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Kämpferische Busfahrer legen die Arbeit nieder

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Stadtbusfahrer und die Gewerkschaft Verdi verweisen beim ersten Warnstreik in Heilbronn auf hohe Arbeitsbelastungen. Der Stadtwerke-Chef kritisiert den frühen Zeitpunkt. Die vielen Forderungen seien gar nicht finanzierbar. Manch ein Fahrgast ist vom Streik überrascht.

von Carsten Friese
Ausstand der Stadtbusfahrer: Rund 100 Mitarbeiter der Stadtwerke Heilbronn nahmen am Dienstag am Warnstreik teil. Die Busse parkten sie an der Allee. 
Foto: Mario Berger
Ausstand der Stadtbusfahrer: Rund 100 Mitarbeiter der Stadtwerke Heilbronn nahmen am Dienstag am Warnstreik teil. Die Busse parkten sie an der Allee. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Sie stehen kämpferisch im Nieselregen, und ihre Stadtbusse haben sie in langen Reihen auf der Allee geparkt: Zum Warnstreik der Stadtbus- und Stadtbahnfahrer der Stadtwerke Heilbronn sind am Dienstag rund 100 Teilnehmer auf den Kiliansplatz gekommen.

Ab acht Uhr haben die Beschäftigten die Arbeit niedergelegt, befördern bis zum Betriebsschluss keine Fahrgäste mehr. "Unverzichtbar" steht auf vielen Mundschutzmasken, "Wir sind es wert" ist ein Slogan auf Regencapes.

Es ist der erste Warnstreik im aktuellen Tarifkampf, der die Bürger spürbar trifft. Nach 45 Berufsjahren müsse er als Rentner weiter Bus fahren, um über die Runden zu kommen, erzählt Matija Elek (69). Er will verhindern, dass zum Beispiel das Weihnachtsgeld gesenkt werde, der Monatslohn sei eh nicht hoch. In der Corona-Zeit sei man durchgefahren, mit allen Risiken. Dafür möchte man auch Anerkennung.

Stressiger Job, Kritik von Fahrgästen, anstrengende Wechselschichten

Zu wenig finanzielle Anerkennung, das empfinden auch Thorsten und Jennifer. Sie haben drei Kinder, das Gehalt der Ehefrau (25-Stunden-Woche) geht nach ihren Angaben voll für die Miete drauf. Die Inflationsrate sei doch höher als die geforderten 4,5 Prozent, sagt der Ehemann. Er spricht von einem stressigen Job, hoher Verantwortung im Verkehr, in dem viele nicht gut Auto fahren würden, in dem es oft Verspätungen gebe und man viel Kritik von Fahrgästen erhalte.

Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Katharina Kaupp verweist in ihrer Rede auf fehlendes Personal, auf anstrengende Wechselschichten, sehr frühe und sehr späte Arbeitszeiten, was für die Angestellten zu Belastungen führe. Auch dass Pausen nicht eingehalten werden könnten, müsse sich schnell ändern. Krankheitstage nähmen bei Älteren zu. Verdi fordert Entlastungstage, Zulagen für Wechselschichten, eine bessere Nachwuchsförderung.

"Wir wollen bessere Arbeitsbedingungen und wir wollen Entlastung", betont auch Betriebsratsvorsitzender Necati Karaali. Dass man heute keine Wahl mehr habe, Überstunden auch über Freischichten abzufeiern, kritisiert er. Mit lautem "Jaaaaaa" antworten die Streikteilnehmer, ob sie auch zu einem längeren Streik bereit wären.

 


 

Elser: Wir können die Bustickets ja nicht von 2,50 auf 3,80 Euro erhöhen

Stadtwerke-Geschäftsführer Tilo Elser steht auf der anderen Seite des Tarifstreits. "Verfrüht und unangemessen" bewertet er den Warnstreik zum jetzigen Zeitpunkt der Verhandlungen. Man wolle die Angestellten "auf keinen Fall schlechter stellen". Aber: Bei den vielen Forderungen von Verdi müsse man an anderer Stelle auch etwas kompensieren. Die Forderungen zum Manteltarifvertrag würden etwa 20 bis 25 Prozent der Lohnsumme entsprechen, dazu noch mal fast fünf Prozent mehr Lohn. "Diese Forderungen sind nicht finanzierbar. Wir können die Bustickets nicht von 2,50 auf 3,80 Euro erhöhen." Es müsse im finanziell schwierigen Corona-Jahr leistbar sein. Elser appelliert daran, "Augenmaß" zu bewahren.

