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Obdachlose über das Glück der eigenen vier Wände im Tiny Haus

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Tiny Häuser der Aufbaugilde sind bei Obdachlosen und mittellosen Wohnungssuchenden sehr begehrt. Zu Besuch bei Eberhard Wolf, der auf zwölf Quadratmetern in Heilbronn-Sontheim ein "ganz anderes Leben" führt.

Eberhard Wolf ist zufrieden in seinem Tiny Haus in Sontheim. Es ist eines von zweien der Heilbronner-Stimme-Aktion "Menschen in Not" in Kooperation mit der Aufbaugilde.
Foto: Mario Berger
Eberhard Wolf ist zufrieden in seinem Tiny Haus in Sontheim. Es ist eines von zweien der Heilbronner-Stimme-Aktion "Menschen in Not" in Kooperation mit der Aufbaugilde. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

"Hallo zusammen", grüßt die Nachbarin herüber, "alles klar bei euch?" Eberhard Wolf und Karl-Heinz Schmid winken zurück. "Lange nicht gesehen. Wart ihr im Urlaub?" Die Nachbarin bejaht. "Italien, Rundreise. Hart, wieder hier zu sein."

Die Männer nicken, als würden sie das kennen. Dabei sind sie immer hier. In Sontheim, am Matthäus-Gemeindehaus in ihren Tiny Häusern, einem Sozialprojekt der Aufbaugilde. Und zwar gern. Und am allerliebsten noch für längere Zeit. Ruhig ist es hier, grün, die Vögel zwitschern. Wolfs Haus ist eines von zweien der Heilbronner-Stimme-Aktion "Menschen in Not" in Kooperation mit der Aufbaugilde.


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Eberhard Wolf lebte in einem Zimmer ohne Heizung

Zuvor hatte Wolf, 62, ein "Bett im Zimmer vom Hund der Vermieterin". Küche zur Mitbenutzung. Kein Warmwasser. Keine Heizung. Geduscht hat er deshalb im Gildetreff. "Davor war ich obdachlos", sagt der gelernte Masseur und medizinische Bademeister. 30 Jahre ist er Lkw gefahren, zuletzt war er beim Redblue in der Veranstaltungstechnik beschäftigt. Schwere körperliche Arbeit, 1240 Euro netto.


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Als er keine bezahlbare Wohnung fand, ging er ins Obdachlosenheim

Eine bezahlbare Wohnung hat er trotzdem nicht gefunden. "Ich bin in der Obdachlosenunterkunft Salzgrund untergekommen und jeden Morgen um 6 Uhr zur Arbeit. Als ich für die elf Euro am Tag ins Vier-Bett-Zimmer umziehen sollte, hab" ich meinen Schlafsack gepackt und bin auf die Straße."

Eine Zeitlang klappt es noch mit dem Job, dann kommt Corona, und in weiten Teilen der Veranstaltungsbranche gehen die Lichter aus. Mit Pfandflaschensammeln hält sich Wolf über Wasser, früh morgens, bevor die Stadtreinigung die Flaschen zusammensucht.

"Ich hab' dem Mesner von St. Peter und Paul beim Aufstuhlen für den Gottesdienst im Deutschhof geholfen, und Menschen, die wussten, dass ich obdachlos bin, haben mir etwas zu essen gebracht."

Er zeigt auf das Häuschen mit seinen zwölf Quadratmetern Wohnfläche, das englische "tiny" heißt auf deutsch winzig. Trotzdem. "Das hier ist ein ganz anderes Leben. Das ist überhaupt ein Leben!"

Auch sein Nachbar empfindet das Wohnen im Tiny Haus als großen Fortschritt

In dem kleinen Haus zu wohnen, empfindet auch sein Nachbar Karl-Heinz Schmid als "riesen Fortschritt". Laptop, Fernseher, Schrank, Bad mit Waschbecken und Dusche, zwei Herdplatten - "mit Induktionsfeld", sagt er stolz. Gerade hat er sich Maultaschensuppe gekocht.

22 Jahre hat er mit seiner Partnerin in deren Mietwohnung gelebt, doch als sie nach schwerer Krankheit stirbt, rächt sich, dass nicht auch er als Mieter eingetragen ist: Der heute 64-Jährige muss Knall auf Fall ausziehen.


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Er verliert seine Partnerin und sein Zuhause

Zusätzlich verliert der gelernte Maschinenschlosser seinen Job, weil der Arbeitgeber wegzieht. Kurzzeitig kommt er bei Verwandten unter, doch dort kann er nicht bleiben. Im Aufnahmehaus der Aufbaugilde findet der Mann, der in tiefer Trauer ist, eine vorübergehende Bleibe. "Ich war in einem solchen Loch."

Im Tiny Haus geht es aufwärts. "Das hat mich stabilisiert, dass ich hier mein eigener Herr bin", sagt Schmid. Mit dem Nachbarn passt es, jeden Morgen um 6 Uhr treffen sich die Männer auf einen Kaffee und eine Zigarette auf ihrer Eingangstreppe. "Wir reden gern miteinander", sagt er und lächelt. "Ihr habt ja das Sahnehäubchen hier", findet Sozialarbeiterin Eva Andritsch, die ihnen zur Seite steht. Wolf nickt ernst: "Quasi die Luxusmieter".

Die Wohnungsanzeigen durchzusuchen ist frustrierend

Von diesem Zustand in ein reguläres Mietverhältnis zu kommen, ist mühsam. Jede Woche forsten die Männer mit Eva Andritsch Wohnungsanzeigen durch, eine einzige Besichtigung ist bislang dabei herausgekommen, meist gibt es auf E-Mails, die sie schreibt, noch nicht einmal eine Absage. "Von 130 Annoncen sind 129 WG-Zimmer", sagt die Pädagogin.

Ein Pensionszimmer haben sie in der Not doch einmal angeschaut. "Dunkel, verwohnt, abgerissene Tapete, Gemeinschaftsbad." Das Wohnverhältnis im Tiny Haus ist temporär, es gibt eine Warteliste. Alle sechs Monate entscheidet der Sozialhilfeträger über eine Verlängerung. "Die Ungewissheit, ob es klappt, ist immer da", sagt Eberhard Wolf.


Aufbaugilde will Baulücken nutzen

Für Wohnungslose ist es fast unmöglich, auf dem freien Markt bezahlbaren Wohnraum zu finden, sagt Hannes Finkbeiner von der Aufbaugilde. 2018 entstand die Idee des Nischenwohnprojekts. Ziel ist es nicht, Siedlungen zu schaffen, sondern einzelne Häuser auf verschiedene Standorte zu verteilen und temporäre Baulücken zu nutzen. Das ist aufwändig: "Wir brauchen für eine fünfjährige Nutzung bis zu zwölf Monate Planungszeit." Zu den zwei Häusern in Sontheim kommen zwei in Schwaigern. In Neckargartach verhandelt die Aufbaugilde, Gespräche gibt es mit Bad Friedrichshall, Brackenheim, Gundelsheim und die Hoffnung, dass das auf der Gartenschau in Eppingen ausgestellte Haus in der Kommune bleiben kann.

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