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Wie der Klimawandel die Vogelwelt in der Region verändert

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Draußen ist es wegen der Corona-Krise menschenleer - da lassen sich Vögel gut beobachten. Diese sind nach dem extrem milden Winter mitten in der Brutzeit. Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die heimischen Vögel? Amseln etwa leiden unter einem Tropenvirus.

von Bigna Fink
Viele Zugvögel, die im Mittelmeerraum überwintern, kehren früher zurück oder ziehen erst gar nicht in ihr Winterquartier. Vom Frühling angelockt ruhen sich Vögel auf einem Strommast in Hohenstein bei Bönnigheim aus. Foto: Andreas Veigel
Viele Zugvögel, die im Mittelmeerraum überwintern, kehren früher zurück oder ziehen erst gar nicht in ihr Winterquartier. Vom Frühling angelockt ruhen sich Vögel auf einem Strommast in Hohenstein bei Bönnigheim aus. Foto: Andreas Veigel  Foto: Andreas Veigel

Nach dem zweitwärmsten Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ist der Frühling im März 2020 in vollem Gange. Es zwitschert, singt und fliegt von überall her im Raum Heilbronn-Hohenlohe. Meisen, die den Winter bei uns verbringen, kundschaften rund zwei Wochen früher im Schnitt Nistmöglichkeiten aus. Rauchschwalben, die Frühlingsboten, kehren eher von Afrika zurück, um in der Region zu brüten.

Da es in diesem Winter keine geschlossene Schneedecke gab, sind laut Peter Fuchs vom Naturschutzbund (Nabu) Künzelsau eigentliche Zugvögel wie Turmfalken und Mäusebussarde gar nicht erst weggezogen: "Sie nutzen das Nahrungsangebot vor Ort solange es geht." Während die einen Vogelarten sich an die warmen Winter und die frühen Frühlinge anpassen, sind andere Gefiederte nicht so flexibel, wie die unten stehenden Vogelporträts zeigen.

Aufenthaltsdauer und Strecken der Zugvögel ändern sich

Bei Zugvögeln beobachtet der Heilbronner Ornithologe Wolfgang Hellwig Folgendes: "Kurz- und Mittelstreckenzieher kommen früher von ihrem Winterquartier zurück. Etwa der Star, der Zilpzalp und die Mönchsgrasmücke."

Letztere zwei kleine Vögel fliegen durchschnittlich 17, beziehungsweise 19 Tage früher in ihr Brutgebiet als noch vor gut 60 Jahren, heißt es vom Nabu Deutschland. Dies ergaben Auswertungen von Beobachtungsdaten, erschienen in der Fachzeitschrift "Ecological Indicators". Grund für die frühere Rückkehr ist der Klimawandel laut Nabu. Die Mönchsgrasmücke entwickelt sogar dem Nabu zufolge neue Routen. Innerhalb weniger Generationen haben die kleinen Vögel offenbar ihre Zugrichtung verändert. So steuern sie inzwischen nicht mehr Südfrankreich, Spanien oder Nordafrika an, sondern überdauern den Winter in Südengland.


Wegen der warmen Winter nahm Hellwig an, dass auch Möwen ihren Flug verkürzen oder ihr Bestand zurückgeht. Die Wintergäste kommen, so belegen es ihre Fußringe, großteils aus Usedom und dem Baltikum nach Heilbronn. Hellwig und seine Kollegen der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Heilbronn verzeichneten in den vergangenen Jahren einen starken Rückgang an Möwen: Nur 85 Lachmöwen zählten sie 2018/19, acht Jahre zuvor dagegen 849. Diesen Winter sahen die Vogelkundler überraschend viele Möwen, 389. So könne man noch nicht sagen, welchen Einfluss der Klimawandel auf die Tiere habe, sagt Hellwig: "Wir müssen weitere Winter abwarten."

Erstaunt habe ihn aber dieses Jahr ein schon Anfang März brütendes Höckerschwanpaar am Hagenbucher-Bau am Heilbronner Neckar. "Normal fangen die Schwäne erst Ende März mit dem Nestbau an."

Gefahr besteht für die Vögel durch die häufigen Wetterextreme

Stefan Bosch, Vogelexperte des Nabu Baden-Württemberg, sieht den häufigeren Wechsel von starken Niederschlägen zu langen Trockenphasen als Gefahr für die Vögel. "Wenn es in der Brutzeit viel regnet, dann drohen die Jungen auszukühlen durch das nasse Gefieder der Eltern. Bei extremen Trockenzeiten finden die Tiere kaum Nahrung." Doch nicht nur der Klimawandel, auch Pestizide und landwirtschaftliche Flurbereinigungen schädigen die Vogelwelt, gibt er zu bedenken.

