Zwei Heilbronner Prostituierte steigen aus
Zwei Frauen verdienen ihr Geld durch Prostitution. Das Sex-Gewerbe hinter sich zu lassen, ist nicht leicht. Unterstützung erfahren sie von Sozialarbeiterinnen der Mitternachtsmission Heilbronn. Ihnen gelingt der Neuanfang.

"Corona hat mir eine Chance gegeben", sagt Milena. Die 26-jährige Heilbronnerin schafft den Einstieg in ein neues Leben. Sex gegen Bares gehört der Vergangenheit an. Ein schwerer Schritt. Unterstützung erfährt Milena (Name von der Redaktion geändert) von den Mitarbeiterinnen der Mitternachtsmission des Diakonischen Werks. "Wir treffen etwa 200 Frauen im Jahr", sagt Sozialarbeiterin Kathrin Geih. Es seien Einzelfälle, in denen sie Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution begleiten. Die Pandemie aber hätten einige mehr genutzt, um dem Gewerbe den Rücken zu kehren.
Zu ihnen gehört auch Natalia (Name geändert). Als sie vor fünf Jahren nach Heilbronn kommt, ist sie allein. "Ich habe dann eine falsche Entscheidung getroffen", sagt die 39-Jährige. Zwei Jahre arbeitet sie als Prostituierte. Ihre Kunden sind betucht. "Natürlich kannst du viel Geld verdienen. Es ist nicht leicht, aber schnell verdient." Während dieser Zeit ist Natalias Portemonnaie dick gefüllt.
Körperlich und seelisch Schaden genommen
"Du verkaufst nicht nur deinen Körper, sondern Stück für Stück deine Seele", blickt Milena zurück. Sechs Jahre lang prostituiert sich die junge Bulgarin in Deutschland. Jedes Jahre habe sie sich vorgenommen aufzuhören. Finanzielle Probleme und Angst vor dem Zuhälter hinderten sie daran. "Ich fühlte mich kaputt, müde, ich konnte nicht ruhig schlafen." Mit Hilfe der Diakonie verlässt Milena die Stadt, in der sie damals lebt. In Heilbronn fängt sie neu an. "Das wäre sonst schwierig geworden."
Milenas Familie in Bulgarien weiß, wo sie sich aufhält. Sie weiß auch über die Prostitution Bescheid. "Ich dachte erst, sie wollen nicht, dass ich als Prostituierte arbeite", erzählt sie. "Aber wenn ich weniger Geld geschickt habe, war der Wunsch da, dass mehr Geld kommt."
Kathrin Geih zufolge stammen Frauen, die sich prostituieren, aus Deutschland, Afrika oder Südamerika. Viele, die in einem Bordell, an der Hafenstraße oder in einer Terminwohnung tätig sind, kommen zudem aus Osteuropa. Häufig hätten sie Kinder, die in den Herkunftsländern von den Großeltern versorgt werden. "Es ist ihnen meistens ein großes Bedürfnis, für sich und die eigene Familie zu sorgen", nennt Geih einen Grund, warum sich Frauen prostituieren. Genauso seien Kinder aber auch die Motivation, damit aufzuhören. "Mein Ziel ist eine gute Ausbildung für meine Kinder", sagt Milena. Inzwischen hat sie einen Teilzeit-Job. Von ihrer Vergangenheit wissen der Arbeitgeber und die Kollegen nichts.
Bürokratie erschwert den Ausstieg
Das Gewerbe hinter sich zu lassen, ist schwer, weil sich die Frauen außerhalb des sozialen Netzes befinden. Häufig seien sie nicht krankenversichert. Um Leistungen des Jobcenters in Anspruch zu nehmen, müssten sie ihre bisherigen Einkünfte nachweisen. "Was den Ausstieg mühsam macht, ist die Fülle an Bürokratie bei uns", sagt Geih. Wochenlang stünden die Frauen ohne Geld da. "Die Lebensberatung ist wichtig. Reden. Auch die Frauen durch die Bürokratie zu begleiten." Wer zuvor in einem Bordell gearbeitet hat, besitzt meist keine eigene Wohnung. Die Mitternachtsmission stellt eine Unterkunft zur Überbrückung zur Verfügung.
"Ich habe eines Tages entschieden, ich will das nie mehr", sagt Natalia. "Wenn du stark bist, kannst du bei null anfangen." Ohne Unterstützung von Mitternachtsmission und ihren besten Freundinnen wäre ihr der Ausstieg womöglich nicht gelungen. Die ersten zwei, drei Monate hat sie kein Geld. Psychisch geht es ihr schlecht. "Du vermietest deinen Körper an verschiedene Männer. Ich lag am Boden." Eine erste reguläre Anstellung auf Mini-Job-Basis tut Natalia gut. "Sie ist richtig aufgeblüht", sagt Geih. Zurzeit befindet sich Natalia in einer Maßnahme der Agentur für Arbeit. "Ich will mit alten Menschen arbeiten." Nach außen hin führt Natalia ein normales Leben. Aber: "Nach der Prostitution kannst du kein normales Leben führen." Die Begegnungen und Erlebnisse mit Freiern - "gute und schlechte Kunden" - holen sie ein. Was ihr früheres Leben angehe, müsse sie lügen. Trotzdem: "Heute habe ich das Gefühl, ich bin ich. Ich muss keine Rolle mehr spielen."
Milena möchte anderen Frauen in vergleichbarer Situation Mut machen. "Wir haben so viele Möglichkeiten aufzuhören. Ich habe es mit der Diakonie geschafft. In anderen Städten gibt es andere Beratungsstellen." Egal was komme, man müsse sein Ziel verfolgen und Schritt für Schritt weiterlaufen.
Die Mitternachtsmission
Seit 1955 gibt es die Mitternachtsmission in Heilbronn. Sie begleitet schon damals Frauen, die sich nach Kriegsende prostituierten. Über die Jahre kommen weitere Aufgaben hinzu. Die Fachberatungsstelle für Prostitution ist nur ein Aufgabenbereich. So unterstützen die Mitarbeiter der Mitternachtsmission chronisch abhängige und straffällige Frauen, aber auch Männer.

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