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Prostituierte und Freier ignorieren Verbot der Sex-Arbeit

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Corona erhöht den wirtschaftlichen Druck auf Sexarbeiterinnen in der Region, denn die Verordnung des Landes verbietet Sex-Arbeit in Gewerberäumen. Nun verlagert sich das Geschäft ins Private, wo Kontrollen noch schwieriger sind. Bleibt der Infektionsschutz dann vollends auf der Strecke?

Sexarbeiterinnen demonstrieren in Stuttgart oder wie auf diesem Bild in Nordrhein-Westfalen gegen das strikte Arbeitsverbot.
Foto: dpa
Sexarbeiterinnen demonstrieren in Stuttgart oder wie auf diesem Bild in Nordrhein-Westfalen gegen das strikte Arbeitsverbot. Foto: dpa  Foto: Marius Becker

Corona heißt Abstand halten. Das Sex-Geschäft liegt brach. Eigentlich. "Die Realität ist, dass Prostitution stattgefunden hat", blickt Kathrin Geih von der Mitternachtsmission des Diakonischen Werks Heilbronn auf die zurückliegenden Monate. "Den Frauen geht es nicht gut", sagt Beate Stürzl vom Hilfsverein Hope mit Sitz in Bretzfeld. Der Druck auf Prostituierte sei enorm. Die Polizei stellt zahlreiche Verstöße gegen die Corona-Auflagen fest.

"Die Frauen arbeiten zum Teil illegal", sagt Stürzl. Schutzmaßnahmen fehlten. Etwa 30 Frauen sind normalerweise auf dem Straßenstrich in Heilbronn, im Bordell H7 an der Hafenstraße stehen zwölf Zimmer zur Verfügung. Dazu kommen Terminwohnungen in der Region, in denen Prostituierte Sex gegen Geld anbieten. Die Dunkelziffer sei hoch. Alle in der Branche tätigen Menschen zu erreichen - unmöglich.

Helfer versorgen Frauen mit Essen und Getränken

Zu Beginn der Pandemie sei die Tragik die gewesen, dass Frauen nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten, sagt Geih. Die Situation der Betroffenen sei allerdings sehr unterschiedlich.

Ein Großteil der Frauen stammt aus südosteuropäischen Ländern wie Ungarn und Bulgarien. Einige haben einen festen Wohnsitz in Deutschland, andere halten sich nur vorübergehend hier auf. Etwa 30 bis 40 Frauen, schätzt Geih, hat die Mitternachtsmission während der Pandemie begleitet. Die Helfer packten Pakete und versorgten Prostituierte mit Essen, Getränken und Hygieneartikeln. "Wir haben versucht, einen Zugang zu den Frauen zu finden." Viele hätten sich aus eigener Initiative gemeldet. Die Handynummer der Beratungsstelle sei weitergegeben worden. "Wenn man nicht mehr arbeiten darf, verschärft sich die Situation."

Wer hier 150 Euro für sein Zimmer zahle, dem bleibe nicht viel, sagt Stürzl. Zuhälter übten Druck auf die Frauen aus, trotz Corona-Verordnung Geld zu verdienen. Freier meldeten sich über entsprechende Internetseiten. Und Familien in den Heimatländern der Frauen warteten auf finanzielle Unterstützung.

Heilbronn erwägt komplettes Verbot von Prostitution

Die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg verbietet Sex-Arbeit in Gewerberäumen. Deshalb ist das Heilbronner Bordell H7 auch geschlossen. Wer jedoch selbstständig auf eigene Rechnung tätig ist, der darf die Dienstleistung weiter anbieten. Städte wie Stuttgart und Karlsruhe jedoch geht die Verordnung des Landes nicht weit genug und verbieten jegliche Sexarbeit. Ein Weg, über den auch die Stadt Heilbronn nachdenkt. "Heilbronn erwägt ein komplettes Prostitutionsverbot wie die Städte Stuttgart und Karlsruhe", sagt Suse Bucher-Pinell, Sprecherin des Rathauses. Die Gründe seien wieder steigende Infektionszahlen und die kaum praktikablen Kontrollen. Für die Einhaltung der Corona-Verordnung in der Stadt ist die Polizei zuständig.

