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Heilbronn
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Mit viel Kraft durch die Corona-Krise

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Zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung: Wie eine Heilbronner Familie mit einem Kindergartenkind, einem Schulkind und einem behinderten Kind seit knapp acht Wochen durch den Tag kommt.

Emma (8, links), Lotte (10) und Theo (3) sind in den letzten Wochen noch mehr zusammengewachsen, finden Susen und Sven Herms.
Foto: Andreas Veigel
Emma (8, links), Lotte (10) und Theo (3) sind in den letzten Wochen noch mehr zusammengewachsen, finden Susen und Sven Herms. Foto: Andreas Veigel  Foto: Veigel, Andreas

Emma (8) hält ihre Schwester Lotte (10) an den Armen, drückt sie vorsichtig in den hinter ihr stehenden Stuhl. Dann hält sie ihr Kuscheltier Waltraud unter die Nase. "Nanana", sagt Lotte zu dem struppigen Schaf. Sie lächelt. Das zarte Mädchen mit den blonden langen Haaren leidet an einer Gehirnfehlbildung und Epilepsie. Normalerweise geht Lotte in die sonderpädagogische Paul-Meyle-Schule, Emma besucht die dritte Klasse der Grünewaldschule, der dreijährige Theo ist bis nachmittags im Kindergarten. Seit rund acht Wochen ist alles anders. Seit rund acht Wochen sind alle immer da.

"Anfangs hatten wir gefühlt Mord und Totschlag", sagt Susen Herms. "Jetzt haben wir uns gut organisiert." Die Belastung der vergangenen Wochen sieht man den Eltern nicht an.

Homeoffice mit drei Kindern funktioniert nicht

Statt je fünf Tage die Woche können beide nur zweieinhalb Tage arbeiten. Sven Herms, der bei Intersport Vereine ausstattet, muss lachen: "Homeoffice mit drei Kindern, das funktioniert nicht." Lotte braucht Pflege, die Eltern müssen sie füttern, anziehen, Windeln wechseln, Zähne putzen, feste Essenszeiten einhalten. "Sonst gibt es ein großes Geschrei." Emma muss mit ihren Hausaufgaben meist allein klarkommen. Susen Herms räumt ein: "Jeden Tag kommt einer zu kurz."

Die Eltern sind mit einem Ohr immer bei ihrem behinderten Kind

Klar, vielleicht hält Lotte mal ein Nickerchen. Falls nicht, sind Vater oder Mutter immer mit einem Ohr bei ihr, um zu hören, ob sich ein Krampf ankündigt. Dann muss man sie halten, damit sie nicht fällt und sich verletzt. "Aufträge erledige ich, wenn alle im Bett sind," sagt Sven Herms. 90 Prozent seines Einkommens ist provisionsabhängig, die Lage ist schlecht. Der 48-Jährige zuckt mit den Schultern. "Wir hoffen, dass die Zeit mit wenig Geld nicht zu lange anhält." Verrückt machen lassen sie sich nicht. "Als Lotte ein Baby war, haben wir drei Monate im Krankenhaus verbracht. Unsere Schmerzgrenze ist hoch."

Der Traum muss warten

Eigentlich hat seine Frau als Physiotherapeutin 130 Überstunden für eine Fortbildung gesammelt: Therapie für Kinder mit neurologischen Erkrankungen. Der Traum muss warten. Jetzt braucht sie die Stunden, um daheim zu sein. Vermutlich hätte sie Anspruch auf Notbetreuung. Aber den Dreijährigen zu neuen Bezugspersonen geben? Schwierig. Die Tochter, die nicht sprechen kann, anderen Lehrern anvertrauen? "Ich kann keinen Zettel schreiben: ,So funktioniert mein Kind.""

In normalen Zeiten hilft die Oma an drei Tagen die Woche. Weil sie zur Risikogruppe gehört, fällt die Entlastung weg. Genau wie die zwei Wochen Osterferien, die Lotte sonst bei der anderen Oma in Zwickau verbringt. "Das ist unsere Auszeit. Morgens nicht als erstes an Medizin denken. Durchschlafen, ohne Angst vor einem Anfall, ohne dass einer Notfallmedikamente geben muss." Genug Muße für die anderen Kinder.

Manchmal war die Zündschnur extrem kurz

"Es gab eine Zeit, da war unsere Zündschnur sehr kurz," sagt Sven Herms. Was hilft? "Sich reflektieren, sprechen", findet Susen Herms. "Ich war noch nie so oft im Gartencenter und im Baumarkt", gibt ihr Mann amüsiert zu. "Als Kaufmann habe ich eher zwei linke Hände. Aber ich habe Rahmen und Türen abgeschliffen und gestrichen."

Die Eltern haben den Blick fürs Positive nicht verloren

"Ha", ruft Lotte plötzlich. "Bei dem Geräusch muss man in keiner Schlange anstehen", sagt Susen Herms. Reaktionen der Umwelt versucht das Paar teils mit Humor zu nehmen. "Viele zerbrechen an der Situation. Uns gibt Lotte Kraft." Den Blick fürs Positive haben sie in Corona-Zeiten nicht verloren. Dass die Geschwister enger zusammengewachsen sind. Dass Emma Theo Radeln beigebracht hat. Auch wenn gefühlt nie die Wäsche fertig ist, nie aufgeräumt ist, und alle immer Hunger haben.

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