Manchmal fehlen die Argumente
Herausforderer Hertwig geht in die Offensive, Amtsinhaber Scholz punktet mit seiner Erfahrung

Analyse
Von unserem Redakteur Reto Bosch
Auf der einen Seite: Joachim Scholz. Amtierender Oberbürgermeister in Neckarsulm mit großer Verwaltungserfahrung, unterstützt von CDU und Freien Wählern, bei manchen Bürgern aber in der Kritik. Auf der anderen Seite: Steffen Hertwig. Interessante Mischung aus Wirtschafts- und Sozialkompetenz, von SPD und Grünen unterstützt, aber ohne wirkliche Verwaltungserfahrung. Dazwischen: Ulrich Bertok. Ein Neckarsulmer mit der einen oder anderen guten Idee, im Kampf um die Amtskette aber chancenlos. Vor diesem Hintergrund lieferten sich die drei Kandidaten beim Stimme-Forum in der aufgeheizten Ballei einen engagierten und fairen Schlagabtausch mit den Redakteuren Christian Gleichauf und Julia Neuert.

Aquatoll
Steffen Hertwig weiß, dass er als Herausforderer in die Offensive gehen muss. Um das Rathausbüro im Vorbeigehen zu erobern, sitzt Joachim Scholz zu fest im Sattel. Und tatsächlich ist Hertwig auch der Angriffslustigere der beiden. Er bescheinigt dem Kontrahenten, Fehler gemacht zu haben. So sei es nicht richtig gewesen, das Aquatoll in die Betriebsführung der Heilbronner Stadtwerke zu geben. Damit trifft Hertwig zwar die Stimmung vieler Neckarsulmer, beim Forum bleibt er aber eine überzeugende Begründung für diese Kritik schuldig.
Hauptsächlich auf die Unzufriedenheit einiger Bürger in dieser Sache zu verweisen, drängt dem Beobachter eine Frage auf: Wie hält es der SPD-Mann mit unpopulären Maßnahmen? So wendet er sich auch gegen die Erhöhung der Kindergartengebühren, kritisiert aber gleichzeitig die finanzielle Lage der Stadt. Oder: der B27-Anschluss. Während sich Scholz klar pro Neubaupläne positioniert, hält sich der Herausforderer − inzwischen wieder − alles offen.

Das Forum macht aber auch deutlich, dass Steffen Hertwig grundsätzlich das OB-Amt zuzutrauen ist. So sehen das auch viele Besucher: "Die sind beide wählbar." Der Wirtschaftsjurist leitet derzeit die Rechtsabteilung von Würth Elektronik in Niedernhall, engagiert sich als Vorsitzender für den Förderverein der Tafel in Bad Mergentheim. Er tritt souverän auf, beweist Humor. Das kommt bei den Neckarsulmern gut an. Bei seinen Angriffen auf Scholz wird er nie persönlich.
So hält es auch Joachim Scholz. Als Amtsinhaber hat er natürlich einen Informationsvorsprung, den er immer wieder ausspielt. Auf kritische Fragen reagiert er zu Beginn mit Gegenfragen, muss aber zurückrudern, als ihm Stimme-Redakteur Gleichauf Beispiele für die Unzufriedenheit von Bürgern nennen kann. Für falsch hält der OB Vorwürfe, die Stadt lasse zu viele teure Gutachten erstellen und anschließend in der Schublade verschwinden. Scholz hält die Expertisen für nötig, diese würden auch meist umgesetzt.

