So lief die erste Busreise nach Corona bei Gross
Unterwegs im Reisebus mit der ersten Tagestour des Heilbronner Reiseunternehmens Gross: Die Gäste nehmen Kompromisse in Kauf und freuen sich, dass sie überhaupt wieder an Ausflugsfahrten teilnehmen dürfen. Ein Erfahrungsbericht.

Das Heilbronner Reiseunternehmen Gross ist nach 105 Tagen Stillstand zum ersten Mal wieder auf Tour. So lange standen die Busse still, alle Reisen waren abgesagt. Mit einer Tagesfahrt in den Odenwald will Gross zunächst Stammkunden wieder Lust machen, in einen Reisebus zu steigen. Die ersten 20 Gäste sind für Gross-Geschäftsführer Andreas Kühner gleichzeitig Testpersonen, um zu prüfen, wie die noch geltenden Corona-Auflagen im Reisebus zu handeln sind.
Kühner hatte gehofft, dass die Maskenpflicht an Bord zum Neustart der Busreisen aufgehoben sein würde. Doch derzeit ist sie in Baden-Württemberg als einem der wenigen Bundesländer noch gültig. Das führt zu den vielfach beschriebenen Corona-Absurditäten: "Fahren wir unterwegs an einem Bus aus Nordrhein-Westfalen vorbei, sitzen Gäste dort ohne Maske." Bei Tagestouren gilt die Regel des Bundeslandes, in dem der Bus zugelassen ist. Kühner hofft, "dass wir nächste Woche auch in Baden-Württemberg von der Maskenpflicht wegkommen".
Derweil hat es sich die kleine Gruppe in dem geräumigen Bus gemütlich gemacht. Regel Nummer eins: Beim Ein- und Ausstieg, aber auch während der Fahrt, ist der Mund-Nasen-Schutz verpflichtend. Regel Nummer zwei ist das Abstandsgebot. Die 1,50 Meter führen dazu, dass der Bus nur spärlich besetzt werden darf. Im Zickzack sitzen die 20 Gäste verteilt. Eine Reihe im Wechsel muss jeweils frei bleiben, die Sitze sind gesperrt. Und: Wer in der vorderen Hälfte sitzt, muss auch vorne aussteigen.
Klimaanlage sorgt für Luftaustausch

Im Bus surrt die Klimaanlage. "Alle drei Minuten tauscht sich die Luft aus", erklärt Andreas Kühner. 6200 Kubikmeter Frischluft gelangen pro Stunde ins Innere. "Das ist anders als im Flugzeug, wo ein Teil der Luft gefiltert wird", erläutert der Gross-Chef. Die kühle Luft, da sind sich alle einig, macht die Maske im Gesicht erträglich.
Für Busfahrer Mitchell Axsom und Reiseleiterin Bettina Kruck-Hampo ist es ebenfalls die erste Reise nach gut drei Monaten Stillstand. Axsom ist freudig aufgeregt "wie an meinem ersten Tag bei Gross vor 16 Jahren". Amsterdam war seine letzte Fahrt vor dem Shutdown. Eine Griechenland-Tour war in letzter Minute gestrichen worden, die Gäste saßen auf gepackten Koffern.
Heimat entdecken statt Fahrt ans Mittelmeer

Jetzt heißt es Heimat statt Mittelmeer. "Corona hat etwas Gutes mit uns gemacht. Wir wissen es mehr zu schätzen, dass wir es hier wirklich schön haben", sagt Reiseleiterin Kruck-Hampo. Die Gäste im Bus nicken. Der Odenwald hat mehr zu bieten, als mancher vermutet hat. Der Englische Garten zu Eulbach - 80 Kilometer von Heilbronn entfernt - ist der älteste archäologische Landschaftspark in Deutschland mit Fundstücken eines römischen Limes-Kastells.
Michelstadt ist ein pittoreskes Fachwerkstädtchen mit einigen Besonderheiten: 30 kleine Geschäfte stehen für eine noch intakte Einzelhandelsstruktur. Der Konditorweltmeister Bernd Siefert betreibt dort ein Café, Schauspielerin Jessica Schwarz ein Hotel.
Die Maske ist auf Dauer lästig
Zurück im Bus sind die Kurzreisenden sich einig: Prima war's. Die Maske ist lästig, aber kein Grund, zu Hause zu bleiben. Renate Karle kann sich wieder vorstellen, Reisen innerhalb Deutschlands zu buchen: "Nur jemand Fremdes möchte ich noch nicht auf dem Sitzplatz neben mir." Christiane Kuznik genießt die Entdeckungen vor der Haustüre. Erneut auf Tour zu sein "ist ähnlich schön wie vor Corona".
Ingrid Ohr und Lilo Braun zieht es nicht ins Ausland: "Bei uns gibt es genügend interessante Ecken." Der Mund-Nasen-Schutz sei ein akzeptabler Kompromiss und besser als gar nicht zu fahren. Auch für Fahrer Mitchell Axsom lautet das Fazit: "Nach 105 Tagen zu Hause ist der Odenwald eine Attraktion."
Protest in Berlin
Am 17. Juni hatten sich als mehr als 1000 Busse in Berlin für die Unterstützung der Reisebusunternehmen zu einem Korso auf der Straße des 17. Juni formiert. Der Bund will der Branche mit 170 Millionen Euro helfen und hat bundesweit einheitliche Regeln in Aussicht gestellt. Baden-Württemberg gibt weitere 40 Millionen Euro, bis zu 18.750 Euro pro Reisebus. In der Region haben weitere Betriebe das Angebot für Tagesfahrten wieder aufgenommen, etwa Müller aus Massenbachhausen.

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