Tierretter Jan Franke erzählt von seinen Krisen-Einsätzen
Jan Franke leitet die Tierrettung Unterland und war schon auf einigen extremen Einsätzen - jüngst im Kriegsgebiet in der Ukraine. Im Interview erzählt er, warum er sich für Tiere in Gefahr begibt und welche Verantwortung man seiner Meinung nach als Mensch trägt.

Auf der Autobahn, mitten im Kriegsgebiet in der Ukraine oder am Rande der Buschbrände in Australien: An all diesen Orten hat Jan Franke schon Tieren geholfen. Der Leiter der Tierrettung Unterland erzählt im Interview, welche Verantwortung Menschen im Leben tragen und warum er sich für Tiere in Gefahr begibt.
Herr Franke, Sie müssen ein ganz schöner Tierliebhaber sein, wenn man sich anschaut, wo Sie schon überall für sie unterwegs waren.
Jan Franke: Ich mag Tiere und habe einen guten Draht zu ihnen. Trotzdem gehen Menschen immer vor, besonders in den Katastrophengebieten, in denen ich schon auf Einsätzen war. Zur Tierrettung bin ich so auch nicht wegen besonderer Tierliebe, sondern über meine Tätigkeit in der Feuerwehr gekommen.
Wie das?
Franke: 2014 gab es einen Aufruf der Tierrettung Rhein-Neckar an Feuerwehrleute und Sanitäter, zur Unterstützung mit nach Serbien ins Hochwassergebiet zu kommen. Das waren genau meine Tätigkeitsbereiche, und so lernte ich bei einem zweiwöchigen Einsatz die Arbeit der Tierrettung näher kennen. Auch nach Serbien habe ich sie noch eine Weile weiter unterstützt. Nach meinem Umzug zurück in das Unterland habe ich dann am 16. Januar 2015 um 17.32 Uhr eine eigene Tierrettung gegründet.
Warum erinnern Sie sich an das Datum und die Uhrzeit so genau?
Franke: An diesem Tag bin ich auf der Autobahn gefahren und da saß plötzlich ein Schwan. Ich habe meine Weste mit der Aufschrift "Tierrettung" angezogen und ihn von der Straße weggescheucht, später mit den Kollegen der dazugekommenen Autobahnpolizei und des Technischen Hilfswerks gepackt und zu einem See gefahren. Als mich die Kollegen dann gefragt haben, von welcher Einrichtung ich komme, habe ich kurzerhand gesagt: Tierrettung Unterland. Damit war es geschehen. Mit dem Gedanken, eine eigene Tierrettung ins Leben zu rufen, hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile gespielt.

Sie haben gesagt, dass Menschen immer vorgehen. Gibt es trotzdem Eigenschaften von Tieren, die Ihnen besser gefallen als die von Menschen?
Franke: (lacht) Ja, klar. Wenn es um soziale Eigenschaften geht, sind Tiere einfach die besseren Menschen. Sie zeigen offen, was sie von dir halten. Du weißt genau, woran du mit ihnen bist und normalerweise belügen und betrügen sie dich auch nicht, zumindest wenn du weißt, wie du mit ihnen umzugehen hast.
Nun zu Ihren großen Krisen-Einsätzen. Gibt es in der Region nicht genug zu tun oder warum zieht es Sie so oft so weit weg?
Franke: Natürlich gibt es hier mehr als genug zu tun. Zusätzlich auch noch Katastropheneinsätze zu unterstützen, ist mir aber wichtig. Jede Hand zählt in diesen Situationen. Wir gehen dorthin, wo wir angefragt werden und eine konkrete Aufgabe haben. In Australien haben uns zum Beispiel deutsche Auswanderer um Hilfe gebeten, weil die Buschfeuer um sich griffen. Da haben wir verschiedene Tiere gesichert und versorgt - Kängurus, Koalas, Wombats und so weiter. Viele hatten zum Beispiel verbrannte Pfoten. Im Ahrtal war es das Gleiche: Ohne zusätzliche Unterstützung von außen und von allen möglichen Seiten - Feuerwehr, Sanitäter, Tierrettung und so weiter - wäre es da nicht gegangen.
Welche extremen Momente haben Sie auf Einsätzen in Krisengebieten erlebt?