Angriffsfläche bietet der 54-jährige Marathonläufer bei der Entwicklung der Personalkosten. In seiner Amtszeit sind diese um rund die Hälfte angestiegen. Klar, dass Hertwig dies nutzt, bezweifelt, dass der Personalaufbau in diesem Maße nötig war. "Man hat sich blenden lassen von den guten Einnahmen." Scholz versucht, dagegenzuhalten, verweist auf den Ausbau der Kinderbetreuung, auf Tarifsteigerungen. "Aber klar, wir werden auch im Personalbereich den Rotstift ansetzen müssen", sagt Scholz. Eine späte Einsicht. Bei allen Sparbemühungen werde man die Beteiligten informieren und einbinden.
Lidl
Steffen Hertwig ist der Ansicht, dass unter seiner Regie Lidl-Deutschland die Stadt nicht verlassen würde. Eine gewagte Aussage. Zwar nehmen einige Neckarsulmer den OB dafür in die Mithaftung, der Konzern selbst erklärt aber offiziell − und auch inoffiziell − dass Verwaltung und Scholz dafür keine Verantwortung tragen. Und unternehmerische Entscheidungen würde auch ein OB Hertwig nicht beeinflussen können. Kontakt zum wichtigsten Gewerbesteuerzahler der Stadt, der Schwarz-Gruppe, hat Hertwig erst am Dienstag aufgenommen. Warum so spät? "Es gehört sich vor der Wahl nicht." Na, ja.
Ulrich Bertok, Auditor bei Audi, macht als krasser Außenseiter eine gute Figur. Er hat Ideen, etwa für den Sulmpark, zeigt sich schlagfertig. Er würde Schulverwaltungen zusammenlegen und günstiger bauen. In einer Hinsicht könnte er die Abstimmung am Sonntag tatsächlich beeinflussen: vielleicht wird ein zweiter Wahlgang nötig.
Ein Bewegungszentrum wollen alle haben
Auch wenn Oberbürgermeister Joachim Scholz und Herausforderer Steffen Hertwig beim Kampf um den Chefsessel im Rathaus von politischen Parteien unterstützt werden, betonen beide unabhängig zu sein. "SPD und Grüne unterstützen mich. Aber ich werde keine Wohlgefallensentscheidungen treffen", sagte Hertwig.
Auch auf ein künftiges Bewegungszentrum habe die Wahlhilfe keinen Einfluss. Hintergrund: Die SPD-Fraktionsspitze ist gleichzeitig im Vorstand der Neckarsulmer Sport-Union, die sich für die geplante Freizeiteinrichtung mehr Unterstützung der Stadt erhofft. Hertwig gab sich aufgeschlossen, will das Engagement der Stadt aber nicht von Personen abhängig machen. Auch der Amtsinhaber, der von CDU und Freien Wählern unterstützt wird, will beim Bewegungszentrum eine rein sachliche Entscheidung treffen. "Persönlich halte ich so ein Sport- und Bewegungszentrum für hervorragend." Die Sport-Union wolle er auch künftig unterstützen. "Kein Verein kann sich beklagen. Was wir hier leisten, ist überdurchschnittlich."
Dabei habe Scholz alle Bürger im Auge. Auch die Familien. Für sie seien Einrichtungen wie Museen und Mediathek wichtig. Überhaupt: Die Stadt habe viel in Sachen Familienfreundlichkeit erreicht. Mit dem Ausbau der Ganztagsbetreuung. Auch wenn Eltern dafür künftig tiefer in die Tasche greifen müssen, liege man weit unter dem Landesdurchschnitt, ist Scholz überzeugt.
Kritik kommt vom Herausforderer: "In der Ära des Oberbürgermeisters wurde die Kinderbetreuung massiv aufgebaut." Jetzt gehe man Stück für Stück zurück. Das sei das falsche Signal. Man dürfe sich auch nicht am Landesrichtsatz orientieren. "Der ist zwar sozial ausgewogen. Aber Neckarsulm hat einen anderen Anspruch", sagte Hertwig. Nicht nachlassen beim Angebot für die Jugend will auch Ulrich Bertok. "Leider müssen heute meistens beide Elternteile arbeiten. Deshalb brauchen sie Unterstützung."
Einen Blick in die Zukunft wagten die Kandidaten beim Sulmpark. Fantasievoll zeigte sich Bertok, der den Park ausdehnen würde, um Geschäfte und Cafés anzuschließen. Pläne für sechs bis sieben Millionen Euro seien bereits fertig, so Scholz. Die Trendumkehr habe das Projekt allerdings gestoppt. Mit Blick auf die Finanzen der Stadt brachte Hertwig eine Idee aus Bad Mergentheim ins Spiel. Dort hatten private Firmen einen Trimm-Dich-Pfad gebaut. Ein Modell auch für Neckarsulm?
So transparent soll es zugehen
"Ich könnte mir Live-Übertragungen ins Internet vorstellen." Für die Idee, Gemeinderatssitzungen in Echtzeit online zu stellen, erntete Steffen Hertwig im Publikum viel Applaus. Er gab an, mit 90-prozentiger Transparenz arbeiten zu wollen. Während Ulrich Bertok mit 100 Prozent größtmögliche Öffentlichkeit versprach, entschied sich Joachim Scholz für 75 Prozent. Denn: "Aus nichtöffentlichen Sitzungen wird die Presse sowieso sofort unterrichtet."
Leerstand und Förderprogramm für sozialen Wohnbau
Neckarsulm braucht Wohnraum − darin waren sich alle Kandidaten um das Amt des Oberbürgermeisters einig. Aber woher sollen er kommen? Steffen Hertwig ist sicher: die Verwaltung habe es versäumt, den Flächennutzungsplan aufzustellen. Die Folge: zu wenig Flächen für Neubauwohnungen. Mietpreisbindung für bezahlbaren Wohnraum kann sich der Herausforderer vorstellen. Hier könne die Stadt mit Preisgestaltung bei Grundstücksverkäufen helfen. Ulrich Bertok verweist auf Leerstand in der Stadt. OB Scholz ist sicher, dass der Markt den Mietpreis regelt. Das Förderprogramm "Allianz für Wohnungen" von Bund und Land bringe aber sicher den sozialen Wohnungsbau voran.