"Wir wollen niemanden verdrängen"
Osiander-Chef Christian Riethmüller erklärt im Interview, warum die neue Buchhandlung in Eppingen in Osianders Expansionsstrategie passt. Wie passt da die Heilbronner Experimenta hinein?

Die Zentrale des Buchhandel-Filialisten Osiander im Tübinger Süden ist eingerüstet. Im Umbau: Das gilt für die ganze Branche. Im Interview erläutert Osiander-Chef Christian Riethmüller seine Expansionsstrategie und die Pläne in der Region.
Osiander eröffnet bald eine Filiale in Eppingen. Warum gerade dort?
Christian Riethmüller: Wir machen Läden ab einer Größenordnung von 18.000 bis 20.000 Einwohnern. Da passt Eppingen ins Raster. Laut einer Studie hat das Buch zuletzt sechs Millionen Leser verloren. Das ist dramatisch. Grund ist die ständige Verfügbarkeit von Smartphone und Co. Fragt man die Leute, dann bedauern sie es, dass sie nicht mehr so viel Zeit fürs Lesen haben. Seither überlegt man fieberhaft, wie man die Menschen wieder mehr zum Lesen bekommt.
Ihre Antwort ist offenbar: Mit möglichst vielen Osiander-Filialen auch in Kleinstädten. Eppingen hat aber bereits eine etablierte Buchhandlung, gegenüber Ihrer zukünftigen Filiale.
Riethmüller: In Eppingen gibt es eine schöne Buchhandlung mit 100 Quadratmetern. Das ist nicht viel. Wenn jetzt eine weitere kommt mit 150 Quadratmetern, ist das auch noch nicht viel. Unsere Fläche ist absolut moderat, das ist unsere drittkleinste Buchhandlung. Dass wir nach Eppingen gehen, ist eine sehr gutes Signal. Da kommt eine Firma, die noch an Bücher glaubt. Und die geht nicht mit einer dreimal so großen Fläche rein wie der örtliche Buchhändler, um den plattzumachen. Der Kollege sagte ja, dass ihm vor der Konkurrenz nicht bange ist.
Das könnte Pfeifen im Walde sein. Sie glauben tatsächlich, dass Eppingen zwei Buchhandlungen verträgt?
Riethmüller: Absolut. 250 Quadratmeter Buchhandlung in Eppingen sind angemessen. Es gibt in Baden-Württemberg einige Städte dieser Größenordnung mit Nachholbedarf im Buchhandel. Wenn der Kollege 300 Quadratmeter an der Stelle hätte, würde ich da nicht aufmachen. Eppingen liegt in unserem Kerngebiet, im Umland von Heilbronn und hat eine vernünftige Kaufkraft. Wir sind vom Standort voll überzeugt.
Wollen Sie nicht lieber alles für sich und den anderen gleich übernehmen?
Riethmüller: Nein. Das hat Thalia früher an mehreren Standorten mit uns versucht, und sie mussten wieder schließen. Die örtlichen machen das in der Regel richtig gut. Nur reicht ihre Fläche oft nicht, um den Markt abzuschöpfen. Ich bin nicht so arrogant zu sagen: Wir gehen da mit 400 Quadratmetern Fläche rein und schießen jeden Konkurrenten ab. Ich will keinen Verdrängungswettbewerb.
Sie sagen, der Kuchen ist groß genug für mehrere Händler. Wo sollen die Umsätze herkommen?
Riethmüller: Vom größten Buchhändler, und das ist in Eppingen wie anderswo Amazon. Wir erhöhen die Kundenfrequenz und holen Umsätze, die ins Internet abgewandert sind, in die Stadt zurück. Wir machen das mit Arbeitsplätzen und Ausbildung vor Ort, wir zahlen Gewerbesteuer vor Ort, unterstützen soziale Einrichtungen. Wir bezahlen mit unseren Steuern die Straßen, auf denen Amazon kostenlos seine Pakete ausliefern darf.
Was will der stationäre Buchhandel den Internetriesen entgegensetzen?
Riethmüller: Wir müssen unsere Stärken bündeln, so wie wir es zuletzt mit dem E-Book-Lesegerät Tolino getan haben. Das war eine gemeinsame Initiative von fünf Konkurrenten, die sonst in den Innenstädten im Wettkampf stehen. Und wir setzen auf den Faktor Mensch, auf die persönliche Beratung.
Eine zweischneidige Sache. Viele Kunden wollen ihre Ruhe haben.
