Warum infizierte Pflegekräfte arbeiten dürfen
Der Großteil des Personals und der Bewohner eines Seniorenheims in Abstatt ist vom Coronavirus betroffen. Trotzdem darf das Personal weiter arbeiten. Der Heimleiter und Landkreis verweisen auf die Notsituation und eine besondere Regel für Ausnahmesituationen.

Das Seniorenheim in Abstatt hat ein Problem, das bald zahlreiche Heime haben dürften: Ein großer Teil sowohl der Bewohner als auch des Personals hat sich innerhalb kurzer Zeit mit dem Coronavirus infiziert. Die Angehörige einer Bewohnerin in dem Heim hatte den Umgang mit der Situation kritisiert - das infizierte Personal betreue und pflege hier die am meisten gefährdeten Menschen, schreibt sie der Heilbronner Stimme.
Bereits nach dem ersten bestätigten Fall habe man informiert, sagt Heimleiter Bernd Schulz-Ellgaß, mittlerweile sind über 20 der insgesamt 38 Bewohner und 18 der 27 Angestellten positiv getestet worden. Er schildert die schwierige Situation und die Notwendigkeit, auch infiziertes Personal mit kompletter Schutzkleidung weiterarbeiten zu lassen, damit der Pflegebetrieb nicht zusammenbricht.
Erster solcher Fall im Landkreis
Eine Empfehlung des Robert-Koch-Instituts ermögliche den Heimen, unter bestimmten Bedingungen auch infiziertes Personal weiterarbeiten zu lassen. "Das ist keine Einzelgenehmigung für ein einzelnes Heim, sondern das kann jedes Heim in Anspruch nehmen, wenn die Sicherstellung der Versorgung bedroht ist", sagt Landratsamtssprecher Manfred Körner.
Es sei der erste derartige Fall im Landkreis Heilbronn. "So erfreulich die Ergebnisse der Abschottungsmaßnahmen etwa im Seniorenheim in Bad Rappenau sind, hat nicht jedes Heim die räumlichen Möglichkeiten dafür."
Die Angehörige, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen will, beruhigt das nicht. Trotz Schutzkleidung sei der Zustand unhaltbar. Es würden Menschen betreut, "die alt und krank sind und einen solchen Virus in vielen Fällen nicht überstehen werden. Dieses Risiko wird billigend in Kauf genommen." Sie mahnt die Isolierung noch gesunder Bewohner an. "Meine Mutter wurde ebenfalls getestet, sie war negativ. Trotzdem wird sie wissentlich dieser Gefahr ausgesetzt." Sie habe Bedenken, ob die Hygienemaßnahmen ausreichten und Zweifel, ob diese eingehalten würden.
Nur mit Schutzausrüstung und ohne Symptome
Heimleiter Schulz-Ellgaß weist darauf hin, dass sich infizierte Mitarbeiter nur um infizierte Bewohner kümmerten und gesunde um gesunde. "Aber man darf auch nicht naiv sein. Die Fehlerquote bei den Tests ist hoch. Es ist nicht gesagt, dass tatsächlich negativ ist, wer negativ getestet wird. Deswegen arbeiten bei uns alle Mitarbeiter mit maximaler Schutzausrüstung." Das infizierte Personal dürfe zudem nur arbeiten, wenn es keine Krankheitssymptome zeige.
Mit Hilfe von Abstatts Bürgermeister Klaus Zenth sei man noch für einige Zeit mit Schutzausrüstung versorgt, sagt der Heimleiter. "Ich freue mich, dass uns die Mitarbeiter die Stange halten, das könnte auch ganz anders aussehen. Viele könnten sich auch problemlos krankschreiben lassen."
Landratsamtssprecher Körner tritt zudem dem Gerücht entgegen, eine Corona-Infektion würde durch den Kontakt mit weiteren Infizierten verschlimmert. "Längerer Kontakt erhöht das Risiko einer Infektion, aber wer infiziert ist, kann nicht noch weiter infiziert werden." Das habe das Gesundheitsamt des Landkreises mitgeteilt.
Wie sich die Situation in Kliniken gestaltet
Auch in Krankenhäusern ist das Personal knapp. Dennoch bewertet Annette Baumer die Situation anders als im Fall der Pflegeheime. Sie ist Sprecherin der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft. In dem Verein haben sich 412 Krankenhausträger zusammengeschlossen. „Die Krankenhäuser haben direkten Zugang zu Testmöglichkeiten, so dass unerkannte Infektionsketten seltener als in Heimen vorkommen dürften.“
Ein Einfallstor sieht sie dennoch: „Wenn sich die Versorgung mit Schutzausrüstung nicht stabilisieren sollte, könnten die erforderlichen Schutzmaßnahmen nicht mehr getroffen werden“, erläutert die Sprecherin. „Dann könnte sich das Krankenhauspersonal vermehrt anstecken.“ In so einem Fall könnte doch noch eintreten, was im Abstatter Heim passiert. „Wenn es zu einem späteren Zeitpunkt der Epidemie nicht ausreichend nichtinfiziertes Personal in den Krankenhäusern geben sollte, ist das nicht auszuschließen.“