Leuchtturm des Bürgerstolzes
Der Turm der Kilianskirche ist mehr als ein Kirchturm. Im ersten Teil unserer Serie "Wer wir sind" beleuchten wir die revolutionäre Architektur und Symbolik des Heilbronner Wahrzeichens.

Immer wieder ließen die Filmemacher der ARD ihre Kamera am Heilbronner Kiliansturm vorbeischweben, als sie den Streifen "Wer aufgibt, ist tot" drehten. Das ist kein Zufall: Wenn es ein Symbol gibt, das für die Stadt Heilbronn steht und inzwischen auch für die Region, dann ist es genau dieser Turm, den der aus Weinsberg stammende Baumeister Hans Schweiner zwischen 1507 und 1529 errichtete.
Das war in mehrfacher Hinsicht revolutionär: Der Turm aus Heilbronner Sandstein, der an die bestehende Kirche angebaut wurde, gilt als das erste Renaissance-Bauwerk nördlich der Alpen, was ihn alleine schon zu einem bauhistorischen Ausrufezeichen macht.

Neu waren die Säulengliederung und der vielseitige Figurenschmuck, darunter ein Affe in Mönchskutte, Vögel mit den Köpfen von Mönch und Nonne und Bischöfe mit Tierzungen. Während der Bauphase vor 500 Jahren hielt die Reformation Einzug in die Stadt.
Adler statt Kreuz
Neu war auch, dass auf dem Kirchturm eine Statue steht, die einen gewappneten Bürger darstellt. Das Kiliansmännle ist in Wirklichkeit 2,35 Meter groß. In der Hand hält es kein Kreuz, sondern ein Schwert, seine Fahne ziert der städtische Adler. Das zeugt vom unglaublichen Bürgerstolz der freien Reichsstadt, die durch ihr Handelsmonopol am Neckar zu Wohlstand gekommen war.

Viel Freud und Leid haben Männle und Turm mit ansehen müssen im Lauf der Jahrhunderte: Den Dreißigjährigen Krieg, in dessen Verlauf Heilbronn erst von schwedischen, dann von kaiserlichen und schließlich von französischen Truppen besetzt war und schwere materielle Schäden erlitt. Danach den wirtschaftlichen Aufschwung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, welcher der Stadt und ihren Bürgern zu neuem Wohlstand verhalf. Und schließlich den Verlust der Reichsunmittelbarkeit im Jahr 1802/03, durch den die Stadt ihre Unabhängigkeit verlor und zur württembergischen Oberamtsstadt degradiert wurde.

Der Kiliansturm ist eines der wenigen Bauwerke in der Heilbronner Innenstadt, das die Bombennacht des 4. Dezember 1944 vergleichsweise gut überstand - im Gegensatz zum Schiff der Kilianskirche. Dennoch dauerte es fast drei Jahrzehnte, bis der ausgebrannte Turm wiederhergestellt war. Umso mehr ist er auch ein Wahrzeichen des heutigen Heilbronn - zusammen mit dem Rathausgiebel und der astronomischen Uhr, die ebenfalls an die Zeit vor der Zerstörung der Stadt erinnern, an das alte Heilbronn.
Längst ist der Kiliansturm nicht mehr der einzige Turm in der Stadt, aber er ist der "Turm der Türme", wie der Heilbronner Chefarchivar Christhard Schrenk es einmal formuliert hat.

Neuer Glanz
Wie wichtig den Heilbronnern ihr Turm bis heute ist, lässt sich an einer Zahl festmachen: Etwa 1,5 Millionen Euro sammelte der im Jahr 2000 von Walter Dörr initiierte Verein für die Kilianskirche ein, um die große Sanierung des Wahrzeichens zu ermöglichen. Als das Gerüst im Sommer 2005 wieder abgebaut wurde und der Turm wieder neu in historischem Glanz erstrahlte, war das der Stadt einen Festtag wert.
Über neue Fenster für das Gotteshaus wurde seither eifrig gestritten, auch über den Film, der den Kiliansturm zu bester Sendezeit über Deutschlands Bildschirme flimmern ließ, lässt sich trefflich streiten. Der Turm selbst aber steht über allem erhaben inmitten der ehemals freien Reichstadt Heilbronn.
"Wer wir sind": Neue Serie ergründet im neuen Jahr regionale Identität
Je schneller sich die große Welt verändert, umso mehr stellen sich viele Menschen die Frage: Wer bin ich? Wo ist mein Platz? Was unterscheidet mich von den anderen? Antworten darauf möchte im neuen Jahr die Artikelserie "Wer wir sind" geben.
Anstoß war die Ausstellung "Deutschland - Erinnerungen einer Nation", die diese Woche noch im Berliner Gropiusbau zu sehen ist. Der britische Historiker Neil MacGregor, der früher das British Museum in London leitete und inzwischen Gründungsintendant des Berliner Humboldforums ist, hatte dafür 30 Objekte ausgewählt, anhand derer er deutsche Geschichte erzählte und aufzeigte, wie sie das kollektive Gedächtnis der Nation prägen.
Diese Gegenstände erzählen von großen deutschen Leistungen, von Philosophen, Dichtern und Künstlern und von Geschichtsereignissen, die das Gesicht des heutigen Deutschland geprägt haben. Der VW Käfer gehört in der Berliner McGregor-Schau genauso dazu wie die von den Nationalsozialisten als entartet gebrandmarkte Skulptur "Der Schwebende" des Künstlers Ernst Barlach, Teile der Berliner Mauer genauso wie das berühmte Gemälde "Goethe in Italien" von Johann Tischbein, Grimms Märchen und eine Waldlandschaft von Caspar David Friedrich.
Genau wie für die ganze Nation gibt es auch für die Region Orte und Gegenstände wie den Heilbronner Kiliansturm, die im regionalen Bewusstsein eine Rolle spielen. Die Automobilindustrie wird in den kommenden Wochen genauso vorkommen wie der Wein und die Landwirtschaft, das jüdische Leben und der vergangene Glanz des Bruckmann-Silbers. Anhand vieler solcher Elemente soll im Lauf der Serie ein Mosaik entstehen, das begreifbar macht, was Heilbronn und die Region - und die Menschen, die hier leben - besonders macht. Und auch, welchen Veränderungsprozessen wir uns stellen müssen.
Gefragt sind in der Serie "Wer wir sind" auch Ideen aus der Leserschaft: Was macht für Sie die Region aus? Welche Objekte in der Region sind mit Ihrer Identität verbunden? Die Stimme-Redaktion freut sich auf Ihre Zuschriften an stadtkreis@stimme.de mfd