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"Wir saufen ab": Hochwasser überflutete vor 40 Jahren die Region

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Unwetter mit einem Schwerpunkt über Obersulm und Bretzfeld führten am 22. und 23. Mai 1978 zu schweren Überschwemmungen. Die Wassermassen füllten viele Keller und das Freibad mit Schlamm. Und das gleich mehrmals. Der ehemalige Obersulmer Bürgermeister Harry Murso blickt zurück.

Von Reto Bosch
In Bad Friedrichshall-Kochendorf wurde ein Steg gebaut.
Foto: Archiv
In Bad Friedrichshall-Kochendorf wurde ein Steg gebaut. Foto: Archiv

Im Jahr 1978 ist Harry Murso noch nicht Bürgermeister, sondern Kämmerer von Obersulm. Den Umgang mit Zahlen gewohnt, muss er sich am 22. Mai umstellen: Ein Unwetter verwüstet den Ort, und es wird zu weiteren Überschwemmungen kommen. Es entstehen Millionenschäden.

 

Herr Murso, erinnern Sie sich noch an den Notruf, den Sie vor 40 Jahren an die Feuerwehrleitstelle in Heilbronn abgesetzt haben.

Harry Murso: Sogar sehr gut. Der letzte Funkspruch aus dem Feuerwehrhaus in Affaltrach lautete: Wir saufen ab. Und genau so war es auch. Zu Fuß hätten wir das Gebäude nicht mehr verlassen können. Zum Glück stand noch ein altes Feuerwehrfahrzeug in der Garage, mit dem wir uns in Sicherheit bringen konnten.

 

Wie war die Situation in Obersulm?

Murso: Es war die gesamte Gemeinde betroffen, allerdings mit unterschiedlichen Ausprägungen. Das Zentrum des Unwetters lag über Eschenau und Bretzfeld. Es fielen 196 Millimeter Niederschlag an zwei Tagen. Im Eichelberger Kindergarten waren die Kleinen eingeschlossen. Feuerwehrleute der dortigen Abteilung hatten zusammen mit beherzten Bürgern die Kinder retten können. Affaltrach und Willsbach hatten die größten Probleme, die Innenorte waren überflutet, glichen großen Seen.

 

Die Bürger mussten ihre Keller ausräumen und viele Dinge entsorgen.
Die Bürger mussten ihre Keller ausräumen und viele Dinge entsorgen.

Wurden Menschen verletzt?

Murso: Nein, Gott sei Dank nicht.

 

Gab es jemals zuvor ein Hochwasser in dieser Dimension?

Murso: In den 30er Jahren gab es Überschwemmungen oder auch 1970. Die Menschen, die 1978 dabei waren, sagten: So etwas haben wir noch nie erlebt. Es herrschte eine gefürchtete Wetterlage. Über dem Golf von Genua stieg feuchte und warme Luft nach oben, zog über die Alpen nach Norden und traf dann auf Kaltluft aus dem Norden. Der Himmel öffnete seine Schleusen.

 

Den Breitenauer See als erstes großes Rückhaltebecken gab es schon, die vielen anderen Becken des Schutzsystems im Sulmtal noch nicht. Was wäre geschehen, wenn der See nicht zur Verfügung gestanden hätte?

Murso: Die Schäden wären viel höher ausgefallen. 800.000 Kubikmeter Wasser wären zusätzlich durch das Tal geschossen. Das musste man den Bürgern aber erst einmal erklären. Viele hatten angesichts der Überschwemmungen gedacht, dass die Rückhaltefunktion versagt hat. Zudem kam viel Wasser aus anderen Bächen. Die Schäden waren groß, ein Gebäude musste zum Beispiel komplett abgerissen werden. Die Schlosskellerei in Affaltrach hatte einen enormen Betriebsausfall.

 

Wie lange dauerte der Ausnahmezustand?

Murso: Es dauerte fast eine Woche, bis die gröbsten Reinigungsarbeiten abgeschlossen waren. Viele Heizöltanks waren aufgeschwommen. Der Landkreis schuf die unbürokratische Möglichkeit, Mobiliar zu entsorgen. Das Freibadbecken war fast vollständig gefüllt mit Schlamm. Es wurde unter Hochdruck gearbeitet und gereinigt. Und vier Wochen später, am 17. Juni, ein erneutes Unwetter mit den gleichen Folgen. Wir hatten Probleme mit der Wasserversorgung. In zwei Hochbehälter war Schmutzwasser eingedrungen, wir mussten die Bevölkerung mit Tankwagen versorgen.

 

Reißende Fluten schossen im Mai 1978 durch den Ortskern von Obersulm-Affaltrach. Es entstand hoher Sachschaden. 
Fotos: Gemeinde Obersulm
Reißende Fluten schossen im Mai 1978 durch den Ortskern von Obersulm-Affaltrach. Es entstand hoher Sachschaden. Fotos: Gemeinde Obersulm

Wie sind die Bürger mit dem Unglück umgegangen?

Murso: Teilweise herrschte große Verzweiflung, es gab aber auch große Hilfsbereitschaft. Die Landfrauen hatten dazu aufgerufen, bei Putzarbeiten zu helfen. Das hat sehr gut funktioniert.

 

Wie lange hat es gedauert, bis alle Schäden beseitigt waren?

Murso: Das ganze Jahr 1978 war davon geprägt, die Schäden zu beseitigen. Wenn ich allein an die vielen Feldwege denke, die nicht mehr benutzt werden konnten. Dabei herrschte zeitdruck, weil die Weinberge gespritzt werden mussten. Die Lösung brachte dann eine Hubschrauberspritzung.

 

Welche Lehren hat man aus den Unwettern gezogen?

Murso: Der Breitenauer See hatte viel Mittel gebunden, das war ein Kraftakt für die beteiligten Kommunen. Es wurde noch das Becken im Weißenhof gebaut, dann war erst einmal Pause. Erst nach dem Hochwasser 1993 wurde der Bau der weiteren Becken vorangetrieben. Innerhalb weniger Jahre sind dann neun Becken gebaut worden.

 

Nicht alle Grundstücksbesitzer dürften begeistert gewesen sein.

Murso: In der Tat. Schwierige Verhandlungen waren notwendig. Ganz aktuell sind die Neckarsulmer Becken "Amorbach" und "Hängelbach" in der Planung. Ich verstehe nicht, dass das Land für diese beiden Anlagen keine Fördermittel bereitstellt.

 

Fühlen sie sich vollständig geschützt?

Murso: Wenn es donnert, schaue ich regelmäßig in den Himmel und hoffe, dass es glimpflich ausgeht. Mann muss sich im Klaren darüber sein: 100-prozentigen Schutz gibt es nicht.

 


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