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Studios ohne Personal: Kampfansage an die Fitnessbranche in der Region

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Unternehmer aus der Region eröffnen Fitnessstudios gänzlich ohne Personal und wollen schnell wachsen. Zugang, Geräte, Automaten laufen per Transponder und Handy. Der Branchenverband reagiert mit Lob, aber auch mit einer kritischer Anmerkung.

von Carsten Friese
 Foto: Nicolas Armer

Die Corona-Zeit hat die Fitnessbranche stark gebeutelt. Lange Lockdowns, Kurzarbeit, Umsatzverluste, finanzielle Engpässe, Schließungen: Die Branche hat zu kämpfen.

In der noch immer belastenden Pandemie-Zeit mit zuletzt verschärften Corona-Bestimmungen gehen zwei Unternehmer aus Wüstenrot und Beilstein in die Offensive. Mit personallosen Fitnessstudios wollen sie krisensichere Angebote schaffen und den Markt neu aufmischen. "Krisenzeiten sind Chancenzeiten", sagt Immobilien- und Finanzunternehmer Chris Neve (31).

Mit dem seit 1996 in der Fitnessbranche engagierten Oliver Fischer (42) hat er unter dem Namen "Remote" (Fernbedienung) ein Fitness-Club-Angebot entwickelt, das mit einer digitalisierten Vollstruktur ohne Personal auskommt. Mit QR-Code und Transponder am Einlesegerät öffnet sich die Eingangstür. Der gesamte Trainingsbereich ist kameraüberwacht.

Steuerung über die Zentrale möglich

An den Geräten können per Code und Handy Videos aufgerufen werden, die das jeweilige Training erklären. Per Transponder kann man das Solarium öffnen oder den Protein-Shake-Roboter, Getränke- und Riegelautomaten bedienen. "Alles läuft bargeldlos ab", erklärt Neve.

Das futuristische Design mit der hellblauen Wabenstruktur und großen Bildschirmen mit Sport-Videoclips ist ein Markenzeichen. Die Studios sollen auch Begegnungsort sein, sagt Oliver Fischer.

Sie starten mit neuem Konzept durch: Oliver Fischer (li.) und Chris Neve im ersten Remote-Studio in Heilbronn. Transponder und Handy regeln die Abläufe. 
Foto: Tina Schulze
Sie starten mit neuem Konzept durch: Oliver Fischer (li.) und Chris Neve im ersten Remote-Studio in Heilbronn. Transponder und Handy regeln die Abläufe. Foto: Tina Schulze  Foto: Schulze, Tina

Im ersten Studio in Heilbronn-Süd in der Charlottenstraße hätten Sportler schon einige Selfie-Videos aufgenommen. Nur wer seinen Impf- oder Genesenenausweis im System hinterlegt hat, erhält derzeit bei 2G-plus Zutritt. Über die Zentrale können Eingang, Lichtanlage, Solarium oder Automaten gesteuert werden. Und: Wer möchte, kann freie Ernährungs- oder Motivationstrainer online hinzubuchen.

Ehrgeiziges Fernziel: Bis 2031 150 Standorte in Europa

Neve und Fischer sind vom Erfolg überzeugt in einem System, in dem man rund um die Uhr an jedem Tag trainieren kann. Im kommenden Frühjahr wollen sie vier weitere Remote-Studios in Schwaigern (am Kaufland), Heilbronn-Nord (Dieselstraße), Aglasterhausen und Aschaffenburg eröffnen. Bis Jahresende 2022 sollen es zehn Clubs sein.

Auch Standorte in der Schweiz, in Spanien und den Niederlanden sind angedacht. "Wir legen uns mit den Großen an", sagt Neve selbstbewusst. Ehrgeiziges Fernziel ist, 150 Studios bis 2031 am Markt zu haben.

Und wenn mal ein Unfall an einem der Geräte passiert? Fischer verweist auf andere Übende, die helfen können. Zudem sehe man alles auf der Kamera. Zur Not "muss man einen Krankenwagen rufen".

Verband: Bei gesundheitsorientiertem Training ist professionelle Betreuung nötig

Sind die zwei Unternehmer mit ihrem Konzept alleine? In Berlin, Bad-Neuenahr-Ahrweiler, Essen oder Velten gibt es ähnliche Angebote mit personallosen Fitnessstudios. "Sie sind selten, aber dennoch keine Einzelfälle mehr in der Fitnessbranche", sagt Alexander Wulf, Sprecher des Arbeitgeberverbands deutscher Fitness- und Gesundheit-Anlagen.

Wie der Verband solche Konzepte sieht? Man begrüße jedes Konzept, das die Menschen zu mehr Sport antreibe, sagt Wulf. Für bestimmte Kunden sei das Angebot indes kritisch zu betrachten. "Aufgrund möglicher falscher Übungsausführung oder Trainingsbelastung ist ein Konzept mit fehlender Betreuung für unerfahrene oder unsichere Kunden nicht zu empfehlen", teilt er mit. Besonders für ein gesundheitsorientiertes Training "ist eine professionelle Betreuung unentbehrlich".

Dennoch sieht Wulf nicht solche seltenen Konzepte als Risiko für die Arbeitsplätze in der Branche. Dieses sei "die Pandemie und die daraus resultierenden Auflagen oder Schließungen".

Gut eine halbe Millionen Euro Kosten: Investoren sind mit im Boot

Fischer und Neve planen ihren Kurs konsequent weiter. Mit 470.000 bis 620.000 Euro beziffert Neve Kosten für den Aufbau eines neuen Fitnessstudios. Sie hätten Investoren an der Hand, zum Beispiel sei ein spanischer Fonds mit im Boot. Nach rund fünf Jahren, hoffen beide, soll ein Studio abbezahlt und in der Gewinnzone sein.

 

Branche im Wandel

Mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland begeistern sich nach Angaben des Arbeitgeberverbands deutscher Fitness- und Gesundheit-Anlagen für Fitnesstraining. In der Branche sind 177.000 Mitarbeiter tätig (Stand: 31.12.2020). Ein Jahr zuvor waren es vor der Pandemie noch 217.000. Im Corona-Jahr 2020 sank der Umsatz um 1,35 Milliarden Euro auf 4,16 Milliarden Euro. Die Zahl der Anlagen ging um 131 auf 9538 zurück. Der Preiskampf wird härter. Remote-Studios bieten einen Wochenpreis ab 5,55 Euro an (vier Wochen = 22,20 Euro) bei einjähriger Laufzeit. Branchenführer McFit bietet aktuell 24,90 Monatsgebühr bei monatlicher Kündigung an.

 
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