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"Man darf im Ring und im Gerichtssaal nicht zu hoch pokern"

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Günther Silcher hat das Boxen beim deutschen Meister Walter Ihlein aus Neckarsulm gelernt. Der Rechtsanwalt und Box-Fan aus Flein im Gespräch über Gerechtigkeit.

Die Boxhandschuhe sind keine Maskerade: Rechtsanwalt Günther Silcher hat in seinem Leben acht offizielle Kämpfe bestritten. 
Foto: Mario Berger
Die Boxhandschuhe sind keine Maskerade: Rechtsanwalt Günther Silcher hat in seinem Leben acht offizielle Kämpfe bestritten. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Günther Silcher hat das Boxen beim deutschen Meister Walter Ihlein aus Neckarsulm gelernt, mal einen Abend lang mit Max Schmeling geplaudert und Muhammad Ali beim Training zugeschaut. Das Boxfieber hat den Juristen in jungen Jahren gepackt und bis heute nicht losgelassen, auch wenn er sagt: "Das Boxen in Deutschland ist tot." Viele Jahre später lernte er, sich auch in Strafprozessen durchzuboxen. Im Interview spricht der 88-jährige Fleiner über Gerechtigkeit im Boxring und im Gerichtssaal.

 

Herr Silcher, wie viele K.o. haben Sie hinnehmen müssen - im Ring und im Gerichtssaal?

Günther Silcher: Zu Studentenzeiten habe ich drei Kämpfe bestritten, davon zwei gewonnen. Als Amateur waren es fünf Kämpfe, zwei Siege, ein Unentschieden und zwei Niederlagen. Ich war aber nie im am Boden. Eins habe ich aber auch schnell gemerkt: Weltmeister werde ich nicht.

 

Und im Gerichtssaal?

Silcher: Seien Sie sich sicher, Sie finden nirgendwo einen Anwalt, der einen Prozess verloren hat (lacht).

 

Sie auch nicht?

Silcher: Naja, die Zahl meiner erreichten Freisprüche kann ich zählen. Es geht ja darum, das bestmögliche Urteil für den Mandanten zu erreichen. Das kann in vielen Fällen nicht Freispruch lauten.

 

Was hat Sie schon früh im Leben am Boxen fasziniert?

Silcher: Die besondere Atmosphäre, das Fluidum. Alles ist dunkel, nur der Ring ist ausgeleuchtet. Alles ist darauf fokussiert. Dazu gehört auch das manchmal etwas zwielichtige Publikum in den ersten Reihen. Das hat mich nicht unbedingt angezogen, aber irgendwoher muss ja das Geld kommen.

 

Haben Sie den Gerichtssaal dann ein Stück weit zu Ihrem Ring, Ihrer Bühne gemacht?

Silcher: Gerichtssäle haben auch ihr Fluidum, das mich auch nie kalt gelassen hat. Ich war nie aufgeregt, aber freudig erregt, gerade wenn es mal vor den Bundesgerichtshof ging. Das ist wie ein WM-Kampf. Zwei Mal habe ich es geschafft, dass eine Revision von mir dort angenommen wurde, obwohl 97 Prozent als unzulässig verworfen werden. Darauf bin ich stolz.

 

Im Ring wie im Gerichtssaal geht es um die richtige Balance. Wann greife ich an, wann muss ich mich verteidigen, wann kann ich austeilen, wann muss ich einstecken?

Silcher: Absolut. Aber wissen Sie: Wenn man vom Rathaus kommt, ist man klüger. Oft genug, weiß man erst hinterher, was die bessere Strategie gewesen wäre. In einem Vergewaltigungsfall ist mein Mandant verurteilt worden, ich bin in Revision gegangen. Die wurde abgelehnt. Später habe ich erfahren, dass er wirklich schuldig war. Da war ich auf dem falschen Dampfer. In dem Fall habe ich mit den falschen Waffen gekämpft.

 

Es kommt also auf die bestmögliche Vorbereitung an?

Silcher: Natürlich. Die Auswahl der Gegner ist gerade im Profiboxen entscheidend. Einem Sven Ottke hätte ich nie zugetraut, als ungeschlagener Weltmeister abzutreten. Er hat aber genau die Gegner bekommen, die ihm lagen. Vor Gericht ist es auch entscheidend zu wissen, was der eigene Mandant kann und was nicht. Ob er selbst Fragen an einen Zeugen richten soll, oder besser nicht. Es ist wichtig, seinen Mandanten genau zu kennen, zu wissen, wie er in bestimmen Situationen reagiert. Und man darf im Ring und im Gerichtssaal nicht zu hoch pokern. Das geht meistens schief.

