Meinung zur Traubenlese: Schieflage
Gut gelaunte Lesemann- und Frauschaften, sportliche Buttenträger, knackige Würste, Wein: Das Bild von der Traubenlese ist durch romantische Vorstellungen geprägt.
Tatsächlich ist das Herbsten als Höhepunkt eines Weinjahrgangs nach wie vor ein Fest, zumindest dort, wo die Welt noch in Ordnung ist. Bei vielen Wengertern ist sie das aber nicht mehr, sie sind in Schieflage geraten. Anderen geht es besser, sagen wir so: Die Schere geht weit auseinander. Das hat viele Gründe.
Zunächst ist da der Klimawandel. Er bringt Turbulenzen mit sich, die viel Know-how erfordern, aber auch viel Power und hohe Kosten. In den Vorjahren sorgten Hitze und Trockenheit für Probleme, 2021 ein explosionsartiges Rebenwachstum mit Pilzdruck. Gleichzeitig nimmt der gesellschaftliche und politische Druck auf Winzer zu, weil Maßnahmen zum Rebschutz pauschal als Umweltbelastung abgestempelt werden. Weniger sensibel sind die Deutschen bei Tropfen aus dem Ausland, die oft ohne Rücksicht auf die Natur produziert werden.
Gewiss, einzelne Probleme sind hausgemacht. Zu lange haben sich manche Winzer auf den fetten Jahren ausgeruht und die Zeichen der Zeit zu spät erkannt: dass die treuen Trollinger-Schlotzer aussterben, dass sich Trinkgewohnheiten wandeln, dass allein Qualität zählt, dass die Konkurrenz nicht schläft. Und: dass man am Ende nicht nur Trauben lesen, sondern auch die Werbetrommel zeitgemäß rühren muss.