Wie der Heilbronner Dekan Rossnagel Weihnachten erklärt
Der katholische Heilbronner Dekan Roland Rossnagel über die Relevanz von Weihnachten in Zeiten von Krisen, Kriegen und Terror, über die Zukunft der Kirche und über die geplante Moschee mitten in Heilbronn.

Weihnachten steht vor der Tür, das Fest des Friedens, der Freude. Klingt das angesichts von Kriegen und Krisen nicht wie Hohn? Was hat denn der christliche Glaube zu bieten? Wie steht der katholische Dekan Roland Rossnagel zu einem Moschee-Neubau mitten in Heilbronn? Und überhaupt: Ist ihm tatsächlich zum Feiern zumute? Im Stimme-Interview weicht Rossnagel diesen und anderen Fragen nicht aus.
Die Weltlage und die Situation in unserem Land geben wenig Anlass zum Jubeln. Was hat da die Kirche zu sagen, was ist ihre Weihnachtsbotschaft?
Roland Rossnagel: Die Kernbotschaft lautet: Gott lebt mit uns. Gleichzeitig nimmt er uns das Leben nicht ab. Vielmehr traut er es uns zu. Damit sind wir in der Pflicht, aber auch im Trost. Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist für mich die grandiose Feier der Wiedereinweihung der Kathedrale Notre Dame in Paris. Der Einzug der vielen, die bei den Löscharbeiten ihr Leben riskierten und die kunstvoll am Wiederaufbau mitwirkten, schien kein Ende zu nehmen. Sie trugen dazu bei, dass die Herzen aller berührt und zu Gott erhoben wurden.
Bei Jubiläen oder an Feiertagen mag das noch ankommen. Aber welche nachhaltige Bedeutung hat Weihnachten für die Gesellschaft?
Rossnagel: Auch wenn der Kern des Festes von der Mehrheit nicht mehr erfasst wird, bleibt doch die wichtige Zusage unseres Glaubens, dass die Menschheit nicht nur auf sich selbst gestellt ist, sondern dass es im Leben noch eine andere Kraft gibt, die hin zum Guten führt, zum Verstehen, zum Frieden.
Okay. Das klingt gut, aber die Realität sieht anders aus, ich sage nur Ukraine und Nahost.
Rossnagel: Neid, Missgunst, Rachgier, Zerstörungswillen sind von uns Menschen zu verantworten, nicht von Gott. Die Freiheit des Menschen ist Gott wichtig.
Die menschlichen Schattenseiten sieht man auch bei uns im Land. Der Anschlag in Magdeburg ist ein furchtbares Zeichen dafür.
Rossnagel: Worte vermögen angesichts des Leids der Menschen in Magdeburg keinen Trost zu spenden. Ich bete mit so vielen, die sich solidarisch zeigen, dass Gott sie seine Nähe und seinen Trost spüren lassen möge. Niemand weiß zum jetzigen Zeitpunkt genau, was den Täter dazu trieb. Spekulationen verbieten sich angesichts des unsäglichen Leids. Grundsätzlich beobachte ich, dass sich manche Menschen radikalisieren, wenn sie für sich keine Lebensperspektive erkennen, wenn sie verunsichert sind und Halt darin suchen, andere zu Sündenböcken zu machen. Umso mehr darf man nicht nachlassen, das Miteinander zu suchen, zu reden, in Beziehung treten.
Hieße das im Blick auf die Politik: Koalitionen mit extremen Parteien sind nicht tabu?
Rossnagel: Koalitionen zu finden, ist eine Aufgabe von Politikerinnen und Politikern. Aber bei sachlichen Themen muss man mit allen ins Gespräch kommen, die ein politisches Mandat haben; das zeigt sich auch im Gemeinderat. Wir können niemanden ausschließen aus der Gesellschaft, aus der Stadtgemeinschaft, nur weil uns die Gesinnung nicht passt. Ausgrenzung und Marginalisierung gehören zu den Ursachen von Extremismus.
Nicht nur die Welt ist nicht perfekt, lassen Sie uns zur Kirche kommen. Vor kurzem stand in Rom eine Weltsynode an. Welches Signal geht davon aus?
