Papa dürfte ruhig mehr zu Hause sein
Noch immer machen Väter weniger in der Familie wie die Partnerin. Doch mehr Engagement wäre für alle ein großer Gewinn, sagt Professorin Dr. Johanna Possinger im Interview. Am 15. Oktober spricht sie online bei einer Veranstaltung vom Haus der Familie.

Der moderne Vater will mehr sein als nur der Ernährer seiner Familie. Er will Verantwortung übernehmen bei der Erziehung der Kinder. Soweit die Theorie. In der Praxis ist noch viel Luft nach oben. Dabei profitieren alle – Mütter, Väter und Kinder –, wenn sich Männer mehr in der Familie engagieren, sagt Professorin Dr. Johanna Possinger.
Kann man in Zahlen festmachen, welchen Anteil der moderne Vatertyp heute in unserer Gesellschaft hat?
Johanna Possinger: Wenn Sie Männer vor der eigenen Familiengründung fragen, wie sie sich vorstellen, dass das mal laufen soll mit Beruf und Familie, dann haben wir sehr, sehr hohe Zustimmungsraten zum Bild des modernen Vaters. 80 bis 85 Prozent wünschen sich, eine aktive Rolle einzunehmen und nicht nur der Brotverdiener zu sein. Wenn wir gucken, wie viele machen das dann tatsächlich, stellen wir fest, drei Viertel aller Familien leben nicht nach diesem Arrangement. Dort arbeitet der Vater Vollzeit und die Mutter Teilzeit. Dadurch ist die Arbeitsteilung schon vorgegeben. Der Anteil der Paare, die das gleichberechtigt machen, wird je nach Studie auf etwa 14 Prozent geschätzt.
Dann sind Männer vor allem in ihrer Elternzeit als Vater zu Hause aktiv?
Possinger: Die meisten Väter nehmen nur zwei Monate. Das ändert in der Regel nichts an der Arbeitsteilung eines Paares. Für viele ist die Familienarbeit deshalb nur ein kurzes Intermezzo und dann geht es wieder normal im Beruf weiter in Vollzeit. Es ist also nicht so, dass Elternzeit mit moderner Vaterschaft gleichzusetzen ist. Die Elternzeit kann aber ein Türöffner sein: Väter, die länger in Elternzeit gehen und sich auch ohne die Partnerin eigenständig um Kinder und Haushalt kümmern, für die ist es ein Weg für ein mittelfristig ausgeprägteres Engagement zu Hause.
Was machen Väter eigentlich zu Hause, wenn sie was machen?
Possinger: Im Gegensatz zu den letzten Jahrzehnten übernehmen Väter heute mehr von den kindbezogenen Aufgaben: Mit dem Kind spielen, Hol- und Bringdienste, Elternabende. Alles, was eine direkte Interaktion mit dem Kind ist, ist bei Vätern sehr beliebt und dort engagieren sie sich auch wesentlich mehr als im Haushaltsbereich. Putzen, waschen, kochen sind nach wie vor sehr stark in weiblicher Hand. Und das auch, wenn Mütter Vollzeit arbeiten. Der Haushalt ist wahnsinnig veränderungsresistent.
War das Homeoffice während Corona wie eine lange Elternzeit für Väter oder haben sie sich in ihrem Arbeitszimmer verschanzt?
Possinger: Was wir sagen können ist, dass Väter ihr Engagement für die Familie um mehrere Stunden pro Tag gesteigert haben. Die Mütter haben das aber auch gemacht, so dass es auch jetzt einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Wo aber Männer im Homeoffice waren und die Partnerin weiterhin außer Haus, hat sich zwangsläufig was modernisiert. Beim Großteil der Paare war das aber nicht so. Auch bei doppeltem Homeoffice haben Mütter wesentlich mehr gemacht als die Väter, und oft mussten sie auch ihre Arbeitszeit reduzieren, um die entfallene Betreuung in Kita und Schule aufzufangen.
Ich halte fest: Es ist Luft nach oben bei den Männern. Woran liegt das? Können Männer sich aus Berufsgründen nicht mehr zu Hause einbringen oder wollen sie es gar nicht?

Possinger: Beides ist richtig. Wir haben zum einen immer noch sehr starke Geschlechternormen. Zum Beispiel ist es heute völlig selbstverständlich, wenn Mütter erwerbstätig sind, allerdings sollten sie nur in Teilzeit tätig sein. Alles andere wird als schlecht für das Kind empfunden. Gleichzeitig haben wir bei den Männern noch eine relativ stark ausgeprägte Ernährernorm. Sie müssen zwar nicht mehr die Alleinverdiener der Familie sein. Aber die meisten Frauen wünschen sich schon, dass der Partner wesentlich mehr als sie verdient. Und die meisten Männer erwarten das auch selbst von sich. Und dann hat die Arbeitswelt eine große Bedeutung. Wir haben in den meisten Betrieben noch sehr starre Vorstellungen von Produktivität. Produktiv ist die Person, die als erstes kommt und als letztes geht. Wenn sie zeigen wollen, dass sie motiviert sind, sich einbringen wollen und Aufstiegswünsche haben, dann geht das eben nicht im Homeoffice. Dazu kommt, dass es Väter in der Arbeitswelt noch wesentlich schwerer haben, Verständnis für mehr Zeit mit der Familie zu bekommen.
