Überfüllte Busse und Bahnen auf dem Schulweg
Eltern kritisieren den heiklen Schülertransporte. Kinder, Jugendliche und Berufstätige stehen oft dicht gedrängt wie die Ölsardinen in Bussen und Bahnen. Die Forderung nach mehr Fahrzeugen lässt sich aber nur schwer umsetzen.

"Ich frage mich, was die ganzen Abstands- und Hygieneregeln in den Schulen nützen, wenn man dann alle Schüler zusammen in einen völlig überfüllten Bus stopft?", fragt Sylvia Bihlmaier aus Heilbronn-Kirchhausen. Sie steht mit ihrer Beobachtung nicht allein da. Eltern und Fahrgäste kritisieren, dass Kinder und Jugendliche dicht an dicht in Bussen und Stadtbahnen stehen. Dabei hat das Verkehrsministerium Baden-Württemberg zum Schulstart ein Sonderprogramm aufgelegt, damit es beim Schülertransport nicht so eng zugeht.
"Der Landkreis Heilbronn hat rechtzeitig vor Schulbeginn mit der Planung begonnen", teilt Manfred Körner, Sprecher des Landratsamts, mit. Pünktlich zum Unterrichtsstart seien 15 Busse mehr auf die Strecken gebracht worden. Sonst fahren etwa 100 Busse. Ein Problem sei, zusätzliche Busfahrer zu finden, sagt Körner. Auf den Betreiber der Stadtbahnlinie, die Albtal-Verkehrs-Gesellschaft AVG, sei man ebenfalls zugegangen, wenn möglich mehr Bahnen und Busse, die sonst für den Schienenersatzverkehr vorgesehen sind, einzusetzen.
Volle Stadtbahn nach der sechsten Stunde
Nach der sechsten Stunde fahren Anke Bartas Kinder mit der Stadtbahnlinie S4 um kurz nach 13 Uhr von Eppingen nach Gemmingen. "Sie stehen wie die Ölsardinen", sagt Barta. Das sei auch schon vor Corona der Fall gewesen. Es liege daran, dass die Bahn häufig nur mit einem statt zwei Wagen komme. Gar nicht ist jüngst die S4 aus Öhringen um 7.07 in Obersulm-Eschenau angekommen. Um 7.17 Uhr sei dann die nächste gefahren, erzählt Silvia Herold, die mit der Bahn nach Heilbronn zur Arbeit fährt. "Jung und Alt drängten sich in die bereits volle S4." In Weinsberg sei die Ermahnung aus dem Lautsprecher ertönt, dass Abstand einzuhalten sei. "Eine Lachplatte", so Herold erbost.
"Die AVG schickt alle verfügbaren Stadtbahnfahrzeuge auf die Strecke", versichert Sprecher Michael Krauth. Sofern es möglich sei, werde in Doppel-Traktion gefahren, also mit zwei aneinandergekoppelten Stadtbahnen. "Was uns und damit vor allem auch den Schülern sicher aber grundsätzlich entgegenkommen würde, wäre mehr gestaffelter Unterrichtsbeginn zur Entzerrung", sagt AVG-Sprecher Krauth. Eine Forderung von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne): "Wenn es vor Ort an Bussen und Fahrern mangelt, müssen die Schulen den Unterrichtsbeginn flexibler gestalten."
Diesen Weg gehen in Heilbronn das Elly-Heuss-Knapp-Schulzentrum und die Heinrich-von-Kleist-Realschule in Böckingen, sagt Rathaussprecherin Claudia Küpper. Das entzerre den Betrieb. Sie räumt ein: Die zusätzlichen Fahrten seien in Spitzenzeiten nur schwer möglich, weil bereits alle Fahrzeuge im Einsatz seien.
"Manchmal können die Kinder nicht mal mehr zusteigen", sagt Sylvia Bihlmaier aus Kirchhausen. "In der Pandemie völlig untragbar." Eine ihrer Töchter geht aufs "Elly" und nimmt den Bus, die andere besucht die Berufsschule und steigt auf die Bahn um.
Landratsämter und Stadt wollen Kostenzuschuss beantragen
Im Hohenlohekreis seien zunächst die Fahrten von sechs Buslinien verstärkt worden, teilt Sprecher Sascha Sprenger mit. "Aktuell werden noch vier Linien verstärkt gefahren, bei zwei hat sich kein weiterer Bedarf ergeben." Zwar stünden nur begrenzt Personal und Fahrzeuge zur Verfügung, wenn erforderlich, würden aber weitere Fahrten eingerichtet. Voraussetzung: Die vom Land definierte Kapazitätsgrenze werde überschritten. Den Antrag auf Übernahme eines Teils der Kosten für die zusätzlichen Busse wird der Hohenlohekreis stellen ebenso der Landkreis und die Stadt Heilbronn.
Dass nicht alle Fahrgäste die Maske richtig tragen, beobachtet der berufstätige Christian Petermann in Untergruppenbach. Er fährt morgens um 7 Uhr mit Schülern im Regiobus nach Heilbronn. Auch dieser Bus - voll. Abstand halten? Keine Chance. Maske auf? "Das macht nicht jeder."
So funktioniert das Sonderprogramm
Die Organisation des Schülertransports stellt laut Landesverkehrsministerium während der Pandemie eine Herausforderung dar. Ein Sonderprogramm zur Förderung von zusätzlichen Schulbussen gilt bis Ende des Jahres. Wenn alle Sitzplätze belegt und 40 Prozent der zulässigen Stehplätze überschritten sind, übernimmt das Land 80 Prozent der Kosten für zusätzliche Busse. Laut dem Verband der Omnibusunternehmen stehen landesweit mehr als 300 Busse zur Verfügung. Die Verfügbarkeit von Fahrern in den Spitzenzeiten ist unbekannt.
Kommentar: Zumutung
Der Unmut ist berechtigt. Auf der einen Seite versuchen Schulen, die ungebremste Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, indem sie in Gebäuden das Tragen einer Maske anordnen und Kontakte beschränken. Auf der anderen Seite wird die Vorsicht außer Acht gelassen, und Alt und Jung pressen sich vor und nach dem Unterricht in Bus und Bahn.
Das Hilfsprogramm des Verkehrsministeriums für mehr Schulbusse ist daher zwar richtig, aber ein halbherziger Schritt. Es stößt rasch an Grenzen, weil nicht genügend Fahrzeuge und Fahrer vorhanden sind. Außerdem greift es nicht im Schienenverkehr. Dort herrscht zwar auch Personalnot, dennoch ist zu prüfen, ob alle Ressourcen ausgeschöpft sind. Denn das Problem wird sich verschärfen. Werden die Tage noch kürzer und kälter, steigen auch zahlreiche Radfahrer um.
Corona ist nicht schuld an der Lage. Es rückt den Missstand nur in den Vordergrund. Überfüllte Busse und Bahnen waren für Schüler und Berufstätige auch schon vor der Pandemie eine Zumutung.