Riethmüller: Das ist richtig. Wir nehmen davon auch Abstand, signalisieren dem Kunden, dass wir da sind. Wenn er Hilfe braucht, bekommt er sie, aber wir sprechen die Kunden nicht aufdringlich an.

Bei Osiander fällt auf: Mal stehen die Bücher eindeutig im Vordergrund wie in Heilbronn, mal ist der Anteil an Non-Book-Artikeln sehr hoch.
Riethmüller: Die Unterschiede sind nicht so groß. Im Durchschnitt haben wir 30 Prozent Zusatzartikel. In Heilbronn ist der Anteil an Postkarten oder Kalendern sehr groß. Rund 80 Prozent unserer Kunden kommen nicht gezielt zu uns. Die schauen rein, kaufen ein Buch, weil ein Freund Geburtstag hat. Dann nehmen sie eine Postkarte oder etwas anderes dazu. So werden aus zehn Euro Buchumsatz 15 Euro mit Zusatzartikeln.
Zuletzt haben Sie in vielen Städten örtliche Buchhändler übernommen. Ist das Ihr Modell der Wahl?
Riethmüller: Wenn wir in eine Stadt gehen, schreibe ich immer den örtlichen Buchhändler an, bevor es in der Presse kommt. In 95 Prozent der Fälle treffen wir uns, auch wenn manchmal nichts draus wird. Richtig toll funktionieren Modelle wie zuletzt in Wangen, Achern, Kehl oder Winnenden, wo wir den örtlichen Buchhändler übernehmen, auf eine größere, besser gelegene Fläche umziehen, und der ehemalige Inhaber als Filialleiter die Buchhandlung mit seinem gesamten Team führt. Aber wissen Sie, was mich an diesen Fragen zur Konkurrenzsituation immer wundert?
Bitte.
Riethmüller: Sie werden nie gestellt, wenn in einer Stadt der dritte Handyladen oder der fünfte Bäcker aufmacht. Die können sich über den Preis bis aufs Blut bekämpfen. Das geht im Buchhandel nicht.
Ein Buch ist für viele eben keine Ware wie jede andere.
Riethmüller: Genau. Aber gerade dann müsste es ja jeden freuen, wenn noch ein Geschäft aufmacht in einer Branche, die schon x-mal totgesagt war. Wir gehen nie aggressiv vor. Vom Preis her geht das eh nicht, aber auch nicht von der Fläche.
Im neuen Experimenta-Shop haben sie 120 Quadratmeter. Wie passt das Projekt in Ihre Strategie?
Riethmüller: Da kam vor einem halben Jahr die Anfrage, ob wir nicht Bücher für den Shop liefern wollten. Wir schlugen vor, gleich den ganzen Laden zu betreiben. Die Experimenta ist im ganzen Land bekannt, fast jedes Schulkind geht da mindestens einmal hin. Das ist für uns eine tolle Gelegenheit, Kinder und Jugendliche für Bücher zu begeistern.
Osiander expandiert wie nie zuvor. Bald gibt es mehr als 60 Filialen. Ist das Ende der Fahnenstange erreicht?
Riethmüller: Wir haben keine Zahl vor Augen. Theoretisch können wir 100 Läden machen, weil wir in der Zentrale viel Platz haben und für eine neue Filiale vor Ort zunächst keine zusätzlichen Mitarbeiter hier in Tübingen brauchen. Die Logistik kann man über die Großhändler sehr gut abdecken. Ich denke aber, die Grenze wird in drei bis fünf Jahren erreicht sein.
Warum?
Riethmüller: Weil es dann kaum noch attraktive Städte gibt, wo der Buchhandel nicht ausreichend präsent ist.
Gibt es weitere Projekte in der Region Heilbronn? Konkret: Neckarsulm, Bad Rappenau, Öhringen?
Riethmüller: In Öhringen gibt es eine tolle Buchhandlung vor Ort, die auch modernisiert hat. Das ist so ein Fall: Da gehe ich nicht hin, obwohl es eine attraktive Stadt ist, weil der Buchhändler vor Ort die richtige Größe für die Stadt hat. Ansonsten muss man sehen, welche Möglichkeiten sich ergeben.
Familienunternehmen
Gemeinsam mit seinem Onkel Heinrich ist Christian Riethmüller (43) Geschäftsführer der Osianderschen Buchhandlung mit Stammsitz in Tübingen. Das Unternehmen wurde 1596 gegründet und gilt als zweitälteste Buchhandlung Deutschlands. Osiander ist in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz vertreten. Das Netz wächst von 51 auf 60 Filialen.