 

Gibt es Absprachen im Vorfeld?

Silcher: Von einem Richter gibt es im Vorfeld keinerlei Zusagen. Absprachen kann es nur im Beisein von Richter und Staatsanwalt geben. Da kann beispielsweise festgelegt werden, dass dem Angeklagten bei einem Geständnis maximal zwei Jahre Haft drohen oder eine Strafe zwischen vier und fünf Jahren zu erwarten ist.

 

Geht es vor Gericht immer fair zu, oder gibt es dort auch Tiefschläge?

Silcher: Vom Richter oder von der Staatsanwaltschaft gibt es die nicht. Wenn überhaupt, dann von Mitverteidigern, die ihren Mandanten in ein besseres Licht rücken wollen.

 

Zur Person  
Aufgewachsen in Bissingen, kam der sportlich vielseitig begabte Günther Silcher während seiner Studienzeit in Tübingen zum Boxen. Der deutsche Meister Walter Ihlein aus Neckarsulm war dort sein Trainer. Als Jurist machte Silcher Karriere bei der Deutschen Bundespost. Als leitender Ministerialdirektor ging der heute 88-Jährige 1994 in den Ruhestand. "Ich wollte aber noch nicht den Rentner geben", sagt Silcher und startete eine zweite Laufbahn als Strafrechtsanwalt in der Kanzlei seines Sohnes Eric. Günther Silcher ist verheiratet, hat drei Kinder, zehn Enkel und lebt in Flein. 

Wie behält man in solch einer Situation seine Emotionen im Griff?

Silcher: Einen echten Schwaben kannst du nicht aus der Ruhe bringen, aber wenn - dann wird er grob. Ich habe einen Rechtsanwaltskollegen, der bei einer Verhandlung vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht immer dazwischen geredet hat, mal angeblafft: Jetzt sind Sie endlich mal still! Den Kollegen habe ich später am Tag zufällig in der Stadt wiedergetroffen. Dann sind wir einen Kaffee trinken gegangen. "Job ist Job" hat er gesagt.

 

Das gibt es im Sport ja auch, dass die Kontrahenten hinterher gemeinsam anstoßen. Wie verhält es sich denn mit den Emotionen im Ring?

Silcher: Es gibt schon welche, die fürchterlich aufgedreht sind. Ein ruhiger Gegner lässt so jemanden aus- und leerlaufen. Es kann aber auch passieren, dass der mit den großen Emotionen, den anderen schlicht überrollt. Es ist also immer abhängig vom Gegner und wie gut der auf das Geschehen vorbereitet ist.

 

Nicht wenige Boxer haben sich irgendwann in ihrem Leben als Angeklagte im Gericht wiedergefunden. Ist das Zufall?

Silcher: Diejenigen, denen das widerfahren ist, wären auch ohne Boxkarriere irgendwann auf der Anklagebank gelandet.

 

Wo gibt es die gerechteren Urteile - im Boxen oder vor Gericht?

Silcher: Da stellt sich die Frage: Was ist gerecht? Beim Boxen gibt es Vorlieben. Ich favorisiere die Techniker, andere die Schläger. So ist es auch bei den Punktrichtern, die das Urteil fällen, wenn es keinen K.o.-Erfolg gibt.

 

Haben Sie ein Beispiel?

Silcher: Das erste Duell zwischen Henry Maske und Graciano Rocchigiani 1995, das Maske nach Punkten gewann. Hinterher wurde behauptet, die Punktrichter seien bestochen worden. Das glaube ich nicht. Das waren welche, die das technische Boxen über alles gestellt haben.

 

Wie hätten Sie geurteilt?

Silcher: Ich wäre feige gewesen: ein Unentschieden. Der Rückkampf war eindeutig bei Maske.

 

Rückkämpfe gibt es in gewissem Sinne ja auch vor Gericht. Dort heißen sie Berufung.

Silcher: Das ist der Unterschied zum Boxen. Das Urteil im Ring steht. Das Gerichtsurteil muss ich mir nicht gefallen lassen.

 

Haben Sie Fehlurteile erlebt?

Silcher: Nicht in dem Sinne, dass getrickst wurde. Jeder Richter, mit dem ich zu tun hatte, hat sein Urteil aus Überzeugung gefällt.

 

 

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