Stimme+
Fragwürdige Rhetorik
Lesezeichen setzen Merken

Islam-Experte fordert in Heilbronn muslimische Antisemitismus-Debatte

   | 
Lesezeit  2 Min
Erfolgreich kopiert!

Islam-Experte Eren Güvercin hat bei einem Vortrag in Heilbronn am Donnerstag einen aus seiner Sicht zaghaften Umgang der Politik mit Muslimverbänden in Deutschland kritisiert. "So kann es nicht weitergehen", sagte er.

Bernd Sommer (links) von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft schätzt den Einsatz von Eren Güvercin gegen eine Instrumentalisierung des Islams.
Foto: Lina Bihr
Bernd Sommer (links) von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft schätzt den Einsatz von Eren Güvercin gegen eine Instrumentalisierung des Islams. Foto: Lina Bihr  Foto: Bihr, Lina

Der Islam-Experte Eren Güvercin hat am Donnerstag in Heilbronn ein düsteres Bild über muslimischen Antisemitismus in Deutschland und der Türkei gezeichnet. Der 44-Jährige ist Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und kam auf Einladung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft nach Heilbronn. 30 Gäste besuchten seinen Vortrag in der Weinvilla, der unter Polizeischutz stattfand. Güvercin forderte eine neue Debatte in Deutschland über muslimisches Leben. Antisemitische Haltungen in großen muslimischen Verbänden seien "eine spirituelle Katastrophe".

Güvercin beklagt fragwürdige Rhetorik von muslimischen Verbands-Funktionären

Es sei ihm eine Herzensangelegenheit, über diese Problematik zu sprechen. Als liberaler Muslim und Mitgründer der Alhambra-Gesellschaft ist er mit seiner Sichtweise Anfeindungen in der muslimischen Gemeinschaft ausgesetzt. Er erfahre aber auch Zustimmung von Menschen, die dächten wie er, sich aber nicht trauten, es auszusprechen. Der Terror der Hamas am 7. Oktober sei eine Zäsur für Muslime in Deutschland gewesen. Es habe den verwurzelten muslimischen Antisemitismus "sichtbarer denn je gemacht".

Güvercin kritisiert insbesondere die "Apparatschiks" der Verbände wie Ditib und Islamische Gemeinschaft Millî Görü?. Sie hätten im direkten Anschluss den Terror als "Eskalation im Nahen Osten" relativiert und mit einer "Beide-Seiten-Rhetorik" reagiert. Ein Ende der Gewaltspirale forderte etwa Kemal Ergün, Bundesvorsitzender von Millî Görü? - anstatt den Hamas-Terror zu verurteilen. Ein führender Theologe eines muslimischen Verbands wiederum habe in seinem Facebook-Profil ein Hamas-Propagandavideo veröffentlicht. "Das sind keine Einzelfälle", betont Güvercin. Es zeige auf erschreckende Art und Weise, was man in Deutschland "jahrelang nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte". Extremistische Gruppen wie eine Kalifatsbewegung versuchten verstärkt, in Moscheen anzuknüpfen und junge Menschen zu indoktrinieren.

Islam-Experte fordert: Liberale muslimische Stimmen sollten mehr Gehör finden

"Man muss diese schmerzhafte Analyse vornehmen", unterstreicht Güvercin in seinem Vortrag, der die Zuhörer sowohl beeindruckte als auch erschütterte. Die Gesellschaft müsse sich überlegen, was sie gegen muslimischen Antisemitismus tun könne. "Wir können nicht so weitermachen." Wie man dem Problem begegnen könne, wollten die Besucher von Güvercin wissen. Seine Antwort: Indem man nicht immer nur die Funktionäre der Verbände anhöre, sondern auch offene und liberale Muslime, die sich unter dem Druck der Verbände zurückgezogen hätten.

Der türkische Präsident Erdo?an werde im Westen gerne unterschätzt, sagte Güvercin. Er sehe es als eine Art Wettbewerb, die deutschen Muslime an die Türkei zu binden. Und Bundeskanzler Scholz sowie Bundespräsident Steinmeier schafften es aus Güvercins Sicht nicht, sich deutlich abzugrenzen. Steinmeier hatte bei seinem Besuch vor wenigen Wochen in der Türkei Erdo?an "werten Freund" genannt - den Mann, der die Hamas als Freiheitsbewegung bezeichnet. Er sei als deutscher Muslim enttäuscht vom Bundespräsidenten, so Güvercin in aller Deutlichkeit. Das Bundesinnenministerium verhandle mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara über die Ausbildung der Imame in Deutschland. "Als ob Ankara meine Bedürfnisse als deutscher Muslim kennt." Auch von regionalen Politikern wünsche er sich mehr Abgrenzung von antisemitischem Islam und von offensichtlich aus der Türkei gesteuerten Verbandsfunktionären, sagte Güvercin im Anschluss an den Vortrag.

Klare Position zur Terrororganisation Hamas

Bernd Sommer von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Heilbronn freute sich, mit Güvercin einen jener zahlreichen Muslime begrüßen zu können, die ihre Religion verteidigten gegen die Instrumentalisierung von Hass und Extremismus. Pfade zum Frieden im Nahen Osten seien "weit und dornig" und hätten erst dann Aussicht auf Erfolg, "wenn die Strukturen des Hasses kapituliert haben - oder nachhaltig militärisch entmachtet wurden".

Güvercins Haltung ist klar: "Solange die Hamas existiert, wird es keinen Frieden geben. Das ist meine muslimische Position, auch wenn das viele Muslime schockiert."

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben