Ist die Grundschul-Empfehlung eine gute Idee?
Sechs Jahre lang haben die Eltern allein entschieden, jetzt müssen sie bei der Anmeldung ihrer Fünftklässler die Grundschulempfehlung wieder vorlegen. Ein Fortschritt? Zwei Redakteurinnen, zwei Meinungen.

Gut, dass Lehrer entscheiden

Eltern vertrauen bei der ganztägigen Betreuung ihrer Säuglinge in Krippen auf die Fachkompetenz der Erzieherinnen. Ganztagskindergarten und Hausaufgabenbetreuung in der Grundschule werden dankend angenommen. Wenn es dann aber darum geht, den Bildungsstand der Sprösslinge einzuschätzen, wird den Experten misstraut. Das macht wenig Sinn.
Wenn schon Drittklässler bei Klassenarbeiten mit dem Hinweis, dass sie später sowieso aufs Gymnasium wechseln, Leistung verweigern, wird die Krux offensichtlich. Damit soll nicht überzogenem Leistungsdrill das Wort geredet werden. Es soll vielmehr der Blick darauf gelenkt werden, dass die Lehrer die Kinder und damit ihre Fähigkeiten im direkten Vergleich erleben. Und zwar in den meisten Fällen über mehrere Schuljahre hinweg und nicht nur wenige Wochen bis hin zur Grundschulempfehlung in Klasse vier. Für eine gelingende Schulkarriere spielt die richtige Schulwahl eine große Rolle. Über- wie Unterforderung wirken sich negativ aus. Die Lehrer wissen: Es gibt Kinder, die brauchen klare Strukturen im Schulalltag. Und es gibt wieder andere, die schnell und zuverlässig eigenständig arbeiten. Sie wissen, welche Schule für welches Kind geeignet ist. Und bei der Durchlässigkeit unseres Schulsystems gibt es keine Sackgassen. Deshalb ist es nicht schlecht, wenn bei fehlender Einsicht ein zweites Gespräch folgt.
Eltern sollten mehr Freiheit haben

Eltern sind nicht so uneinsichtig, wie Kultusministerin Susanne Eisenmann ihnen unterstellt. Die allermeisten sind sehr wohl auf Wohl und Wehe ihres Kindes bedacht und schicken es nicht um jeden Preis aufs Gymnasium. So ist die erzwungene Wiedervorlage der Grundschulempfehlung bei der Anmeldung in der weiterführenden Schule eine Misstrauenserklärung an die Eltern.
Mit verheerenden Auswirkungen. Sechs Jahre lang war die Bildungsempfehlung Grundlage für ein vertrauensvolles Beratungssgespräch zwischen Grundschullehrerin und Eltern. Jetzt wird sie unter künstlichem Zeitdruck erstellt, schon vor Weihnachten beginnt wieder der unsägliche Leistungsdruck auf Kinder und Eltern mit Abiturstimmung und Notenschielerei. Nachhaltiges Lernen und Bildungspartnerschaft gelingen so nicht.
Was bitte soll der gestrenge Real- oder Gymnasiallehrer im zweiten Beratungsgespräch bei nicht angepasster Schulanmeldung den Eltern denn anderes sagen, als schon die Grundschullehrerin? Er kennt das Kind nicht einmal. Nach der Kennenlernwoche und mit der Lernstandserhebung im Herbst weiß die Lehrkraft, wo der Neuankömmling seine Stärken und Schwächen hat und wo er Unterstützung braucht. Die Viertklässler wechseln in Klasse 5 und 6 in allen Schulen in die Orientierungsstufe. Das ist die Chance, ihre Potenziale zu heben.
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