Heilbronn
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Schülerinnen polieren Stolpersteine und berichten von Anfeindungen

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Viel Lob und Anerkennung ernteten Heilbronner Schüler, als sie dieser Tage Stolpersteine polieren, die an Opfer des NS-Regimes erinnern. Die Achtklässler erlebten aber auch Anfeindungen.

Svea Müssig, Lara Staudinger, Isabella Dettling, Ella Losberger und Mia-Marie Brestel (von links) polierten dieser Tage Stolpersteine in der Heilbronner Innenstadt.
Svea Müssig, Lara Staudinger, Isabella Dettling, Ella Losberger und Mia-Marie Brestel (von links) polierten dieser Tage Stolpersteine in der Heilbronner Innenstadt.  Foto: Krauth, Kilian

Ziemlich gewundert haben sich diese Woche etliche Passanten, als sie in der Heilbronner Innenstadt, aber auch in Böckingen und Sontheim, junge Leute putzend auf dem Gehsteig knien sahen. Manche fragten auch nach. Und siehe da: Es handelte sich um Schülerinnen und Schüler des Freien Katholischen Bildungszentrums St. Kilian, die im Rahmen eines Unterrichtsprojektes zum Thema „Gedenken“ insgesamt 225 Stolpersteine putzten, also die zehn auf zehn Zentimeter großen Messingwürfel, die Namen und Lebensdaten von Heilbronner Bürgern tragen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden.

Nach getaner Arbeit legten die Achtklässler jeweils Rosen nieder, hielten betend inne und rezitierten aus einem Gedicht von Leopold Marx: „Die Botschaft der Toten ist einfach und schlicht, / drum ist sie so schwer zu fassen: / Ihr sollt auf der Erde mehren das Licht / und Frieden wachsen lassen.“ 

Heilbronner Schüler polierten dieser Tage Stolpersteine auf Gehwegen in der Innenstadt, Sontheim und Böckingen.
Heilbronner Schüler polierten dieser Tage Stolpersteine auf Gehwegen in der Innenstadt, Sontheim und Böckingen.  Foto: Krauth, Kilian

Mit Handschuhen, Schwämmchen, Poliermittel und einem Tuch unterwegs waren unter anderem Svea Müssig, Lara Staudinger, Isabella Dettling, Ella Losberger und Mia-Marie Brestel. „Die Reaktionen waren überwiegend positiv, vor allem Ältere haben nachgefragt und fanden es gut, sogar die Polizei hat uns gelobt“, berichtet Lara. Es sei aber auch zu Anfeindungen gekommen. So habe etwa ein Junge die Rose vor seinem Wohnhaus in den Mülleimer geworfen. Und in der Sichererstraße 15, als sie gerade den Stein von Selma Mayer polierten, „hat uns einer zunächst aus dem Auto ganz komisch angeguckt“, dann sei er ausgestiegen, habe die Rose weggenommen und sei auf dem Stein herumgetrampelt. „Wir trauten uns gar nicht, ihn anzusprechen.“

Mädchen berichten von Diskriminierung im Alltag

Die Mädchen können es nicht fassen - und sie bekamen eine leise Ahnung davon, wie es Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus gegangen sein mag, als sie eingeschüchtert und voller Angst zusahen, wie unschuldige Bürger allein wegen ihrer Religion, ihrer kritischen Haltung gegenüber dem Regime oder wegen einer Behinderung verfolgt, deportiert und ermordet wurden. „Das ist schon krass“, sagt Ella, „aber auch erstaunlich, wie lange manche durchgehalten haben und flüchten konnten.“ „Es ist wichtig, dass man das nie vergisst und daran erinnert“, sagt Svea, auf dass es sich nie wiederhole, auch im Kleinen nicht.

Dann berichten die Fünf von ihren Erlebnissen mit Diskriminierung im Alltag: von einer älteren Frau, die mitten in der Stadt von jungen Leuten mit Müll beworfen und verspottet wurde. Von einer Mutter, die als Ausländerin vom Chef gemobbt worden sei und deshalb die Arbeitsstelle gewechselt habe. Von zwei Mädchen, die von Jungs beschimpft wurden, „auch mit Body-Shaming und so“.

Thema Gedenken im Geschichtsunterricht der Klasse 8 

Auch im Geschichtsunterricht hätten sie in Rollenspielen solche Situationen nachgespielt und darüber gesprochen, was man dagegen vorbeugend machen kann. Zu ihrem Projekt habe auch eine Art „digitale Schnitzeljagd“ durch die Stadt gehört, die zu Stätten jüdischen Lebens in Heilbronn führte, aber auch ein Vortrag des Lokalhistorikers Martin Uwe Schmidt und die Ausschwitz-Gedenkfeier im TV.

Nicht zuletzt recherchieren die Achtklässler derzeit mit ihrem Geschichtslehrer Erwin Krich auch das Leben der heute fast vergessenen Emma Dornacher, die als Tochter der jüdischen Weinhändlerfamilie Rosenthal 1942 in Theresienstadt ermordet wurde. Am 23. Mai soll dann der entsprechende Stolperstein mit einigen anderen verlegt werden, erklärt Richard Mössinger, der den vom Stadtarchiv unterstützten Stolperstein-Arbeitskreis leitet und das „ehrenamtliche Engagement vieler Schüler und Lehrer, auch in der Freizeit,“ ausdrücklich lobt.

Lehrer: NS-Zeit war alles andere als „ein Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte 

„Es geht letztlich darum, die Stafette des Gedenkens an die größte Katastrophe der deutschen Geschichte weiterzugeben und sie nicht jenen zu überlassen, die sie um 180 Grad umdrehen“, erklärt Erwin Krich und warnt vor Aussagen wie der des AfD-Politikers Alexander Gauland, der die Nazi-Zeit einmal als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnete. 

Hintergrund

Die von Künstler Gunter Demnig initiierte Aktion erinnert mit Stolpersteinen aus Messing im Boden vor deren ehemaligen Wohnhäusern an Opfer der Nazizeit: vor allem Juden, aber auch Sinti, Roma, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Behinderte. In einer Zeit der Kurzlebigkeit wolle er in aller Öffentlichkeit Denkanstöße geben. Vielerorts beteiligen sich Gruppen an der Aufarbeitung damit verbundener Biografien. Die in der Nachfolge von Günter Spengler nun von Richard Mössinger geleitete Heilbronner Stolperstein-Initiative, die sich mit dem Stadtarchiv in einem Runden Tisch zusammengefunden hat, plant für 2025 weitere Steine. Sie werden über Patenschaften finanziert. Hintergrundinformationen mit allen Namen und Daten gibt es auf der Website www.stolpersteine-heilbronn.de kra

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung

Melanie Hess am 02.02.2025 12:51 Uhr

Es ist so krank zu lesen was den Schülerinnen passiert ist.
Das sie trotz der Anfeindungen weiter machen finde ich bewundernswert.

Antworten
lädt ... Gefällt Nutzern Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
Nach oben  Nach oben