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Pflegekräfte bleiben aus Angst in Osteuropa

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Die Vermittlung osteuropäischer Pflegekräfte könnte in den kommenden Wochen schwieriger werden - auch in der Region. Grund ist der Tönnies-Skandal in Gütersloh.

Kochen, putzen, einkaufen, mit den Senioren spazieren gehen: Hilfskräfte aus Osteuropa verrichten keine Pflegetätigkeiten, sondern organisieren den Haushalt. Foto: Robert Kneschke/stock.adobe.com
Kochen, putzen, einkaufen, mit den Senioren spazieren gehen: Hilfskräfte aus Osteuropa verrichten keine Pflegetätigkeiten, sondern organisieren den Haushalt. Foto: Robert Kneschke/stock.adobe.com  Foto: Robert Kneschke/stock.adobe.com

"Die Leute haben Angst zu kommen, weil sie denken, sie stecken sich an", stellt Heike Farkas von den Pflegehelden Heilbronn mit Sitz in Bad Rappenau fest. Sie arbeitet schwerpunktmäßig mit Frauen aus Polen zusammen. Diese sind bei einer Entsendefirma im Heimatland angestellt und werden etwa über die bundesweit agierenden Pflegehelden vermittelt, die in Heilbronn mit der Diakonie kooperieren.

"Sie setzen Gütersloh mit Deutschland gleich, entsprechend den Medienberichten im Heimatland." Allein an diesem Tag hat sie drei Absagen auf den Tisch bekommen. Sie befürchtet, dass bis zu 18 Prozent der Frauen nicht den Weg nach Deutschland antreten.

Juli und August sind grundsätzlich schwierige Monate

Hinzu kommen die erschwerten Umstände zurzeit. "Im Juli und August ist es nie leicht, Leute zu bekommen." Oliver Weiss' Hoffnung, dass das Problem diesen Sommer wegen Corona nicht so ausgeprägt auftritt, erfüllt sich nicht. Sein Vermittlungsunternehmen Mecasa mit Sitz in Stuttgart ist auch in der Region tätig. "Viele machen dann Pause und verbringen die Zeit mit der Familie mit dem Geld, das sie in Deutschland mühsam verdient haben." Etwa ein Viertel der verfügbaren Kräfte falle weg. Durch die Zahlung von Sommerboni versucht er, trotzdem genug Arbeitskräfte zu rekrutieren.

Weil die Pandemie für einen Legalisierungsschub gesorgt hat, steigt zusätzlich die Nachfrage nach Leuten aus Polen, Tschechien, Bulgarien oder Kroatien. "Wir haben einen Sprung von 20 Prozent nach oben gemacht", sagt Oliver Weiss. In der Hochzeit der Pandemie konnten schwarz arbeitende Kräfte ohne Arbeitsvertrag nicht mehr die Grenze passieren. "Das bedeutete, dass wir mit Hochdruck Leute suchen mussten. Gerade wegen Corona lief das nur über hohe Prämien."

Je ländlicher das Umfeld, desto üblicher ist Schwarzarbeit

Dass die Nachfrage gestiegen ist, hat auch Heike Farkas beobachtet. Je ländlicher das Umfeld, etwa im Neckar-Odenwald-Kreis, desto üblicher sei es oft, die Hilfe illegal im Haushalt arbeiten zu lassen. Dass 90 Prozent der im Laufe eines Jahres rund 700.000 Kräfte aus Osteuropa, meist sind es Frauen, illegal arbeitet, schätzt der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) in Berlin. Vor Ostern habe der Verband gewarnt, dass bei einer Grenzschließung für Illegale bis zu 200.000 Kräfte fehlen würden, sagt Geschäftsführer Frederic Seebohm. Gleichzeitig rät er zum Blick nach Österreich, wo die Arbeit osteuropäischer Betreuungspersonen durch das Hausbetreuungsgesetz seit 2007 gut geregelt sei. "Aber wir in Deutschland schaffen das immer noch nicht."

Heike Farkas von den Pflegehelden hat festgestellt, dass der Personenkreis, der zuvor eine illegale Hilfe beschäftigte, "oft ganz andere Vorstellungen und Ansprüche hat. Da war schon die Frage, warum jemand zwei Stunden Freizeit am Tag bräuchte oder einen Internet-Anschluss." Natürlich erledigten die Frauen ihre Bankgeschäfte online oder würden mit ihrer Familie in der Heimat per Skype kommunizieren. Sehr anstrengend sei die Kommunikation teils gewesen. Und auch wenn man schon "tolle Kunden gewonnen habe", sei es oft auch in der Erkenntnis gemündet "dass das nicht unsere Klientel ist".

 

Der Bedarf steigt weiter

Nicht nur pandemiebedingt steigt derweil der Bedarf weiter. "Die Nachfrage wird umso größer, je schwieriger der Markt bei uns in Deutschland wird", prognostiziert Karin Söhner vom Pflegestützpunkt der Stadt Heilbronn. Angehörige seien verzweifelt, wenn sie 20 Heime durchtelefoniert und nur Absagen kassiert hätten. Auch Kurzzeitpflegeplätze seien rar. Allerdings ist das Modell einer Hilfskraft aus Osteuropa nicht billig. Nach Abzug des Pflegegelds verbleiben rund 2000 Euro Eigenanteil bei der Familie, so Karin Söhner.

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