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Interview der Woche: "Man darf nicht aufgeben und verzweifeln"

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Die Corona-Zeit ist für viele Menschen eine schwierige Zeit. Mit am schwersten von den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus und seiner Varianten betroffen ist der Kulturbetrieb - kein Kino, kein Theater, keine Konzerte. Der Frust sitzt tief, auch bei Sabrina von Lüdinghausen. Die Harfenistin spricht über so manche Lebenskrise und wie sie sie überwunden hat.

von Alexander Klug
Mal geht es aufwärts im Leben, mal geht etwas schief: Sabrina von Lüdinghausen hat schon so manche Lebenskrise gemeistert und neue Wege eingeschlagen.
 Foto: Andreas Veigel
Mal geht es aufwärts im Leben, mal geht etwas schief: Sabrina von Lüdinghausen hat schon so manche Lebenskrise gemeistert und neue Wege eingeschlagen. Foto: Andreas Veigel  Foto: Veigel, Andreas

Die Corona-Zeit ist für viele Menschen eine schwierige Zeit. Mit am schwersten von den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus und seiner Varianten betroffen ist der Kulturbetrieb - kein Kino, kein Theater, keine Konzerte. Der Frust sitzt tief, auch bei Sabrina von Lüdinghausen. Sie unterrichtet Harfe an den städtischen Musikschulen Heilbronn und Weinsberg, davor spielte sie jahrelang Konzerte mit Orchestern auf der ganzen Welt. Schon vor Corona hat sie gelernt, dass hinzufallen zum Leben dazugehört - und dass man gut beraten ist, nicht allzu lange liegen zu bleiben. Wie sie das macht, erzählt Sabrina von Lüdinghausen im Interview.

 

Was machen Sie denn zurzeit ohne die Konzerte und den Unterricht in der Musikschule, Frau von Lüdinghausen?

Sabrina von Lüdinghausen: Ja, nirgends ein Konzert mit Publikum spielen und übrigens auch hören zu können, tut weh. Aber der Unterricht ist ja online möglich, auch wenn mir das deutlich weniger gefällt als gemeinsam in einem Raum. Und selbst die Corona-Zeit bietet so manche Chancen.

 

Welche sind das?

Von Lüdinghausen: Ich habe die Zeit gefunden, eine Fortbildung in Gesang zu machen. Das unterrichte ich jetzt auch. Man darf nicht aufgeben und verzweifeln, auch wenn es mal schwierig wird.

 

Grund zum Verzweifeln gab es immer mal wieder in Ihrem Leben.

Von Lüdinghausen: Das stimmt. Es gibt so ein paar Sachen, die darf man eigentlich niemandem erzählen. Zum Beispiel die mit dem Autounfall damals.

 

Was ist beim Autounfall passiert?

Von Lüdinghausen: Das war 2004. Ich hatte ein paar Wochen vorher meinen Sohn per Kaiserschnitt bekommen und habe partout nicht eingesehen, dass zehn Variete-Auftritte die Woche vielleicht keine so gute Idee sind. Mit Säugling und Harfe im Auto war ich spät abends auf der Autobahn unterwegs und es hat gekracht. Das war ein Schock.

 

Wurde jemand verletzt?

Von Lüdinghausen: Nein. Und im Rückblick hatte ich wahrscheinlich einfach zu viel um die Ohren. Zum zweiten Mal geheiratet habe ich 2004 ja auch noch...

 

In der Tat ein mächtiges Programm.

Von Lüdinghausen: Vielleicht ein bisschen zu mächtig. Nach der Geburt meines Sohnes und dem schweren Autounfall war ich lange Zeit nah am Burnout. Körperlich und psychisch. Niedriger Blutdruck, depressive Stimmung. Das war nicht schön.

 

Wie haben Sie reagiert? Haben Sie mit Entscheidungen gehadert?

Von Lüdinghausen: Es tut mir weh, wenn etwas schiefgeht, aber ich bin nicht der Typ, der mit Entscheidungen hadert. Es hat schon alles einen Sinn. Früher oder später mache ich eine Bestandsaufnahme. Und dann schaue ich nach der Tür, durch die ich gehen kann.

 

Wie sah diese Tür aus?

Von Lüdinghausen: Eine dieser Türen war der Abschied aus Düsseldorf. Nach dem Studium in Den Haag hatte ich mich ins extrem reiche Kulturleben in Düsseldorf und Nordrhein-Westfalen gestürzt und mir dort viel aufgebaut. So etwas zurückzulassen, ist für einen Freiberufler sehr riskant. Außerdem war es einfach eine aufregende Zeit, das Loslassen fiel mir sehr schwer. Ich denke, das war eine der mutigsten Entscheidungen in meinem Leben.

 

Sie haben sich trotzdem getraut. Wie kam das?