Im eigenen Umfeld könne jeder Einzelne für die Vögel etwas beitragen, in erster Linie mit einem umweltfreundlichen Lebensstil. Sein Rat: "Gestalten Sie Ihren Garten so naturnah wie möglich mit Hecken und Wildnis. Totholz sollten Sie nicht wegwerfen. Legen Sie Reisighaufen an, damit Vögel darin brüten können."

Größere Flügel, kleinere Körper

Forscher des Field Museums aus Chicaco haben in einer Studie über 40 Jahre eine weitere Veränderung von Zugvögeln beobachtet: Die Flügel der Vögel werden größer, die Körper kleiner. Das schreiben sie in dem Fachmagazin "Ecology Letters", veröffentlicht im Februar 2020. Der Klimawandel und die Anpassung der Tiere daran könnte der Grund sein, lautet eine These der Wissenschaftler.

Die Amsel - die Anfällige

 

Durch das Usutuvirus, ein Tropenvirus durch Mücken übertragen, sterben laut Nabu mehr und mehr Amseln in Deutschland: im Sommer 2019 gut zehnmal so viele als im Jahr zuvor. Auch andere Vogelarten werden von diesem Virus befallen und können daran sterben. Fotos: Maria Nenoglyadova, Eric Isselée,JuergenL, kwasny221, Sander Meertins, waidmannsheil/stock.adobe.com
Durch das Usutuvirus, ein Tropenvirus durch Mücken übertragen, sterben laut Nabu mehr und mehr Amseln in Deutschland: im Sommer 2019 gut zehnmal so viele als im Jahr zuvor. Auch andere Vogelarten werden von diesem Virus befallen und können daran sterben. Fotos: Maria Nenoglyadova, Eric Isselée,JuergenL, kwasny221, Sander Meertins, waidmannsheil/stock.adobe.com  Foto: Vögel (141881771)

Über eine Entwicklung ist der Ornithologe Stefan Bosch besonders besorgt: Eigentlich weit verbreitete Arten wie die Amsel leiden zum Teil stark unter den veränderten Umweltbedingungen. "Seit 2011 beobachten wir ein enormes Vogelsterben bei den Amseln durch ein exotisches Virus", sagt der Vogelexperte beim Nabu, der in Leingarten aufgewachsen ist. Das Usutu-Virus werde durch Stechmücken in den überwarmen Wintern übertragen.

Die Brutperioden der Amseln ziehen sich deutlich länger hin, fällt Peter Fuchs auf. Der Aktive beim Nabu Künzelsau hat beobachtet, dass sie dieses Jahr anstatt erst im März bereits im Februar mit dem Nestbau starteten. Die Amsel ist kein ausgeprägter Zugvogel mehr, wobei die Weibchen häufiger in den Süden ziehen. Seit 2005 nehmen die Überwinterungen von Amsel- und Buchfinkweibchen in der Region zu, beobachtet Fuchs. "Vermutlich liegt es daran, dass das Nahrungsangebot größer ist, oder weil die Überwinterer mehr Chancen haben zu überleben."

Die Kohlmeise - die Flexible

Kohlmeisen gelten unter Ornithologen als sehr anpassungsfähig. Bei warmen Temperaturen brüten  die in der Region Heilbronn und Hohenlohe sehr häufig vorkommenden Vögel früher.
Kohlmeisen gelten unter Ornithologen als sehr anpassungsfähig. Bei warmen Temperaturen brüten die in der Region Heilbronn und Hohenlohe sehr häufig vorkommenden Vögel früher.  Foto: Vögel (141881771)

Die Kohlmeise gehört zu den am meist verbreiteten Vogelarten in der Region. Die größte Art unter den Meisen wurde in Heilbronn-Hohenlohe laut der "Stunde der Wintervögel", einer vom Nabu organisierten Vogelzählung, neben dem Spatz (Haussperling) am häufigsten in Gärten gesichtet. Kohlmeisen gelten unter Ornithologen als sehr anpassungsfähig. So berichten Forscher im Fachmagazin "PLOS Biology", dass britische Kohlmeisen mit jedem steigenden Grad knapp fünf Tage eher im Frühjahr brüten.

Allerdings drohe die Gefahr laut Stefan Bosch vom Nabu Baden-Württemberg, dass die Kohlmeise zu früh dran ist, und es für sie und den Nachwuchs noch gar nicht genug Raupen, ihre Hauptnahrung, gibt. Beutegreifer wie der Siebenschläfer seien früher unterwegs und beseitigten die Nester. Mit der rasanten Erderwärmung drohen auch Meisen kaum mitzuhalten, nehmen Wissenschaftler des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung im Journal "Nature Communications" (2019) an.

