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Weinlese am Neckarsulmer Scheuerberg: So läuft die Traubenernte mit der Hand

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In Baden-Württemberg läuft die Traubenlese auf Hochtouren. Auch bei Familie Berthold am Neckarsulmer Scheuerberg ist ein buntes Leseteam am Start. Wie läuft die Traubenernte ab?

Im Frühtau zu Berge: Lesehelfer brauchen eine gute Kondition und müssen wetterfest sein, so wie zum Beispiel dieses starke Quartett (von links) Jochen Kittkowski, Brigitte Berthold, Harald Schübel und Sigrid Kühner.
Im Frühtau zu Berge: Lesehelfer brauchen eine gute Kondition und müssen wetterfest sein, so wie zum Beispiel dieses starke Quartett (von links) Jochen Kittkowski, Brigitte Berthold, Harald Schübel und Sigrid Kühner.  Foto: Kunz, Christiana

Silas (1) sitzt in aller Ruhe im Schatten eines Rebstocks und genießt einen Samtrot mit zuckersüßen 90 Grad Oechsle. Beerle für Beerle Qualität. Theo (2) hat es ihm vorgemacht. Als er seinen Freund im Buggy, geschoben von Oma Doris Merkle, anrollen sieht, winkt er ihm zu: mit einer Traube. Am Neckarsulmer Scheuerberg scheint die Welt noch in Ordnung zu sein, zumindest bei Familie Berthold, zumindest an diesem kühlen, aber von der Sonne vergoldeten Septembertag. Es gibt sie noch, die Traubenlese wie aus dem Bilderbuch, wie im Familienalbum, von Hand, mit einem eingespielten Team aus drei Generationen, lauter fleißige und zufriedene Menschen. Oder?

Wein vom Neckarsulmer Scheuerberg: Hohe Qualitäten haben auch ihren Preis

"Auch wir haben den Vollernter im Einsatz, aber nur auf zehn Prozent der Fläche", erklärt Hermann Berthold als Seniorchef des gleichnamigen Weinguts. Die restlichen zehn Hektar würden von Hand gelesen. Das koste bei einem Mindestlohn von 12,41 Euro pro Stunde mit 2000 Euro pro Hektar zwar doppelt soviel wie die Maschinenlese. Aber letztlich zähle die Qualität.


Winzer vom Neckarsulmer Scheuerberg haben Widrigkeiten gut in den Griff bekommen

"Da kann ich den Lesleut sagen: Bitte nur solche Trauben in den Eimer, die ihr selber essen würdet." In diesem Jahr muss der 69-Jährige seinem bis zu 15 Mann und Frau starken Team aus Neckarsulm, Erlenbach, Obereisesheim, Bad Wimpfen und Bad Friedrichshall gar nicht so sehr auf die Finger schauen. Hier ein fauliges Beerchen, da eine hutzelige Rosine. "Insgesamt ist alles sehr gesund." Der Kirschessigfliege sei es zunächst zu heiß gewesen, dann zu kalt. Auch den Falschen Mehltau hätten er und sein Sohn Ludwig in Griff bekommen. "Und nach dem Regen mussten wir vor allem bei kompakten Burgundersorten aufpassen, weil sich die Beeren erdrücken und platzen könnten."

Wein-Ernte in Neckarsulm: Erfahrene Lesehelfer haben den Dreh am Rebstock raus

Ruth Braun stupfelt mit ihrer Schere vorsichtig das eine oder andere Beerchen aus der knackigen Samtrot-Traube. "Wir haben früher selber Wengert gehabt", berichtet die Neckarsulmerin, die den Dreh raushat. Vor fünf Jahren sei sie bei Bertholds eingestiegen, nicht zuletzt aus alter Verbundenheit. "Hermann und ich sind beide Jahrgang 1954." Schon gut 15 Jahre mit von der Lese-Partie ist Monika Jonan, die mit ihren 83 Lenzen selbst Steillagen bewältigt. "Lesen hält fit und macht Spaß", weiß die gelernte Krankengymnastin aus Bad Friedrichshall. "Man muss sich halt nur passend anziehen." Zur Not habe sie stets ein Regencape im Beutel. Eigentlich stammt Monika Jonan von der Ahr, der deutschen Spätburgunder-Hochburg. Sie lernte aber auch gute Tropfen aus Bordeaux zu schätzen, dank ihres Ehemannes, einem gebürtigen Franzosen, mit dem sie lange in Paris lebte.

Vorruheständler aus Neckarsulm ist Hobby-Wengerter aus Leidenschaft

Als frisch gebackener Vorruheständler widmet sich der ehemalige Leiter des Neckarsulmer Ordnungsamts, Bernd Pfitzenmaier, verstärkt seinem Hobby, dem Weinbau. "Ich freue mich über jeden Tag, wo ich im Wengert sein kann," nicht nur als Lesehelfer, sondern als Hobby-Wengerter. Neben seiner Riesling-Anlage in Erlenbach schafft der 61-Jährige seit dem Jahrgang 2024 in Duttenberg drei weitere Weinberge.

Routinierter Schmalspurschlepperfahrer aus Polen

Aus Ostrowiec Swietokrzyski in Polen stammt Zbiegniew Koslowski. Er habe schon 35 Herbste auf dem Buckel, berichtet der 59-jährige Buttenträger und Feuerwehrmann, der für die Lese extra Urlaub nimmt. Routiniert chauffiert er mit dem Schmalspurschlepper die vollen Traubenboxen durch die Rebzeilen zum nahen Anhänger - mit dem das Lesegut schließlich das Weingut neben dem Aquatoll erreicht.

Von der Lese zum Mittagstisch in die Besenwirtschaft

Der 33-jährige Juniorchef und Oenologe Ludwig Berthold nimmt mit einem Gabelstapler Box für Box in Empfang und hievt den Inhalt in die Abbeermaschine. Während die Beerchen in einem Zuber tanzen, tischt Doris Merkle, die vorhin noch den Spaziergang mit Silas zur Stippvisite bei der Lese genutzt hat, den Mittagstisch auf. "Heute gibt es mit Käse überbackene Maultaschen, oder sagen wir: schwäbische Lasagne."

Seit Dienstag riecht es im Hof verdächtig nach Schlachtplatte. Bis Sonntag laden die Bertholds zum "Kürbisbesen". "Habt ihr jetzt eigentlich nicht genug zu tun?", fragt ein Gast. "Naja", meint die 28-jährige Ursula, die fürs Marketing zuständig ist. "Im Herbst sind die Menschen besonders offen fürs Thema Wein. Das muss man nutzen. Alles eine Frage der Organisation."

 
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