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Ökonom Erich Zahn: "Wohlbefinden ist wichtiger als Wohlstand"

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Der Ökonom Prof. Dr. Erich Zahn ist Mitautor der Studie "Die Grenzen des Wachstums" von 1972. Im Interview erklärt er, was sich in diesen 50 Jahren alles geändert hat, wie es um den Planeten steht und warum Ökologie und Ökonomie sich versöhnen müssen.

von Annika Heffter
Foto: Jürgen Fälchle, Nasa/stock.adobe.com
Foto: Jürgen Fälchle, Nasa/stock.adobe.com  Foto: Jürgen Fälchle, Nasa/stock.adobe.com

Die Studie "Die Grenzen des Wachstums" aus dem Jahre 1972 hat schon damals große Wellen geschlagen. Einer ihrer Autoren, der Ökonom Erich Zahn, berichtet zum 50. Jubiläum der Studie, warum sich in den vergangenen 50 Jahren in der Wirtschaft zu wenig verändert hat und wie ein Kollaps des Systems noch zu verhindern ist.

 

Herr Zahn, Sie haben an dem Bericht "Grenzen des Wachstums", der 1972 veröffentlicht wurde, mitgeschrieben. Was ist die größte Erkenntnis daraus?

Erich Zahn: Wir leben auf einem endlichen Planeten, auf dem es kein unbegrenztes Wachstum geben kann. Seit der industriellen Revolution und insbesondere seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war der technische Fortschritt der stärkste Wachstumstreiber. Er hat uns dabei geholfen, der Erde immer mehr Rohstoffe zu entnehmen. Gleichzeitig wurde Wachstum aber auch zunehmend zulasten der natürlichen Umwelt und auf Kosten künftiger Generationen erkauft.

 


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Manche sagen, ohne Wachstum kann es keinen Wohlstand geben.

Zahn: Wohlbefinden ist wichtiger als Wohlstand. Es ist nicht schwer, die Welt zu plündern. Aber wenn wir dabei eine Grenze überschreiten, ist nicht nur unser Wohlstand, sondern vor allem unser Wohlbefinden in Gefahr. Teile der Welt werden wegen des Klimawandels nicht mehr bewohnbar sein, die Nahrungsmittelproduktion wird vor neue Herausforderungen gestellt. Klimawissenschaftler haben erst kürzlich wieder gewarnt, wie dramatisch die Situation ist, zum Beispiel bei der Eisschmelze in der Arktis und Antarktis. Offenbar hat diese stärker zugenommen als bislang erwartet.

 

Sie klingen wie ein Klimaforscher, nicht wie ein Ökonom...

Zahn: Beides hat miteinander zu tun. Wir brauchen eine Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Der Punkt ist, dass wir uns selbst, der Wirtschaft und der Gesellschaft, Grenzen vorgeben sollten, bevor die Natur uns Grenzen setzt. Wir müssen aufpassen, dass uns die Zeit für effektives Handeln nicht davonläuft. Stattdessen sollten wir ohne weiteres Zögern eine Transformation der Wirtschaft zu nachhaltiger Entwicklung befördern. Und gleichzeitig die Resilienz unserer Ökosysteme stärken. Werden die Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten überschritten, ist ein Kollaps kaum mehr zu vermeiden.

 

Das klingt nach Apokalypse.

Zahn: Nicht ganz. Der technische Fortschritt hat es uns gestern zwar erlaubt, der Erde immer mehr zu entnehmen, aber er kann heute auch dabei helfen, ihr weniger zu entnehmen. Ich nenne das den Unterschied zwischen quantitativem und qualitativem Wachstum. Digitale Technologien bieten inzwischen Potenziale für "mehr aus weniger", etwa für Produkte wie das Handy, das verschiedene Funktionen enthält, die früher von einzelnen Geräten ausgeführt wurden.

 

"Die Grenzen des Wachstums" ist 50 Jahre alt. Und nun sprechen Sie wieder oder immer noch über diese Probleme. Ist nichts besser geworden?

Zahn: Doch, es hat sich bereits einiges getan und es tut sich gegenwärtig viel. Menschen sind sehr kreativ, und überhaupt: Das letzte, was man verlieren sollte, ist die Hoffnung. Es gibt Initiativen wie den "European Green Deal", Bewegungen wie "Fridays for Future" und zaghafte kooperative Bemühungen zur Bewältigung von Klimawandel, Umweltzerstörung, Plastikmüll in den Meeren und so weiter. Die größten CO2-Emittenten China, die USA, die EU-Staaten, aber auch Indien könnten und sollten ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und als Klimaklub bei der Dekarbonisierung durch wirtschaftliche Transformation voranschreiten.

 


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Was ist das Problem, warum geht das alles so schleppend voran?

Zahn: Es gibt eine Erkenntnis-Verhaltens-Lücke. Wir verfügen heute über hinreichend Wissen zu erfolgversprechendem Handeln, lassen uns aber für konkrete Aktionen immer wieder zu viel Zeit. Die großen globalen Probleme erscheinen zeitlich und räumlich als zu weit weg liegend von unserem gewohnt kurzfristigen und lokalen Denken. Die Erfahrung lehrt aber: Je früher und entschlossener gehandelt wird, umso leichter und schneller kann eine notwendige Transformation gelingen. Bei längerem Warten kommen nicht selten noch weitere Krisen dazwischen: Jetzt müssen wir uns erst um Corona kümmern, dann kommt ein völlig sinnloser Krieg in der Ukraine dazu, der unsere Hoffnung auf global kooperatives Handeln zerstört.

 

Menschlich und wirtschaftlich ist der Krieg eine Katastrophe, klar. Aber auch in Bezug auf den Klimaschutz?

Zahn: In den vergangenen Jahren war durchaus ein erkannter Sinn für gemeinsames Handeln zu beobachten. Dieser Krieg wird die Weltgemeinschaft bei der Bewältigung der großen globalen Herausforderungen zurückwerfen. Die angestrebte Reduktion des CO2-Ausstoßes und damit das Ziel, die Erderwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad zu begrenzen, lassen sich nicht mehr erreichen. Dieser Krieg wird die Bemühungen zu einem gemeinsamen "Wir" und damit den Klimaschutz verzögern.

 


Vortrag von Erich Zahn

Am 8. April spricht Erich Zahn bei einer Veranstaltung auf dem Heilbronner Bildungscampus. Die Abendveranstaltung ist ausgebucht, ein Stream vor Ort ist geplant. Anmeldungen weiter möglich, Infos unter www.ferdinand-steinbeis-institut.de.

Zur Person

Professor Erich Zahn ist Ökonom und Mitautor des Berichts "Die Grenzen des Wachstums", der ersten Veröffentlichung des Club of Rome im Jahr 1972. Von 1976 bis zu seiner Emeritierung 2008 war er Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftliche Planung und Strategisches Management an der Universität Stuttgart.

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