Folgen hat der Streiktag. Mit etwa 15.000 bis 20.000 Euro wegfallenden Ticketeinnahmen rechnet Tilo Elser. An Bushaltestellen stehen zudem einige Fahrgäste, die vom Streik nichts wissen und die Hinweise auf Plakaten und Digitalanzeigen übersehen. Dort verwirrt jedoch auch, dass Stadtbusse ganz regulär im gesamten Programm angezeigt werden mit "sofort" oder "in drei Minuten", obwohl sie gar nicht fahren.

Lohn und Zuschläge

Der Lohn für Busfahrer liegt nach Verdi-Angaben je nach Berufsjahren zwischen 2944 und 3239 Euro im Monat. Dazu kommen Zuschläge für Überstunden, für die Arbeit nachts, an Sonn- und Feiertagen. Eine Schichtzulage gibt es nicht. 
Beim Warnstreik auf dem Kiliansplatz sprach sich Niklas Rosche von Fridays for Future für eine gerechte, faire Entlohnung der Busfahrer aus. Ohne starken öffentlichen Nahverkehr gebe es keine Energiewende. 

 

 

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Erstaunte Fahrgäste ordern notgedrungen ein Taxi

"Das ist schlimm", sagt Timea (27), als sie gegen 8.30 Uhr am Marktplatz von den ausfallenden Bussen hört. Sie hat einen Termin wegen eines Gesundheitszeugnisses. "Jetzt müssen wir ein Taxi nehmen." Auch eine 59-jährige Sontheimerin ist überrascht. "Wie komme ich jetzt zur Arbeit?" Nach zwei Versuchen, Kollegen zu erreichen, ruft auch sie verärgert ein Taxi. "Ich dachte, die streiken nur in Hamburg", ist eine 63-jährige Bad Rappenauerin erstaunt. Sie wollte in Heilbronn einkaufen, dazu mit dem Bus weiterfahren. Jetzt fährt sie mit der Stadtbahn wieder heim.

Gegen 10 Uhr löst sich die Streikversammlung auf. Die Busfahrer laufen zu ihren Bussen und fahren sie unter lautem Hupen ins Depot. Für heute ist Feierabend. Die nächste Verhandlungsrunde der Tarifparteien ist für kommende Woche angesetzt.


Forderungen der Gewerkschaft 

Die Gewerkschaft will mit dem Warnstreik ihren Forderungen in den Tarifverhandlungen Nachdruck verleihen. Verdi fordert für rund 8600 Beschäftigte in acht Betrieben im kommunalen Nahverkehr in Baden-Württemberg unter anderem Entlastungstage, deutlich bessere Überstundenregelungen sowie die Anhebung des Urlaubsgeldes.

Der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) wies darauf hin, dass die Forderungen der Gewerkschaft alleine im Manteltarifvertrag Mehrbelastungen von 20 bis 25 Prozent für die Unternehmen bedeuten würden. Hinzu komme die Forderung bei den Gehaltstarifverhandlungen von 4,8 Prozent, die auf Bundesebene verhandelt werden. „Das können die Verkehrsunternehmen und damit die das Defizit ausgleichenden Kommunen nicht finanzieren“, teilte der KAV mit, der Kompensationen in die Verhandlungen einbrachte. Dabei geht es zum Beispiel um eine Einschränkung bei Zuschlägen für Nachtarbeit, die Abschaffung des Krankengeldzuschusses und weiterer Zuschüsse.

Die Corona-Pandemie hat nach KAV-Angaben zu weniger Fahrgästen geführt. Gleichzeitig gingen die Steuereinnahmen zurück. „Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie gilt daher die Sicherung von Arbeitsplätzen als wichtigstes Ziel“, teilte der KAV mit.

Verdi Fachsekretärin Gabriele Fieback reagierte vor dem Warnstreik ablehnend auf die Arbeitgebervorschläge: „Wir müssen jetzt ein klares Signal an die Arbeitgeber senden. Für eine Verbesserung und Stärkung des ÖPNV stehen wir bereit, für eine Verschlechterung nicht.“ Fieback wies auf den Mangel an Fahrern hin. Diese würden bundesweit gesucht.

Der Verdi-Landesfachbereichsleiter in Baden-Württemberg, Andreas Schackert, unterstrich die Bedeutung des ÖPNV für die Bewältigung der Klimakrise. Ohne Fahrer werde die Mobilitätswende nicht gelingen. „Heute sehen wir in den acht kommunalen Verkehrsbetrieben im Land, dass es die Beschäftigten für einen guten ÖPNV braucht.“

 

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