Rossnagel: Natürlich hätte ich mir Reformen gewünscht, was die Rolle der Frau betrifft oder die Loslösung des Priesteramts vom Zölibat. Da muss etwas passieren. Gleichwohl bin ich ein Fan dieser Synode, weil es mich beeindruckte, wie alle einander zuhörten und die Probleme der anderen Länder der Welt aufnahmen. Auch den Deutschen tat es gut zu hören, womit andere Kirchen, etwa die asiatische oder die afrikanische, zu kämpfen haben. Die Vorgehensweise, zunächst zuzuhören und nicht nur Standpunkte zu verteidigen, führt zu einem tragfähigen und universalen Konsens. Das wünschte mir auch für die Uno. Das zweite ist meine Hoffnung, dass bald die verschiedenen Ortskirchen eigene Wege gehen dürfen.
Lassen Sie uns in unsere Diözese blicken, auf den neuen Bischof Dr. Klaus Krämer. Er hat Strukturreformen angekündigt. Was heißt das?
Rossnagel: Zunächst geht es ihm darum, über eine breite Basis zu Entscheidungen zu kommen, eben auf einem synodalen Weg des Zuhörens. Das Kernproblem ist bekannt: Die Zahl der Priester sinkt, aber auch die der Gläubigen und damit die Finanzen. Das wird neue Zuschnitte für die Seelsorgeeinheiten mit sich bringen. Gleichzeitig hat die Kirche viele Immobilien. Bisher stehen aber keine Kirchengebäude auf dem Prüfstand, sondern, so heißt es, nicht sakrale, steuerfinanzierte, zu beheizende Gebäude. Sie sollen um 30 Prozent reduziert werden. Dieser Prozess hat aber erst begonnen.
In Heilbronn geschieht ja bald das Gegenteil. Ein neues Gotteshaus soll gebaut werden. Nicht von Christen, sondern von Muslimen. Wie denken Sie über die geplante Moschee mitten in der Stadt?
Rossnagel: Die Religionsfreiheit ist ein sehr hohes Gut und hat in unserem Land Verfassungsrang. Ich fühle mich jedem Menschen in dieser Stadt verwandt, der an Gott glaubt, egal auf welche Weise er Gottesdienst feiert. Von daher begrüße ich es sehr, dass die islamische Gemeinde Ditib diesen Neubau nun nach langer Planung, vielen Zugeständnissen und langem Warten realisieren kann. Die Frage bleibt für mich, inwieweit da vielleicht politische Kräfte im Verborgenen wirken, die mit der freien Ausübung des Glaubens nichts zu tun haben.
Um das herauszufinden, könnte man das Gespräch mit den Muslimen suchen.
Rossnagel: Ja, das tun wir seit Längerem. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass die Imame immer wieder wechseln und man den Gesprächsfaden dann neu aufnehmen muss. Doch dass wir gesprächsbereit bleiben, auch miteinander Wege und Lösungen für ein friedliches Zusammenleben suchen, ist unerlässlich, sei es auf kommunaler Ebene, sei es mit anderen Kirchen oder Gruppen.
Zurück zur Advents- und Weihnachtszeit, die gerade für einen Pfarrer mit viel Arbeit verbunden ist. Wie kommen Sie da eigentlich zur Ruhe?
Rossnagel: Ich bin vielleicht ein Sonderfall, weil ich unheimlich gerne Gottesdienste feiere und wirklich etwas vom Geheimnis der Menschwerdung Gottes im feierlichen Gottesdienst mit vielen anderen erfahre. Wenn hinter mir der Chor steht und das Orchester, wenn die Musik mein Herz öffnet, dann ist tatsächlich Weihnachten.
Welches Weihnachtslied oder welcher weihnachtliche Text geht Ihnen besonders nahe?
Rossnagel: Ich singe dieses Jahr, und zwar aus vollem Herzen, besonders gerne "Ich steh an deiner Krippe hier", speziell die zweite Strophe: "Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren. Und hast dich mir zu eigen gar, eh ich dich kannt", erkoren." Dahinter steckt ein wunderbarer Gedanke, der auch mir immer wieder Kraft gibt und Freude schenkt, nämlich: von Gott erwählt zu sein. Und weiter: "Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne." Das singe ich gerne, weil ich derzeit viele, unter anderem einen jungen Mann, in ihrer schweren Krankheit begleite. Es ist ein Trost, dass in aller Dunkelheit immer auch Gottes Licht scheint.