Der Buntspecht - der Schädlingsfresser

Durch den Klimawandel vermehren sich die Borkenkäfer. Für die Spechte sind diese gefährlichen Schädlinge des Waldes ein gefundenes Fressen.
Durch den Klimawandel vermehren sich die Borkenkäfer. Für die Spechte sind diese gefährlichen Schädlinge des Waldes ein gefundenes Fressen.  Foto: Vögel

 

Den Buntspecht, den Zimmermann des Waldes, hört man in den Wäldern der Region schon seit Januar trommeln. Der in Deutschland am weitesten verbreitete Specht ist in der Balz und grenzt sein Revier ab, indem er mit dem Schnabel gegen Baumstämme klopft. Nachdem 2019 in der Region Heilbronn und Hohenlohe in der Nabu-Vogelzählung in Gärten auffallend wenig Buntspechte gesehen wurden, waren die Beobachtungen dieser genügsamen Vögel 2020 wieder deutlich mehr, zum Teil mehr als 100 Prozent.

Durch den Klimawandel vermehren sich die Borkenkäfer. Für die Spechte sind diese gefährlichen Schädlinge des Waldes ein gefundenes Fressen. Deshalb vermuten einige Ornithologen, dass der Bestand der gefiederten Baumkletterer vorübergehend bei uns wächst. "Das sind nur ungesicherte Annahmen", betont Vogelexperte Stefan Bosch. Aber es sei wahrscheinlich, dass der Buntspecht von dem Borkenkäferbefall profitiere. Somit stelle er einen biologischen Schädlingsbekämpfer dar.

Der Kuckuck - der Zuspätkommer

Wenn der Kuckuck zurück von seinem Winterquartier fliegt, sind viele andere Vögel mit Brüten schon viel weiter. So findet der bekannte Brutparasit kein fremdes Nest mehr, wo er seine Kuckuckseier unauffällig hineinlegen kann.
Wenn der Kuckuck zurück von seinem Winterquartier fliegt, sind viele andere Vögel mit Brüten schon viel weiter. So findet der bekannte Brutparasit kein fremdes Nest mehr, wo er seine Kuckuckseier unauffällig hineinlegen kann.  Foto: Vögel

Einer der Verlierer des Klimawandels ist der Kuckuck, der Zugvogel mit dem eingängigen Ruf. In Deutschland geht sein Bestand seit den 60ern stark zurück, heißt es beim bayrischen Landesbund für Vogelschutz. Der große Vogel ist Langstreckenzieher, überwintert südlich der Sahara. "Da der Kuckuck keine Wetter-App hat wie wir, weiß er nicht, dass der Frühling bei uns schon früher losgeht und kommt zu spät", sagt Nabu-Vogelexperte Stefan Bosch.

Der Kuckuck fliege los, wie es für ihn seit Jahrtausenden sinnvoll war, genetisch programmiert. "Er kommt, wenn die Natur viel weiter ist, stößt auf wenig Nahrung. Raupen etwa sind schon Schmetterlinge." Vor allem ist der Brutparasit angewiesen, seine Eier in fremde Nester zu legen. "Nun brüten die Wirtsvögel aber früher, der Kuckuck findet kein Nest mit Eiern mehr."

Peter Fuchs aus Künzelsau beobachtet jedoch eine Anpassung dieser Zugvögel: "Der Kuckuck kommt fast zwei Wochen früher als vor 20 Jahren aus dem Winterquartier zurück, ist bereits vor dem 10. April da."

 

Der Star - der Abkürzer

Der Star ist kein ausschließlicher Zugvogel mehr. Einige der Kurzstreckenzieher sind an warmen Wintern zu Standvögeln geworden und  überwintern in der Region.
Der Star ist kein ausschließlicher Zugvogel mehr. Einige der Kurzstreckenzieher sind an warmen Wintern zu Standvögeln geworden und überwintern in der Region.  Foto: Vögel (46941161)

Im Winter beobachtet Peter Fuchs, Hobby-Ornithologe in Künzelsau, wesentlich mehr Stare als vor 30 Jahren. Früher waren Trupps von Staren im Winter die Ausnahme, nun ist es eher die Regel. Galt der berühmte Singvogel also noch vor wenigen Jahrzehnten als klassischer Zugvogel, legt er kürzere Strecken zurück, um zu überwintern.

Kurzstreckenzieher mit ursprünglichem Ziel Mittelmeerraum wie Stare, Singdrosseln und Kiebitze werden zu Standvögeln, ziehen also laut Nabu mitunter gar nicht mehr oder weichen der Kälte kurzfristig aus. Anders als Langstreckenzieher reagieren Stare auf die verfrühten milden Temperaturen in ihrem Winterquartier, sagt Nabu-Vogelfachmann Stefan Bosch. "Aber auch der Bestand der Stare nimmt deutlich ab." Inwiefern der Klimawandel direkt mit dem Rückgang zusammenhängt, sei nicht sicher. Hauptsächlich leide er unter der industriellen Landwirtschaft, so Bosch. Wo der Star kaum Wiesen und Hecken auffinde, fehle es an Brutmöglichkeiten und Nahrung.

 

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