Krise in der Weinbaubranche – "Handel treibt ein ruinöses Spiel"
Die Weinbranche steckt in einer tiefen Krise: weil es weltweit zu viel Wein gibt, die Kosten steigen und der Handel die Preise drückt. Weinbaupräsident Hermann Hohl kritisiert das scharf.

Die Lese ist abgeschlossen, die ersten Jungweine sind schon vergoren. Vor Weihnachten kurbeln die Wengerter das Marketing an. Doch die Stimmung ist getrübt. Der Präsident des Weinbauverbandes Württemberg, Hermann Hohl, spricht im Interview Klartext. Er kritisiert den ruinösen Preisdruck der Händler und fürchtet, dass die Rebfläche bis 2025/26 um fast 25 Prozent schrumpft − mit negativen Auswirkungen fürs Landschaftsbild.
Der Herbst ist rum, jetzt stehen Prämierungen an, Ist Ihnen wirklich zum Feiern zumute?
Hermann Hohl: Die Stimmung ist getrübt, durch die allgemeine Wirtschaftslage aber auch durch den Jahrgang 2023, der alle Wengerter sehr gefordert hat: mit Pilzkrankheiten, Fäulnis, Kirschessigfliegen und einer kräftezehrenden selektiven Lese. Am Ende lag die Menge mit 93 Millionen Liter 25 Prozent unter den Erwartungen, wobei es teils sehr gute Qualitäten gibt. Ich meine, das ist schon ein Grund zu Feiern.
Der Klimawandel schlug 2023 wieder brutal zu. Ist da der Weinbau bei uns noch zukunftsfähig?
Hohl: So wie er jetzt ist, nicht. Wir müssen andere Rebsorten pflanzen, die robuster sind. Das Hauptproblem sind Pilzkrankheiten, und da ist ausgerechnet der Trollinger besonders anfällig. Er ist stark auf dem Rückmarsch. Leider.
Wird die Rebfläche insgesamt schrumpfen?
Hohl: Das ist an den vielen Brachen in Steillagen schon erkennbar. Wir gehen davon aus, dass 2000 von 11.000 Hektar in Württemberg innerhalb von zwei, drei Jahren stillgelegt werden. Das geht jetzt rasend schnell. Wir brauchen einen gelenkten Rückzug. Damit verwilderte Branchen in Kerngebieten keine Krankheitsherde werden, müssen wir sie in Randbereiche bringen und dort begrünen. Eine Alternative wäre auch Photovoltaik, was bereits geprüft wird.
Das wird auch das Landschaftsbild verändern.
Hohl: Wenn Vieles der Natur überlassen wird, ändert sich das Vertraute und die geschätzte Kulturlandschaft. Das wird Auswirkungen auf weitere Wirtschaftszweige haben, etwa Tourismus, Hotellerie, Gastronomie − wenn es den Gästen nicht mehr so gut gefällt bei uns.

Auch der Markt macht Ihnen Sorgen.
Hohl: Weltweit geht der Konsum zurück, allgemein wird immer weniger Alkohol getrunken. Die Gründe sind vielfältig, teils auch religiös begründet, speziell bei Zuwanderern. Hinzu kommen Ukrainekrieg, Energiekrise, Inflation, Preissteigerungen. Die allgemeine Verunsicherung führt überall zu Kaufzurückhaltung, bei Genussmitteln besonders. Und wenn gekauft wird, dann sehr günstig, das gilt gerade bei Wein.
Ist der Württemberger zu teuer?
Hohl: Im Gegenteil. Um die zuletzt regelrecht explodierten Kosten aufzufangen, um die Familien zu ernähren, um in die Zukunft zu investieren, müssten wir pro Flasche einen Euro mehr bekommen. Aber da spielt der Handel nicht mit. Wir fühlen uns zunehmend als dessen Sklaven. Von der leichten Erhöhung um fünf bis zehn Prozent zu Jahresbeginn haben die Wengerter null profitiert. Und nun will der Handel die Preise sogar wieder drücken, ein ruinöses Spiel zu Lasten der Erzeuger. Fünf große Händler haben zwei Drittel des Marktes in der Hand, drängen auf Nachlässe. Händler mit Bezug zur Region, die ganzheitlich denken, wie etwa Steffen Ueltzhöfer von Edeka, gibt es leider viel zu wenige. Das Ungleichgwicht zwischen Erzeuger und Händler schadet auf Dauer der gesamten Branche.
Wo kommt die mangelnde Wertschätzung für Lebensmittel bei uns nur her? Eine der reichsten Regionen der Welt, noch dazu nah an der Natur.
Hohl: Das liegt am Wandel der Einkaufsstätten. Früher hat man direkt beim Winzer gekauft, heute kauft man im Lebensmittelhandel. Dort steht alles nur anonym im Regal, da hilft kaum etwas bei der Kaufentscheidung, außer der Preis vielleicht. Beim Winzer hat man einen ganz anderen Bezug zum Produkt, bekommt Infos, erlebt auch etwas und gibt ein Feedback. Das hilft auch dem Erzeuger, mit passenden Produkten zu reagieren. Es gibt noch viele Familienbetriebe, wo das funktioniert, auch Genossenschaften.
Aha, also doch noch etwas Positives?
Hohl: Ja, ich denke an junge Betriebsleiter mit neuen Ideen, die sie von der Ausbildung, auch im Ausland, mitbringen. Gerade in der Krise öffnen sich daraus vielleicht Chancen, auch bezüglich neuer Wege in der Vermarktung. Meine Tochter war kürzlich auf der Classic-Messe in Berlin, die mussten schließen, weil sie überrannt wurden. Das Interesse an Wein ist also durchaus da, es gibt auch Leute, die nicht nur aufs Geld schauen, man muss sie nur suchen, hingehen und gewinnen. Da liegt viel Potenzial brach, gerade im Ausland, England, Benelux, Skandinavien.
Aber das predigen Sie doch schon 30 Jahre.
Hohl: Ja, aber bisher hatte man es nicht nötig, da die Geschäfte noch gut liefen. Aber jetzt tritt man sich im Anbaugebiet gegenseitig auf die Zehen, umwirbt dieselben Kunden, gerade hier im Heilbronner Raum, wo sich die Betriebe ballen.
Wie wird es wohl weitergehen?
Hohl: Ich glaube, dass wir in ein, zwei Jahren das Tal der allgemeinen Krise überwunden haben und sich gewisse Perspektiven öffnen. Auch durch europaweite Stilllegungen wird es kein Überangebot mehr geben, so dass die Märkte wieder ins Gleichgewicht kommen. Wenn die Stimmung besser ist, ist der Kunde auch wieder bereit, mehr auszugeben.