Was wussten die Sicherheitsbehörden?
Für die Angehörigen der Mordopfer des NSU gibt es auch mit der Verurteilung Zschäpes noch Fragen. Den Ermittlern werden Fehler vorgeworfen, das hatte Konsequenzen.

Zwei Leichen und acht Schusswaffen in einem brennenden Wohnmobil: Mit diesem grausigen Fund in Eisenach in Thüringen flog vor zehn Jahren die NSU-Terrorzelle auf.
Erst nach dem blutigen Ende von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 dämmert der Polizei, dass es Neonazis waren, die zwischen 2000 und 2007 acht Gewerbetreibende mit Wurzeln in der Türkei, einen griechischen Schlüsseldienstbetreiber und eine junge Polizistin töteten.
Vertrauen beschädigt
Dass nach den Attentaten jahrelang in die falsche Richtung ermittelt wurde - die Vermutungen gingen in Richtung Drogengeschäfte und Organisierte Kriminalität - hat tiefe Spuren hinterlassen. "Die NSU-Mordserie hat sich wirklich in das kollektive Gedächtnis von türkeistämmigen Menschen eingebrannt", resümiert die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD). Das Vertrauen in Polizei und Verfassungsschutz sei damals schwer beschädigt worden.
Vom NSU-Trio selbst konnte nur noch Beate Zschäpe vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Das Oberlandesgericht München verurteilte sie als Mittäterin zu lebenslanger Haft. Außerdem stellten die Richter die besondere Schwere der Schuld fest. Ralf Wohlleben wurde als Waffenbeschaffer wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt, Holger G. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft. Diese Urteile sind bereits rechtskräftig. André E. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, über eine Revision ist hier noch nicht entschieden.
Die Arbeit der Behörden "war in Teilen geprägt von chaotischen Zuständen und Mitarbeitern, an deren fachlicher Eignung Zweifel angemeldet werden dürfen", meint der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser. Der Berliner Politologe und Buchautor Hajo Funke macht seine Kritik auch an Personen fest. Er sagt: "In der Zeit vor der Enttarnung des NSU hat vor allem der bayerische Innenminister Günther Beckstein von der CSU verhindert, dass die Ermittlungen zu dieser Mordserie in Richtung Rechtsextremismus gingen. Dabei gab es schon damals im Bundeskriminalamt durchaus Beamte, die der Frage nachgehen wollten, ob da Rechte hinter stecken." Das habe ihm der Anfang September verstorbene ehemalige BKA-Vizepräsident Jürgen Maurer noch kurz vor seinem Tod bestätigt. "Später war es Hans-Georg Maaßen, der nach dem Skandal um geschredderte Akten als neuer Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz eigentlich einen Neuanfang in dieser Behörde hätte anstoßen sollen, der die lückenlose Aufklärung zum NSU-Komplex behindert hat."
Suche nach dem Motiv
Vor allem zwei Fragen treiben Beobachter, Ermittler, Angehörige und auch Maaßens Nachfolger Thomas Haldenwang um: Was war das Motiv für den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn? Und ist es wirklich möglich, dass sich ein Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz während der Ermordung des Internetcafé-Betreibers Halit Yozgat in Kassel in direkter Nähe aufhielt, aber trotzdem nichts sah oder hörte? Hajo Funke hat auch Zweifel an der Darstellung dessen, was am 4. November 2011 in dem Wohnmobil geschah. Dass zwei schwer bewaffnete Terroristen, die schon oft getötet haben, ihrem Leben ein Ende setzen, weil sich zwei Polizisten ihrem Fahrzeug nähern, leuchtet ihm nicht ein. Er sagt: "Das war kein doppelter Selbstmord. Davon gehe ich aus."
Die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes wurde reformiert, die Kontrolle durch das Parlament gestärkt. "Es ist einiges in Bewegung gekommen, aber wir sind noch lange nicht da, wo wir gerne hingekommen wären", sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Marx, die in beiden Untersuchungsausschüssen mitwirkte. Ein Dunkelfeld sei immer noch die Rolle der Polizei beim Behördenversagen zur Aufklärung der NSU-Taten geblieben, findet sie. Man habe nicht herausfinden können, was Vertrauenspersonen der Polizei wussten.
Der Magdeburger Soziologe und Extremismus-Experte Matthias Quent schrieb seine Doktorarbeit über die Terrorgruppe. Er hält es für schwer vorstellbar, dass heute eine solche Mordserie verübt werden könnte, ohne dass ein rassistisches oder rechtsextremes Tatmotiv in Erwägung gezogen wird. Grund sei aber, dass sich Betroffene heute stärker zu Wort meldeten.