Franke: Da gibt es viele. Jede Krise und Katastrophe hat ihr Eigenleben. Besonders extrem war sicherlich der Einsatz in der Ukraine. Im ersten Monat haben wir mit dem Bundesverband der Tierrettungsdienste humanitäre Hilfe an der ukrainisch-polnischen Grenze geleistet und Flüchtlinge mit ihren Tieren versorgt. Im April, im zweiten Monat, waren wir dann in der Ukraine, unter anderem an den Brennpunkten in Borodjanka, Charkiw und Butscha. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich als Mensch an eine solche Extremsituation anpassen kann.
Was meinen Sie damit?
Franke: Erst haben wir nur den Rauch gesehen, von Raketen, die in der Ferne eingeschlagen sind. Und dann wurde es schnell Realität, dass es auch um uns herum knallt. Wenn man die Druckwelle eines Granateneinschlags spürt, begreift man schnell, dass es reiner Zufall ist, ob es einen erwischt. Alles, was man an Vorwarnung bekommt, sind zwei Sekunden, in denen es pfeift.
Warum begeben Sie sich für Tiere in solche Gefahr?
Franke: Ganz offen? Ein bisschen davon ist sicher der Nervenkitzel. Der Anlass ist traurig, das ist einem immer bewusst, aber man muss das Ganze auch ein wenig als Abenteuer sehen, sonst geht man kaputt. Und dann ist mein Grundsatz: Dort, wo ich helfen kann, da packe ich mit an.
Wie sah diese Hilfe dann aus?
Franke: Wie gesagt, Menschen gingen vor. Tiere kamen kurz dahinter. Die Versorgungssituation war sehr schlecht. Eine ältere Frau ist mir um den Hals gefallen, als ich ihr eine Dose Bohnen in die Hand gedrückt habe. Die Hilfe für die Tiere war anders als bei einer Naturkatastrophe. Zum Teil haben wir Streuner versorgt, zum Teil sind wir in Wohnungen. Dort haben manche Menschen bei der Flucht ihre Tiere zurückgelassen und sie waren dankbar für Futter und Wasser. Manche Tierhalter sind auch in ihren Wohnungen ums Leben gekommen und lagen noch dort, neben ihren auf Hilfe wartenden Tieren.
Haben Sie Überlebenstipps für solche Einsätze?
Franke: Kameradschaft und Zusammenhalt sind sehr wichtig. Vor Ort ist man ein Team. Hier ist der Region ist das bei der Tierrettung auch so, aber es ist eine andere Arbeitsweise. Hier fahren wir raus und die nächste Tierklinik liegt vielleicht zehn Minuten entfernt. Bei Katastropheneinsätzen, vor allem im Ausland, wenn dann auch noch eine Fremdsprache dazukommt, müssen alle zusammenarbeiten, ihr Wissen und ihre Kraft umso mehr bündeln.
Verlieren Sie auch mal den Mut und die Hoffnung in die Menschheit, wenn Sie so viel Leid sehen?
Franke: Nein. Ich weiß, ich gebe mein Bestes. Ich habe nicht in der Hand, wer lebt und wer stirbt. Ich kann nicht bestimmen, ob die Granate einschlägt, ein Gebiet überflutet wird oder das Feuer ausbricht. Man muss akzeptieren, dass man vieles nicht ändern oder kontrollieren kann, sonst verzweifelt man.
Welche Verantwortung trägt man als Mensch?
Franke: Jeder sollte stets aktiv das tun, was er in einer Situation beitragen kann. Gerade in den großen Krisen- und Katastropheneinsätzen zeigt sich, was für ein großer Zusammenhalt der Betroffenen und der Hilfskräfte entsteht, um gemeinsam voranzukommen.
Zur Person
Jan Franke ist 30 Jahre alt und kommt aus Neckarsulm. Er ist der Gründer und Leiter der Tierrettung Unterland. Zuvor war er Rettungssanitäter in der Notfallrettung und Feuerwehrmann. Seit 2015 kümmert die Tierrettung sich um verletzte, kranke und sich in Notlagen befindliche Tiere. Franke und sein Team aus haupt- und ehrenamtlichen Einsatzkräften sind mit den Abteilungen Unterland, Ludwigsburg und Böblingen auf rund 4500 Quadratkilometern in neun Landkreisen aktiv.