Musik-Lieferanten für Terrortrio NSU werden als Zeugen befragt
Vor dem Landtagsgremium in Stuttgart bestritt ein langjähriges Mitglied der bereits aufgelösten baden-württembergischen Band namens Noie Werte jegliche Beziehungen zum NSU.
Die eng vernetzen Bezüge der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nach Schwaben werfen immer wieder Fragen auf: Ein früherer Gitarrist der früheren Rechtsrockband "Noie Werte" hat am Montag vor dem NSU-Ausschuss des Landtags zwar direkte Verbindungen ins Umfeld des Terrortrios über Konzerte in Sachsen eingeräumt. Er habe aber " zu keinem Zeitpunkt" diese drei Personen gekannt und erst über die Medien von ihrer Mordserie erfahren, stellte Oliver H. als Zeuge fest. Er distanzierte sich von deren Taten.
In seiner Befragung skizzierte der 48-Jährige ein Bild von sich, nach dem es ihm bei den Bandauftritten in erster Linie um gute Musik gegangen sei, er sich gar nicht für die - in vielen Fällen offen fremdenfeindlichen - interessiert habe. Dass das NSU-Trio auf ersten Versionen ihrer menschenverachtenden Bekenner-DVD zwei Songs der Noien Werte unterlegte, konnte der Zeuge nicht erklären. Er wisse nicht, welche Absicht dahinterstecke. Abgesprochen sei das nicht mit der Band gewesen.
Konzerte im Raum Chemnitz
Fakt ist, dass der Zeuge und der langjährige Sänger Steffen H. einen Chemnitzer gut kannten, gegen den wegen Unterstützung des NSU ermittelt wird. Fakt ist auch, dass der Sänger der Noien Werte in derselben Anwaltskanzlei arbeitete wie die frühere NPD-Funktionärin Nicole Schneiders, die beim NSU-Prozess in München den Angeklagten Ralf Wohlleben verteidigt. Etwa zehn Mal sei die Band in seiner Zeit für Konzerte in den Raum Chemnitz gefahren, bestätigte der Zeuge. Mehr als um die Auftritte sei es dabei nie gegangen.
In Rage brachte Ausschussvorsitzenden Wolfgang Drexler, dass der frühere Gitarrist nicht einmal kollektive Hitler-Grüße im Publikum bei Konzerten der Noien Werte bemerkt haben will. Drexler verwies auf Videos von Konzerten im Elsass und in Italien bei einem Lied über den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess. Der Zeuge blieb dabei, daran könne er sich nicht erinnern. Durch die Strahler auf der Konzertbühne bekomme man vom Publikum nicht viel mit, gab er als Erklärung an.
Weitere Zeuge wird befragt
Ein weiterer Zeuge aus dem Landeskriminalamt wird heute zur Funkzellenauswertung der Telefondaten am Tattag des Heilbronner Polizistenmords befragt. Die 22-jährige Polizistin war Ende April 2007 auf der Heilbronner Thersienwiese bei einer Vesperpause hinterrücks erschossen worden. Ihr Kollege hatte den Anschlag trotz eines Kopfschusses überlebt.
Das Landtagsgremium erhofft sich Informationen über das Unterstützerumfeld des NSU und Aufenthaltsorte der Terrorzelle in Baden-Württemberg. Die Rechtsterroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) - Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt - sind nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft für zehn überwiegend rassistisch motivierte Morde zwischen 2000 und 2007 verantwortlich. Im Raum steht nach wie vor die Frage, ob die Rechtsterroristen bei ihrem Mordanschlag gegen Polizistin Michelè Kiesewetter und Streifenkollegen Martin A. Helfer aus dem Südwesten hatten.
Experte: Rechtsextremistische Musik ist Kitt für die Szene
Die rechtsextremistische Szene in Deutschland wird auch durch ihre Musik zusammengehalten. „Rechte Musik ist ein Teil der Lebenswelt der Rechtsextremisten und ein niederschwelliges Angebot an junge Menschen, die Interesse an der Ideologie haben“, sagte Felix Steinbrenner von der Landeszentrale für politische Bildung der Deutschen Presse-Agentur dpa in Stuttgart.
Auch im Südwesten gibt es Konzerte rechtsextremistischer Bands. „Baden-Württemberg ist da keine Insel der Seligen“, fügte der Politologe hinzu. Im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages wurde an diesem Montag unter anderem ein Musiker der inzwischen aufgelösten baden-württembergischen Band namens Noie Werte befragt.
Welche Wirkung hat rechte Musik auf die Szene?
Felix Steinbrenner: Sie ist der Kitt für die Szene. Zwar versuchen die Bands oft, strafrechtlich mit ihren Texten nicht anzuecken oder die Indizierung zu umgehen, aber der Rassismus ist das verbindende Element, auch über die Grenzen von Baden-Württemberg und Deutschland hinweg. In der Regel unterscheiden rechtsextremistische Bands die Welt in „wir“ und „die“. Dabei überhöhen sie die eigene Gruppe und werten andere Gruppen ab. Außerdem können die Rechtsextremen über die sehr ausdifferenzierten Musikrichtungen - vom Heavy Metal bis zu Hip-Hop - Berührungspunkte zur Mehrheitsgesellschaft herstellen. Musik ist so auch ein Mittel, Rechtsextremismus zu entdämonisieren.
Welche Funktion hat die rechtsextremistische Musik außerdem?
Steinbrenner: Konzerte und CDs sind ein Mittel der Finanzierung der rechtsextremistischen Szene. Auch das Merchandising - also der Verkauf von Kleidung und Propagandamaterial - lässt die Kassen rechtsextremistischer Verlage klingeln. Die Zeiten, als CDs auf Schulhöfen verteilt wurden, sind allerdings vorbei. Natürlich wird solche Musik auch online konsumiert.
Warum hat die Zahl der Konzerte zugenommen?
Steinbrenner: Konzerte sind oft daran geknüpft, dass ein Rechtsextremist privates Gelände oder ein Gastwirt seine Räume zur Verfügung stellt. Dass es laut Landesamt für Verfassungsschutz 2016 im Südwesten mit sieben Konzerten mehr gab als in den beiden Vorjahren, hat nicht unbedingt etwas mit wachsender oder schwindender Beliebtheit rechtsextremistischer Musik zu tun.
Zur Person
Felix Steinbrenner, Jahrgang 1979, ist Fachreferent für Extremismusprävention und leitet die Stabsstelle „Demokratie stärken“ der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) in Stuttgart. Er hat Geschichte und Wissenschaftliche Politik in Freiburg im Breisgau studiert. Seit 2010 arbeitet er für die LpB. In der Freizeit interessiert ihn Literatur und Fußball.
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