Polizei kritisiert Frauen und Freier

"Bei den Kontrollen wurden zahlreiche Verstöße gegen die Verordnung in Heilbronn festgestellt und geahndet", sagt Matthias Höppner von der Kriminalpolizei des Präsidiums. Er stellt fest, dass sich Prostitution ins Private verlagert, zu Treffen im Freien, im Auto oder in Hotels, was auch in Inseraten entsprechend beworben werde. Die Einsicht, sich an den Infektionsschutz zu halten, sei sehr begrenzt. "Besonders die mangelnde Akzeptanz auf Seiten der Freier ist auffällig, obwohl sich diese einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko aussetzen, welches sie in ihre Familien und ihr persönliches Umfeld weitertragen." Auf Seiten der Frauen herrsche teilweise Gleichgültigkeit. Höppner: "Einige Prostituierte gehen ihrem Gewerbe in beharrlicher Weise nach."

Der Lockdown stürzt Prostituierte wie Beschäftigte anderer Branchen auch in finanzielle Not, obwohl die Stadt Heilbronn und das Land Baden-Württemberg Hilfefonds aufgelegt haben. Selbstständig arbeitende Prostituierte erhalten außerdem vom Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Die Mitarbeiter der Beratungsstellen der Mitternachtsmission und des Bretzfelder Vereins Hope helfen bei Antragstellung. Geih stellt fest: "Einige Frauen nehmen die Pandemie zum Anlass, über einen Ausstieg nachzudenken."

Seit drei Jahren gibt es einen Huren-Pass

Grundsätzlich ist freiwillig ausgeübte Prostitution in Deutschland erlaubt. Seit 2017 gibt ein Gesetz den rechtlichen Rahmen dafür vor. Dazu gehört die Pflicht zur persönlichen Anmeldung und zu regelmäßigen Gesundheitsberatungen. Den sogenannten Huren-Pass bekommen Prostituierte in den Rathäusern. Er sagt wenig über die tatsächliche Zahl von Prostituierten in einer Stadt aus. Der Ausweis ist bundesweit für zwei Jahre gültig. Wer sich beispielsweise in Stuttgart anmeldet, kann in Heilbronn arbeiten. Betroffene scheuen den Weg zum Amt, weil sie anonym bleiben möchten. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, waren Ende 2019 in Deutschland 40 400 Prostituierte gemeldet. 19 Prozent hatten den deutschen Pass.


Kommentar: "Unterm Radar"

Prostituierte führen ein Schattendasein. In Heilbronn sieht man sie nur in der Hafenstraße. Seit Corona sind die Frauen auch dort von der Bildfläche verschwunden. Wie Polizei und Sozialarbeiterinnen feststellen, haben sie ihre Arbeit aber nicht eingestellt. Doch das Sex-Gewerbe ist ohnehin schwer zu kontrollieren. Während der Pandemie ist das nicht einfacher geworden. Zumal sich das Geschäft zunehmend ins Private verlagert. Das birgt die Gefahr, dass Frauen ausgenutzt und ausgebeutet werden. Von der Einhaltung des Infektionsschutzes ganz abgesehen.

Ob ein komplettes Prostitutionsverbot, wie es Stuttgart praktiziert, auch in Heilbronn die Situation verbessern würde, ist zweifelhaft. Vielmehr ist zu befürchten, dass noch mehr Prostituierte unerlaubt im Verborgenen tätig werden und Hilfsangebote sie schwerer erreichen als ohnehin schon. Dabei sind sie mehr denn je auf Unterstützung angewiesen. Der wirtschaftliche Druck, der auf ihnen lastet, ist groß.

Strikte Verbote helfen nicht weiter. Sie werden umgangen. Da muss man sich nichts vormachen. Zudem greifen in vielen Bereichen Lockerungen, die das Sex-Gewerbe ebenfalls einfordert. Zu Recht. Hygienekonzepte, wie sie in Tattoo- oder Massagestudios gelten, ermöglichen einen Betrieb, der sich kontrollieren lässt. Andernfalls werden Frauen weiter in die Illegalität abgedrängt, wo sie unter dem Radar ihrer Arbeit nachgehen. In diesem Fall droht der Infektionsschutz dann vollends auf der Strecke zu bleiben.

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Kommentare

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Raphael Benner am 10.08.2020 12:37 Uhr

Prostitution findet statt, ob man das will oder nicht. Sowohl Freier als auch Prostituierte lassen sich das nicht verbieten. Es ist wie mit der Prohibition, die in den zwanziger und dreißiger Jahren in Amerika herrschte: man musste sie später wieder zulassen.

Das Problem mit einem Verbot ist, dass die Prostituierten in die Illegalität getrieben werden und dadurch noch schutzloser Freiern und Zuhältern ausgeliefert sind. Der wirtschaftliche Druck auf die Prostituierten ist enorm und sie werden diesem Druck nachgeben müssen. Einer der größten Erfolge war die Anerkennung der Prostitution als Beruf. Ein Verbot wäre also auch ein Berufsverbot. Darüber sollten wir alle einmal nachdenken.

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