Stimme+
Region
Lesezeichen setzen Merken

Warum Heilbronn beim Einkommen doch nur Mittelmaß ist

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Heilbronn lag in bundesweiten Einkommensvergleichen meistens an der Spitze. Nun belegt eine Statistik der Arbeitsagentur, dass dies nur die halbe Wahrheit ist.

Von Jens Dierolf

In Einkommensvergleichen nimmt die Stadt Heilbronn regelmäßig Spitzenplätze ein. Die Bürger hier verfügten über das höchste Durchschnittseinkommen, heißt es regelmäßig in amtlichen Statistiken.

Zuletzt bezifferte das Regierungsdatenportal GovData das durchschnittliche Einkommen Heilbronns 2017 auf 42.000 Euro. Es lag damit auf Platz eins vor dem Kreis Starnberg (35.000 Euro) oder München (30.000).

Bürger der Käthchenstadt müssten nach dieser Lesart nur 16 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für den Wohnraum ausgeben − im Gegensatz etwa zu Frankfurt, wo dieser Anteil bei 50 Prozent liegt. Neue Zahlen der Arbeitsagentur zeigen nun, wie falsch diese Einschätzung ist. Heilbronn schneidet demnach beim Einkommen im Landesschnitt sogar unterdurchschnittlich ab.

 

Warum liegt Heilbronn in offiziellen Einkommensstatistiken vorne?

Es ist alles eine Frage der Auswertung. Grundlage der offiziellen Regierungsstatistik ist das sogenannte arithmetische Mittel. Alle Einkommen werden danach zusammengezählt und durch die Summe der Personen geteilt, die diese Einkommen erwirtschaften. Bei dieser offiziellen Statistik werden auch Einnahmen aus Teilzeitarbeit berücksichtigt.

Was die Statistik aus Heilbronner Perspektive enorm verzerrt, sind die 39 Einkommensmillionäre der Stadt, darunter Lidl-Eigentümer und Multi-Milliardär Dieter Schwarz. Diese 39 Personen erwirtschaften 43,3 Prozent aller Einkünfte der Stadt, auf Landesebene erwirtschaften die Einkommensmillionäre 4,1 Prozent. Anders formuliert: In Heilbronn ist das Einkommen so ungleich verteilt wie in keiner anderen deutschen Großstadt.

 

Wieso kommt die Arbeitsagentur in ihrer Statistik zu einem ganz anderen Ergebnis?

Sie zieht als mittleres Einkommen nicht das arithmetisches Mittel heran, sondern den Medianwert aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten. Die eine Hälfte der Menschen verdient mehr als dieser Wert, die andere weniger. Beispiel: Man sortiert 99 Einkommen nach ihrer Größe. Der Medianwert ist der Wert auf Rang 50. Diese Berechnung ist weit weniger anfällig für extreme Ausreißer.

 

Wie schneidet die Region in dieser aktuellen Statistik ab?

Heilbronn liegt mit einem mittleren Brutto-Vollzeitverdienst von 3372 Euro über dem Bundes-, aber unter dem Landesmittel (siehe Grafik). Das gilt auch für den Kreis Schwäbisch Hall (3283) oder den Main-Tauber-Kreis (3189). Der Hohenlohekreis (3559) liegt leicht über dem Landesmittel, der Landkreis Heilbronn (3771) deutlich. Diese Angaben beziehen sich auf den Arbeitsort. Die Statistik führt auch die Einkommenssituation nach Wohnort auf. Auch hier liegt Heilbronn mit einem mittleren Einkommen von 3320 Euro unter dem Landesschnitt genau wie − in diesem Vergleich − der Hohenlohekreis (3483). Der Landkreis Heilbronn (3592) liegt auch in dieser Erhebung über dem Mittel.

 

Was zeigt die Studie noch auf?

Sie belegt Bekanntes mit konkreten Zahlen: Dass etwa der mittlere Verdienst im Osten mit 2600 Euro deutlich unter dem im Westen der Republik (3339) liegt. Oder dass Frauen mit 2920 Euro viel weniger verdienen als Männer. Der Verweis darauf, dass viele Frauen nur Teilzeit arbeiten, gilt hier übrigens nicht als Begründung. Denn es werden nur Vollzeitstellen verglichen.

Dass Ausländer weniger verdienen, ist bekannt. Wie gravierend der Unterschied ist, zeigen die Zahlen: 2462 zu 3294 Euro. Entscheidend für die Höhe des Einkommens ist die Qualifikation. Bei 2425 Euro liegt das mittlere Einkommen von Personen ohne Berufsabschluss, bei 3096 von Menschen mit abgeschlossener Ausbildung, Akademiker verdienen mit 5013 Euro mit Abstand am meisten.

 

Wie schätzen Experten die Einkommenssituation der Region ein?

Die Heilbronner DGB-Kreisvorsitzende, Silke Ortwein, bezeichnet die aktuelle Statistik als sehr viel aussagekräftiger als die erwähnten anderen Erhebungen. Heilbronn weise eine sehr ungleiche Einkommensverteilung auf und eine sehr große Bandbreite − "mit großen Löchern, etwa zwischen den Spitzenverdienern und der Mittelschicht". Zwar schufen Mittelständler und Weltmarktführern sehr viele gut bezahlte Arbeitsplätze. Hier sei die Region innovatives Zentrum.

Es gebe aber auch die Kehrseite − schlecht bezahlte Jobs etwa in der Gastronomie oder bei einfachen Dienstleistungen. Und viele Mini- und Midi-Jobs, die allerdings in dieser Statistik keinen Niederschlag finden. Für die untere Einkommensgruppe sieht Ortwein eine enorme Belastung durch die gestiegenen Mieten. "Früher sind die Gutverdiener eher aus der Stadt herausgezogen, jetzt kommen sie wieder zurück. Dass es fast nur noch hochpreisigen Wohnungsbau gibt, trifft die Schwächsten."

 

Warum kursiert die Statistik der Arbeitsagentur gerade jetzt?

Sie sind Teil einer Auswertung neuer Daten der Bundesagentur für Arbeit, die die Linke-Bundestagsfraktion vorstellte. Die Partei verband die Veröffentlichung mit politischen Forderungen: Der Mindestlohn müsse auf zwölf Euro pro Stunde erhöht werden und Niedriglohnbeschäftigung in Form von Leiharbeit müsse abgeschafft werden, forderte etwa die Linke Arbeitsmarktexpertin Sabine Zimmermann.

 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung

Peter Henschel am 04.08.2018 08:23 Uhr

Hier hat wenigsten mal die Linke eine richtige Aufklärungsarbeit gleistet!
Wäre das nicht auch die Aufgabe unserer Presse?

Antworten
lädt ... Gefällt Nutzern Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
  Nach oben