Von Lüdinghausen: Mein damaliger Mann hat ein Engagement bei einem Stuttgarter Orchester bekommen. Und ich bin mit ihm ins Schwäbische gezogen. Ich habe versucht, hier etwas Ähnliches aufzubauen wie in Düsseldorf, aber so richtig geklappt hat es nicht.

 

Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Mut enttäuscht worden ist?

Von Lüdinghausen: Auf keinen Fall. Klar, manchmal stellen sich Entscheidungen im Nachhinein als problematisch heraus. Aber ich denke, das ist normal und gehört dazu. Es waren ja auch gute Zeiten dabei. Ich bin einfach nicht der Typ, der allzu lange zurückschaut. Es geht immer irgendwie weiter.

 

Das klingt hart.

Von Lüdinghausen: Das habe ich wahrscheinlich von meiner Mutter. Sie hat das so vorgelebt, die Stärke, sie hat mich alleine großgezogen. Aber so hart bin ich gar nicht.

 

Es macht ein wenig den Eindruck.

Von Lüdinghausen: Nicht missverstehen. Ich bin sehr emotional. Wenn etwas Wichtiges schiefgeht, kann ich weinen und tue es auch. Manchmal tagelang. Schmerz und Trauer muss ich zulassen, sonst werde ich krank. Wenn eine Ehe zu Ende geht, kann ich da nicht drüber weggehen wie eine Dampfwalze. Aber ich brauche es, wieder eine Richtung zu finden, in die es weitergehen kann. So wie damals als ich mir den Fuß gebrochen habe und dachte, mit dem Harfespielen wäre es zu Ende.

 

Zur Person
Sabrina von Lüdinghausen wurde am 25. Dezember 1970 in Düsseldorf geboren und ist auch dort aufgewachsen. Sie studierte in Köln, Detmold und Den Haag Harfe, Klavier und Gesang und spielte in der Folge mit mehreren Orchestern zusammen und gibt Konzerte - darunter die Münchener Philharmoniker, das WDR-Sinfonieorchester und die Bochumer Symphoniker. Seit dem Jahr 2016 unterrichtet sie Harfe an den städtischen Musikschulen Heilbronn und Weinsberg. Beim Heilbronner Heinrich-Schütz-Chor kümmert sie sich um die Stimmbildung. Mit Sohn und Partner lebt sie derzeit in Stuttgart-Bad Cannstatt.

Was ist passiert?

Von Lüdinghausen: Ich war mit meinem Sohn beim Trampolinspringen. Dabei bin ich so unglücklich aufgekommen, dass ich mir sehr kompliziert den Fuß gebrochen habe. Zehn Tage Krankenhaus, zwei Operationen, Schrauben, Schienen, über viele Wochen. Wissen Sie, eine Konzertharfe hat einige Pedale, die kann man nicht bedienen, wenn der Fuß nicht funktioniert. Es sah zwischendurch so aus, als wäre es das gewesen mit meinem Beruf.

 

Aber es gab einen Ausweg?

Von Lüdinghausen: Ich war überzeugt davon, dass ich das schaffe. Den Fuß zu behalten. Wieder Harfe zu spielen. Und wie durch ein Wunder hat das auch geklappt, nicht viele hatten damit gerechnet. Bald ging ich wieder an Krücken mit meiner Schwiegermutter am Strand bei Cuxhaven spazieren, die Schienen kamen weg und irgendwann konnte ich auch wieder spielen. Nur der Ehemann, der war weg.

 

Was? So plötzlich?

Von Lüdinghausen: So plötzlich, wie es jetzt klingt, war es nicht. Und auch da war ich traurig, dass es so kam, wie es kam. Aber dann ging es Schlag auf Schlag. Er zog aus, der Hund ein. Schließlich musste sich ja jemand um meinen Sohn kümmern.

 

Wie haben Sie das zeitlich hinbekommen bei dem ganzen Programm?

Von Lüdinghausen: Ich musste aufhören, mit Orchestern durch die halbe Welt zu fliegen und 1000 Sachen gleichzeitig zu machen. Es war einfach viel zu viel. Um Geld zu verdienen, habe ich angefangen, an den Musikschulen in Heilbronn und Weinsberg Harfe und Klavier zu unterrichten und nur kleinere Konzerte in der Umgebung wahrzunehmen. Aber auch diese schwierige Zeit hatte etwas Gutes.

 

Was meinen Sie?

Von Lüdinghausen: Durch mein Engagement an der Heilbronner Musikschule habe ich nicht nur das Unterrichten lieben, sondern auch meinen heutigen Partner kennengelernt. Das war vielleicht die mutigste Entscheidung meines Lebens. Nach gerade Mal zwei Wochen mit ihm zusammenzuziehen und wieder einen neuen Weg einzuschlagen.

 

 

 

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