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Zwangsaufbruch in eine neue Zukunft für den Wald

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Die Förster reagieren in der Region auf den Klimawandel und heftige Trockenheitsschäden mit neuen Baumarten. Die Buche wird ihre führende Rolle voraussichtlich verlieren. Das Jahr 2019 hat Warnzeichen gesetzt. 2020 wird ein Jahr verstärkter Neupflanzungen.

von Carsten Friese
Kahlflächen im Wald bei Neuenstadt: Gewitter und Sturm haben Bäume gekappt. Dann kam die Trockenheit und der Angriff der Borkenkäfer. Vor allem Fichten mussten hier gefällt werden. Foto: Carsten Friese
Kahlflächen im Wald bei Neuenstadt: Gewitter und Sturm haben Bäume gekappt. Dann kam die Trockenheit und der Angriff der Borkenkäfer. Vor allem Fichten mussten hier gefällt werden. Foto: Carsten Friese  Foto: Friese, Carsten

Inmitten einer Kahlfläche im Stadtwald Neuenstadt wird Revierförster Eckhard Staudt nachdenklich. Reihenweise sind hier Baumstümpfe abgeholzter Fichten zu sehen. Ein gesplitterter Stamm ragt wie ein Mahnmal gen Himmel; ein großer Nadelbaum hängt schräg in der Luft, der große Wurzelteller ist aus dem Erdreich gerissen. Hier haben Sturm und Gewitter den Bäumen auf einem rund 30 Ar großen Streifen heftig zugesetzt. Dann kam die extreme Trockenheit, im Nachgang haben Borkenkäfer die Fichten befallen und zerstört. Der Anblick "ist besorgniserregend", sagt Förster Staudt. Weil er weiß, wie viele Jahre Pflege im Wald stecken. 42 Flächen mit Käferbefall zählte er im vergangenen Jahr.

Im Revier Langenbrettach sind bis zu 15 Prozent der Bäume geschädigt

Der Klimawandel setzt den Wäldern immer härter zu. Auf rund zehn bis 15 Prozent beziffert Staudt den Anteil der geschädigten Bäume im Revier Langenbrettach. Erstmals entdeckten die Förster im Vorjahr an Buchen heftige Trockenschäden. An einer Stelle im Wald deutet der neue Kreisforstamtsleiter Martin Rüter beim Rundgang auf das helle Holz gefällter Buchen. Es ist überzogen mit braun-schwarzen Flächen - eine Pilzinfektion als Folge der Trockenheitsschäden. "Die Buche ist unser Hauptsorgenkind", stellt Rüter fest. Weil sie die Hauptbaumart in den Wäldern des Landkreises ist.

Seit 1. Januar 2020 ist Martin Rüter (62) der neue Forstamtsleiter im Landkreis Heilbronn.

Der gebürtige Bonner hat Forstwirtschaft in Göttingen und Freiburg studiert, lebt in Eppingen, hat drei erwachsene Kinder und zuletzt die Außenstelle Eppingen des Forstamts geleitet. Hobbys: Jagen, Joggen, Gitarre spielen. Foto: Jörg Kühl
Seit 1. Januar 2020 ist Martin Rüter (62) der neue Forstamtsleiter im Landkreis Heilbronn. Der gebürtige Bonner hat Forstwirtschaft in Göttingen und Freiburg studiert, lebt in Eppingen, hat drei erwachsene Kinder und zuletzt die Außenstelle Eppingen des Forstamts geleitet. Hobbys: Jagen, Joggen, Gitarre spielen. Foto: Jörg Kühl  Foto: Friese, Carsten

Förster wollen mit vielen neuen Baumarten auf kleinen Flächen experimentieren

Die Wald-Zukunft wird eine andere sein als heute, das ist den Förstern längst klar. Buche, Eiche, Fichte und Esche sind hier am weitesten verbreitet. Die flach wurzelnde Fichte und die Esche - durch einen eingeschleppten Pilz befallen, der die Kronentriebe zerstört - werden auf Dauer wohl nicht überleben. Auch die Buche "wird in ihrer Vitalität abnehmen und nicht mehr die führende Rolle spielen", blickt Martin Rüter voraus. Die Forstexperten stehen vor wichtigen Entscheidungen, den vorhandenen Mischwald mit neuen Baumarten mehr zu mischen und an immer trockenere, heiße Sommer anzupassen.

"Wir wollen mit vielen Baumarten experimentieren, auf kleinen Flächen bis zu einem halben Hektar", stellt der Kreisforstamtsleiter die Strategie vor. Entscheidend ist, dass die Bäume die zunehmende Trockenheit im Sommer und extreme Hitzetage aushalten. Auf einer Aufforstungsfläche zeigt Revierförster Staudt junge Esskastanien. Sie haben nicht nur das extreme Trockenjahr 2018 gut überstanden. Im Vorjahr, als Buchen erste deutliche Krankheitssymptome zeigten, sind sie "um 1,80 Meter gewachsen".

Hoffnungsträger: Elsbeere, Vogelkirsche, Tulpenbaum oder Douglasie

Martin Rüter zählt Hoffnungsträger auf, die den Klimawandel besser verkraften sollen. Favoriten sind für ihn die einheimischen Arten Elsbeere, Traubeneiche, Hainbuche, Vogelkirsche oder Spitzahorn, bei auswärtigen Arten Tulpenbaum, Baumhasel und Schwarznuss. Bei den Nadelbäumen gelten Douglasie, Weißtanne und Nordmannstanne als geeignet. Das Land hat ein millionenschweres Notfallprogramm für Neuanpflanzungen aufgelegt. Er werde 2020 in seinem Revier "die vierfache Menge an neuen Bäumen pflanzen", kündigt Förster Staudt an. Kosten für Neuanpflanzungen: rund 10 000 Euro pro Hektar.

Sperrzone in Wäldern wird es in Zukunft wohl häufiger geben

Gefällte Buchen zeigen braunschwarze Verfärbungen – Zeichen einer Pilzinfektion nach Trockenschäden. Foto: Carsten Friese
Gefällte Buchen zeigen braunschwarze Verfärbungen – Zeichen einer Pilzinfektion nach Trockenschäden. Foto: Carsten Friese  Foto: Friese, Carsten

Das Jahr 2019 hat Warnzeichen gesetzt. 65 Prozent aller eingeschlagenen Bäume im Gebiet des Kreisforstamtes wurden als Folge von Sturm, Insektenbefall, Pilzkrankheiten oder Dürre gefällt. Ein hoher Wert. In normalen Jahren lag der Anteil bei rund zehn Prozent.

Der Klimawandel erhöht auch die Gefahr für nachbrechende Äste im Wald. Für Spaziergänger und Waldsportler kann dies in Zukunft stärkere Einschränkungen bedeuten. Vielleicht müssen sich alle häufiger als bisher an Sperrgebiete im Wald gewöhnen. Der Eppinger Linienweg war 2019 bereits auf einem Teilstück wegen Astbruchgefahr gesperrt worden. Und einer Anfrage nach einer geführten Mountainbike-Tour durch die Kreiswälder hat Martin Rüter wegen vieler dürrer Buchen eine Absage erteilt.

Wie schlimm steht es um den Patienten Wald derzeit? "Der Wald kränkelt", sagt Rüter. Seine Prognose ist dennoch positiv: "Wir werden hier bei uns keinen Quadratmeter Wald verlieren." Aber: Es werde in der Zusammensetzung langfristig "zu deutlichen Veränderungen kommen". Und die Förster haben die wichtige Aufgabe, die richtigen robusten Zukunftsarten auszuwählen.

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