Mein Onkel, der Corona-Leugner: Wie man in der Familie über Verschwörungstheorien sprechen kann
Wenn Familienangehörige oder Freunde plötzlich Verschwörungstheorien rund um Corona verbreiten, ist die Verunsicherung groß. Soll man das Thema totschweigen - oder diskutieren? Wir haben mit einem Experten der Amadeu-Antonio-Stiftung gesprochen.
Es kann per Mail kommen. Oder per WhatsApp. Oder ganz unvermittelt beim Weihnachts-Essen: Ein Freund oder ein Familienangehöriger, den man vielleicht eine Weile nicht gesehen hat, teilt plötzlich seine sehr spezielle Sicht der Corona-Krise mit. Dass alles ja nur ein groß angelegter Schwindel sei. Dass man in einer Diktatur lebe. Oder dass fremde Mächte alles manipulieren wollten.

Was tun? Wenn fremde Menschen auf Facebook oder Demonstrationen mit Verschwörungsmythen um sich werfen, könnte man sich einfach schulterzuckend abwenden. Aber bei einer Person, die man kennt, schätzt, um die man sich sogar sorgt? Ignoriert man die Bemerkungen? Oder redet man dagegen an?
Ziel des Gespräches kennen
„Sie sollten sich nur auf eine fachliche Diskussion einlassen, wenn Sie sich persönlich gut fühlen“, rät Benjamin Winkler, Soziologe und Büroleiter der Amadeu-Antonio-Stiftung in Sachsen. Die Stiftung setzt sich seit 2015 aktiv mit dem Projekt "No World Order" gegen Verschwörungsideologien, insbesondere mit rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Hintergrund, und deren Verbreitung ein.
Aus dem Stehgreif sei es nicht so einfach, Verschwörungsmythen zu begegnen, weiß Winkler. Zermürbend ist es sowieso. Vor allem aber sollte man, so rät es der Fachmann, das Ziel eines solchen Gespräches im Vorfeld definieren. Will man aufklären und überzeugen? Oder versucht man zuzuhören und herauszufinden, warum der Andere eigentlich so denkt?
Wer überzeugen will, muss vorbereitet sein
Will man mit Argumenten überzeugen, sollten diese gut präsentiert werden. Möglichst in ganzen Sätzen verpackt und nicht länger als 30 bis 40 Sekunden lang – so lange könne das menschliche Gehirn gut folgen ohne abzuschweifen, rät Winkler.
„Ich denke nicht, dass wir in einer Diktatur leben, denn es finden Demonstrationen statt“ könnte ein Argumentaufbau beispielsweise lauten. Ganz unvorbereitet geht das nicht. Wenn der Freund aber per Mail oder Whatsapp mit Verschwörungsmythen auffällt, lässt sich mit etwas Zeit ganz gut eine argumentative Antwort formulieren.
Das Narrativ des Widerstandes
Allerdings nur solange die Person nicht bereits zu stark radikalisiert ist. „Dann ist die Wahrscheinlichkeit, jemanden mit Argumenten zu erreichen, gleich Null“, weiß Benjamin Winkler aus Erfahrung. Zu sehr gefalle diesen Menschen das Narrativ des Widerstandskämpfers. Jedes Gegenargument diene dabei nur als Verstärkung der eigenen Ansicht. Es sei nicht verwunderlich, dass Anhänger von Verschwörungsmythen sich gerne mit Personen des Widerstandes oder der Verfolgung identifizieren - wie jüngst ein Mädchen auf einer Corona-Demo in Karlsruhe sich mit der Situation von Anne Frank oder eine junge Frau in Kassel sich mit Sophie Scholl verglich.
In diesem Falle klammert man das Thema als Gesprächsstoff am besten ganz aus und sucht den Konsens im Dissens, einigt sich also darauf, sich in der Sache uneinig zu sein und lässt das Thema ruhen.
