Strafmündigkeit: Wenn Kinder Straftaten begehen
Zwei Kinder bringen ein zwölfjähriges Mädchen um. Sie können nicht angeklagt werden, sie sind zu jung. Sollte das Gesetz geändert werden? Was dafür und was dagegen spricht.

Der Fall schockiert viele Menschen: Zwei Mädchen gestehen laut Staatsanwaltschaft, die zwölfjährige Luise aus Freudenberg in Nordrhein-Westfalen umgebracht zu haben. Die Täterinnen sind selbst noch Kinder, 13 und zwölf Jahre alt. Sie sind per Gesetz strafunmündig und können nicht angeklagt werden. Jetzt wird diskutiert, ob die Altersgrenze herabgesetzt werden sollte, damit auch jüngere Täter vor Gericht gestellt werden könnten. Antworten geben Fachleute aus der Region.
14-Jährige kommen selten ins Gefängnis
"Die Diskussion um die Strafmündigkeit entsteht jetzt aus der Hilflosigkeit und aus dem Entsetzen", sagt Klaus Brauch-Dylla (60), Verwaltungsleiter der Jugendvollzugsanstalt in Adelsheim. Dass 14-Jährige für Verbrechen ins Gefängnis kommen, ist ihm zufolge selten. Maximal ein bis zwei Jugendliche in dem Alter nimmt die JVA Adelsheim im Jahr auf. Dass Jüngere bereits die nötige Reife und Einsichtsfähigkeit in ihre Handlungen besäßen, dafür gebe es kein fachliches Argument.
Vom Äußeren nicht täuschen lassen
"Reife oder Unreife darf man nicht daran messen, wie die jungen Leute angezogen sind", meint Uwe Ullrich (62), Kreisvorsitzender Heilbronn der Deutschen Polizeigewerkschaft. Einige Teenager wirkten durch ihr Äußeres sehr erwachsen. "Zwölf, 13 oder 14 Jahre alt - ich denke, dass die wenigsten sich im Klaren sind, ob sie eine Straftat begehen."
Mädchen und Jungen sind in Deutschland bis zum 14. Geburtstag schuldunfähig. Dieser Grundsatz gilt ausnahmslos. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1953. Die meisten Länder der Europäischen Union haben eine Altersgrenze von 14 oder 15 Jahren. Dies geht aus einer Erhebung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2019 hervor. Ausnahmen bilden etwa Irland und die Niederlande. Dort sind Zwölfjährige schuldfähig.
Viele Länder in Europa haben eine gleiche Altersgrenze
Für Kinder in Deutschland bleiben Straftaten trotzdem nicht ohne Folgen. Das Familiengericht kann erzieherische Schritte anordnen. Mit im Boot sitzen die Jugendämter. Bei schwerwiegenden Taten droht Eltern der Entzug des Sorgerechts. Kinder können zu Pflegeeltern oder in ein Heim kommen. Der Entwicklungsstand junger Täter könne sehr unterschiedlich sein, heißt es dazu im Jugendamt des Heilbronner Landratsamt. "Das hat insbesondere damit zu tun, welche Lebensbiografie, Lebensumstände und Erfahrungen jemand in den jungen Jahren gemacht hat", teilt Behördensprecherin Lea Mosthaf mit. Es komme darauf an, welche Eigenschaften und Persönlichkeit er besitzt.
Bagatelldelikt ist nicht gleich Schwerkriminalität
Macht die Altersgrenze von 14 Jahren Sinn? Martin Dietrich ist langjähriger Jugendrichter am Heilbronner Amtsgericht. "Im Rahmen der Bagatellkriminalität bietet es sich nicht an, Kinder zu kriminalisieren." An der Altersgrenze von 14 Jahren sollte also festgehalten werden. Bei Schwerkriminalität stelle sich die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit besonders. "Teilweise werden 14-jährige Täter noch als sehr unreif empfunden."
Für den Fall einer Herabsetzung der Altersgrenze wäre aus Dietrichs Sicht in jedem Einzelfall stets eine psychiatrische Untersuchung erforderlich: Kann das Kind strafrechtliche Verantwortung übernehmen? Starre Grenzen dürften sich unter der bislang gültigen Altersgrenze von 14 Jahren nicht ziehen lassen.
Polizei erfährt Respektlosigkeiten
"Ja, es gibt Gruppierungen - und das hat nichts mit Nationalitäten zu tun - da finde ich, die Altersgrenze gehört heruntergesetzt", sagt Polizeigewerkschafter Ullrich. Das Gruppenverhalten von manchen Elf- bis 13-Jährigen habe sich verändert. Das sei im fehlenden Respekt gegenüber der Polizei spürbar. Eine geringere Altersgrenze als 14 lasse sich bestimmt nicht auf die breite Masse anwenden.
Ab welchem Zeitpunkt sollte ein Mensch für eine Tat vor Gericht stehen? In Baden-Württemberg wolle man 16-Jährige wählen lassen, überlegt Ullrich. "Vielleicht müssen wir auch darüber diskutieren, die Strafbarkeit auf zwölf Jahre herabzusetzen."