten, sinkender Konsum: Weinbau steckt tief in der Krise

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Branchenvertreter und Politiker schlagen Alarm. Immer mehr Winzer geraten in Existenznot. Nach der anstehenden Lese fallen weitere Rebflächen weg. Was steckt nur dahinter?

Weniger Weintrinker, weniger Weinberge: Vor allem arbeitsintensive Steillagen werden aufgegeben, etwa hier an der B27 bei Bad Friedrichshall, wo derzeit das das Schwarz-IT-Zentrum gebaut wird.
Foto: Ralf Seidel
Weniger Weintrinker, weniger Weinberge: Vor allem arbeitsintensive Steillagen werden aufgegeben, etwa hier an der B27 bei Bad Friedrichshall, wo derzeit das das Schwarz-IT-Zentrum gebaut wird. Foto: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Die Traubenlese steht vor der Tür. Die Voraussetzungen für einen guten bis sehr guten Jahrgang 2025 sind optimal. Doch so richtig freuen können sich die Winzer darüber nicht. Denn viele stecken in einer existentiellen Krise. „Wenn wir jetzt nicht handeln, verlieren wir mehr als nur Rebstöcke. Wir verlieren unsere Kulturlandschaft, unsere Geschichte, unsere Identität,“ erklärt Thomas Schaurer als Vorsitzender der Zukunftsinitiative Deutscher Weinbau. Der neu gegründete Verein hat sich zur Aufgabe gemacht, die Bevölkerung für die Situation zu sensibilisieren: Um Zeichen zu setzen, ruft die Initiative für Samstag, 30. August, bundesweit zum „Tag des Deutschen Weins“ auf.

Ministerin: Bund soll sich mit der EU stärker für Belange der Branche einsetzen

Alarm schlägt in einem aktuellen SWR-Interview auch die rheinland-pfälzische Wirtschafts- und Weinbauministerin Daniela Schmitt (FDP). Sie ruft Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) dringend zum Handeln auf. Der politische Stillstand müsse aufhören. Der Bund solle sich mit der EU stärker für die Belange der Branche einsetzen, etwa dass der Wein bei den US-Zöllen ausgenommen wird. Mit einem Maßnahmenpaket will die Ministerin gegensteuern und das Marketing fördern: mit dem Ziel, neue Märkte zu erschließen. Ähnlich äußerte sich zuletzt der baden-württembergische Agrarminister Peter Hauk (CDU), dessen Politik nicht nur auf Nothilfen, sondern auch auf die Stärkung zukunftsfähiger Betriebe zielt.

Immer mehr Brachflächen oder verwilderte Reben stechen ins Auge

Ablesen lässt sich die Schieflage in den Weinbergen, wo immer mehr Brachflächen oder verwilderte Anlagen ins Auge stechen. So geht Hermann Morast vom Weinbauverband Württemberg davon aus, dass die derzeit noch 11.000 Hektar umfassende Weinbaufläche zwischen Tauber und Bodensee bis zum Jahr 2030 um 20 bis 30 Prozent schrumpft, vor allem schwer zu bearbeitende Steillagen fielen weg. „Nach der Lese dürfte es diesen Winter einen Schub geben.“

Laut der Weinbaukartei in Weinsberg hat sich die Zahl der Winzerbetriebe innerhalb von 20 Jahren auf 7000 halbiert. Aktuell nimmt der Schwund an Fahrt auf, vor allem weil es weltweit zu viel Wein gibt und immer weniger getrunken wird: wegen der allgemeinen Wirtschaftskrise, aber auch aus gesundheitlichen Gründen. Speziell die Deutschen, die 70 Prozent aller Weine im Supermarkt kaufen, greifen verstärkt zu billigen Tropfen, 60 Prozent sind Importware.

Winzer beklagen bürokratische Hürden und steigende Betriebskosten

Zudem machten den Winzern immer mehr Bürokratie und steigende Betriebskosten zu schaffen, beklagt WG-Chef Justin Kircher aus Heilbronn: von der Energie über Pflanzenschutzmittel, Glas und Verpackung bis hin zum Personal. Die Erhöhung des Mindestlohns werde den Druck verschärfen.

Ein Gradmesser für die Lage ist das Traubengeld, das Weingärtnergenossenschaften (WG) ihren Mitgliedern auszahlen. Es ist in zehn Jahren von durchschnittlich einem Euro pro Kilogramm Trauben teils auf die Hälfte und weniger gesunken. „Damit kommt kein Winzer auf seine Kosten“, weiß ein WG-Geschäftsführer und berichtet von „bösen Telefonanrufen“ verärgerter oder gar verzweifelter Mitglieder.

„Zu lange an den zu hohen Trollinger-Mengen festgehalten“

Hermann Morast betont, es handle sich um eine weltweite Krise. Er weiß auch: Wirtschaftliche Probleme führten bei etlichen Wengerterfamilien zu Existenznöten, Überforderung, Spannungen, psychischen Belastungen. Das Land Baden-Württemberg will Betroffene nicht allein lassen und baut mit Verbänden, Bildungs-, und Beratungseinrichtungen sowie Kirchen ein „präventives Früherkennungssystem“ auf, das Hilfe organisiert. 

Im Stimme-Interviewmeint der WG-Experte Klaus Jost aus Eppingen, manche Probleme seien hausgemacht, etwa durch zu große WG-Gremien und ein zu breites und somit kostspieliges Sortiment. Insgesamt habe man „zu lange an den zu hohen Trollinger-Mengen festgehalten, sich auf Lemberger ausgeruht und ein altbackenes Marketing mit ,Kenner trinken Württemberger´ betrieben“.

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