Das heißt konkret?
Possinger: Es ist mittlerweile akzeptiert, dass Väter zwei Monate in Elternzeit gehen, aber bitte nicht mehr. Dann wird es schon schwierig. Und wenn ein Vater sagen würde, er will jetzt auf Teilzeit reduzieren, dann wird er erst mal schräg angeguckt. Nicht selten gibt es Gegenwind und das vermeiden sie dann lieber. Es kommt für Väter halt auch einem doppelten Normenbruch gleich: Zum einen müssen sie mit der Präsenzkultur brechen, wenn sie Teilzeit arbeiten oder pünktlich gehen, um das Kind von der Kita abzuholen. Zum anderen kommt die Angst dazu, als unmännlich zu gelten, weil in unserer Kultur Männlichkeit sehr stark mit Vollzeitarbeit und Karriere verbunden ist. Und beides zusammen ist für viele doch wahnsinnig abschreckend.
Wenn das alles so schwer ist – warum wäre es eigentlich gut, wenn der Vater zu Hause präsenter wäre? Gibt es da Studien, die zeigen, dass es sinnvoll ist, wenn beide Partner als Erziehende für die Kinder da sind?
Possinger: Da gibt es ganz viele. Von einer egalitären, also ausgeglichenen, Arbeitsteilung profitieren alle: Väter, Mütter, Kinder. Wir haben für Kinder ganz tolle Langzeitstudien, die zeigen: Wenn Väter sich viel mit ihnen beschäftigt haben, führen Kinder erfolgreichere, gesündere und glücklichere Leben. Das ist ganz faszinierend. Das Engagement von Vätern wirkt sich wahnsinnig positiv auf das Selbstvertrauen und die motorische und kognitive Entwicklung von Kindern aus. Und das zieht sich durch wie ein roter Faden. Kinder profitieren sehr, wenn sich zwei Erwachsene um sie bemühen. Mütter profitieren davon, indem sie sich beruflich weniger einschränken müssen. So sind sie finanziell unabhängiger, dadurch auch zufriedener und weniger belastet vom Spagat zwischen Beruf und Familie. Und die Väter profitieren davon, weil es eigentlich ihrem Wunsch entspricht, hier mehr zu tun. Väter, die eine moderne Vaterschaft leben, sind in der Regel auch zufriedener mit ihrem Leben.
Was müsste sich ändern, damit mehr Paare diesen Weg gehen?
Possinger: Die Politik hat da viele Stellschrauben. Sie könnte es den Eltern wesentlich leichter machen, sich für eine egalitäre Elternschaft zu entscheiden, indem sie einen Anreiz setzt, dass Väter länger in Elternzeit gehen und gegenüber den Arbeitgebern vermittelt, dass es wichtig ist, dass Väter länger in Elternzeit gehen. Oder sie verbessert die Möglichkeiten, nach Teilzeit wieder in Vollzeit zurückzukehren. Den Paaren selbst kann man nur raten, sich nicht abschrecken zu lassen von blöden Kommentaren und dass sie das Lebensmodell umsetzen, das sie sich wünschen. Immer im Hinterkopf: Für die Kinder kann es langfristig von großem Vorteil sein.
Zur Person
Dr. Johanna Possinger ist seit 2016 Professorin für Frauen- und Geschlechterfragen in der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Die 41-Jährige forscht zu Vaterschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Care-Arbeit, Kinderarmut und Familienpolitik. Aktuell leitet sie das Forschungsprojekt "Zwischen Kindern, Kirche und Karriere - Welche Kirche brauchen Familien heute?"
Veranstaltung
Das Haus der Familie Heilbronn lädt zu einer Live-Online-Veranstaltung mit Professorin Dr. Johanna Possinger ein. Termin: Freitag, 15. Oktober, 19 bis 20.30 Uhr. Thema: "Vaterschaft heute - Zwischen Kindern, Karriere und Corona". Anmeldung: unter www.hdf-hn.de direkt über die Mitteilung bei "Neu und aktuell". Kosten: gebührenfrei. Um an der Veranstaltung teilzunehmen, benötigen Interessierte ein Internet fähiges Endgerät mit Kamera, Lautsprecher, Mikrofon oder Headset.