Kontrollverlust führt häufig zu Verschwörungsideologie
Liegt einem etwas an der Person, könne man auch aktiv zuhören und freundlich nachfragen, rät Winkler. „Seit wann siehst du das so?“ wäre beispielsweise eine gute Frage. „Oft erlebten Personen, die Verschwörungsmythen anhängen, an einem Punkt in ihrem Leben einen Kontrollverlust, ein echtes Unbehagen, einen Schmerz“, sagt Winkler. Aber sie könnten über dieses persönliche Leiden nicht reden. Gleichzeitig werden Ressentiments und Feinbilder aufgebaut. „So muss man sich nicht mit der eigenen Krise auseinandersetzen, sondern kann darauf hoffen, dass alles wieder gut wird, wenn nur die scheinbar Schuldigen gefunden und bestraft werden“.
Winkler schlägt vor, mit Reframing (Umdeutung) zu arbeiten, also die Situation gemeinsam mit dem Corona-Leugner in einem anderen Kontext zu betrachten. „Ich sehe, dass dir das Sorgen macht, was ist denn gerade los bei dir?“ könnte man beispielsweise nachhaken. Um den Blick von der vermeintlichen Verschwörung wieder auf die eigene Person und das eigene Trauma zu lenken.
Wenn die Oma komische Whatsapp-Nachrichten schickt
Oft genug seien es nicht Argumente, die Menschen in ihren Bann ziehen, weiß Winkler, sondern das Charisma bestimmter Personen. Viele Youtube-Videos zu Verschwörungsmythen werden nicht wegen Fakten, sondern wegen der Protagonisten geklickt. Die Clips selbst sind gut gemacht, oft auch nicht zu lang und werden tausendfach in den sozialen Netzwerken geteilt. Bis sie dann irgendwie und irgendwann auch auf dem Smartphone der Oma landen können.
Laut Studien, so erzählt Winkler, könne schon geringer Kontakt mit Verschwörungsmythen verunsichern. Wenn dann beispielsweise die Oma ein Video mit Fake-News aus ihrer Kegelclub-Gruppe bekommt, fehle teilweise auch Medienkompetenz, um das zu hinterfragen. Anstatt aber zu tadeln, sollte man mit ihr gemeinsam das Video ansehen und die richtigen Fragen nach der Quelle stellen: „Wer ist das? Kennst du denn? Ist der denn glaubwürdig?“ „Man sollte die Personen nicht vorführen, sondern auf Widersprüche aufmerksam machen“, so Winkler. Und diesen Widersprüchen Fakten auf vertrauenswürdigen Medien gegenüberstellen.
Corona spaltet ähnlich wie die Flüchtlingskrise
Generell sieht Soziologe Winkler eine ähnliche Spaltung in der Gesellschaft wie 2015 zur Hochzeit der Flüchtlingskrise. „Eine relativ große Gruppe in der Gesellschaft hat eine generelle Affinität zu Verschwörungsmythen. Früher hat man sich dann mit Esoterik oder mit dem Traum von der Selbstversorgung beholfen. Heute ist da eine größere Gruppendynamik, eine größere Mobilität vorhanden. Man organisiert sich“, befürchtet Winkler. Er rechnet noch mit einigen weiteren Massendemonstrationen –und auch mit dem Schlimmsten. „Wenn die Revolution ausbleibt – und das wird sie natürlich – wird der Frust bei dieser Gruppe noch größer. Und mit ihm steigt die Gewaltbereitschaft“.
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Info: Amadeo-Antonio-Stiftung
Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die Stiftung ist nach Amadeu Antonio benannt, der 1990 von rechtsextremen Jugendlichen im brandenburgischen Eberswalde ins Koma geprügelt wurde, weil er Schwarz war. Wenige Tage später erlag er seinen Verletzungen. Amadeu Antonio war eines der ersten Todesopfer rechter Gewalt im wiedervereinigten Deutschland.
Im Mai 2020 erschien die Publikation: Wissen, was wirklich gespielt wird… Krise, Corona, Verschwörungserzählungen




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