Kaum Corona-Gefahr in Bus und Bahn
Betreiber sehen sich durch die neue Studie zur Corona-Infektionsgefahr im Nahverkehr bestätigt. Befragte verweisen auf gute Lüftungssysteme in den allermeisten Fahrzeugen. Wenn Schulen wieder starten, sind Zusatzbusse erneut eine Option - zumindest bis zu den Sommerferien.

Die neue Studie einer Berliner Charité-Tochtergesellschaft zur Corona-Infektionsgefahr in Bussen und Bahnen hat aufhorchen lassen. Es gebe keine erhöhte Gefahr gegenüber dem Individualverkehr wie Auto oder Fahrrad ist das Resultat der Forscher nach fünfwöchigen Untersuchungen mit 681 Teilnehmern von 16 bis 65 Jahren.
Also vollends grünes Licht für die Fahrt in Stadtbahn, Regionalbus oder Nahverkehrszug? Von einer guten Nachricht für Kunden des Öffentlichen Nahverkehrs sprach die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz Dr. Maike Schaefer. Landes-Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kommentiert die Studie so, dass die Bürger wieder "mit einem besseren Gefühl" in Bus und Bahn einsteigen könnten.
Kritik an kleiner Teilnehmerzahl der Untersuchung: 681 Probanden machten mit
Es gibt aber auch Kritik an der recht kleinen Teilnehmerzahl. Der "Spiegel" verweist zudem darauf, dass Teilnehmer einer Studie ihre Masken wohl konsequenter und korrekter anwendeten als die Allgemeinheit der Fahrgäste. Und: Die Studie lief im März/April im Rhein-Main-Gebiet, als die Fahrgastzahlen im Lockdown relativ gering waren. Was sagt dies über volle Busse aus?
Dennoch: Der Fakt, dass es auch in dieser Zeit in Bus und Bahn keine Auffälligkeiten oder höhere Infektionswerte gab, steht erst einmal.
Die Einnahmeverluste für die Anbieter im Nahverkehr waren und sind in der Corona-Krise enorm. Es sei "sehr wichtig, dass das subjektive Sicherheitsempfinden vieler Fahrgäste nun durch eine belastbare Studie untermauert wird", sagt Ascan Egerer für den Stadtbahnbetreiber Albtalverkehrsgesellschaft (AVG) zu den Resultaten. Die Gesundheit der Fahrgäste habe oberste Priorität - deshalb werde die AVG auch weiterhin an den Schutzmaßnahmen festhalten.
Dazu zählen FFP2-Maskenpflicht in den Stadtbahnen einschließlich Kontrollen, Lüftungssysteme in modernen Stadtbahnen, das regelmäßige Öffnen aller Türen zum Luftaustausch an jeder Haltestelle, der Einsatz langer Fahrzeuge und umfangreiche Reinigung. Auffällige Corona-Infektionszahlen hat die AVG nach Angaben von Sprecher Nicolas Lutterbach nicht in den eigenen Reihen. Fahrzeugführer säßen in abgeschirmten Kabinen, aber auch bei Fahrausweisprüfern gebe es keine auffälligen Ausfälle. "Toi, toi, toi."
Stadtwerke-Chef: Alle zwei Minuten wird die Luft in den Stadtbussen ausgetauscht
Für Tilo Elser, Leiter der Heilbronner Verkehrsbetriebe, bestätigt die Studie "unseren Eindruck seit Beginn der Pandemie". Er verweist auf moderne Lüftungssysteme in den täglich verkehrenden 62 Stadtbussen, alle zwei Minuten werde die Luft ausgetauscht. Bei den Verkehrsbetrieben habe es nur ganz wenige Infektionen gegeben, die nachweislich im privaten Umfeld erfolgt seien. Elser hofft, dass die Studie Fahrgästen mit Zweifeln die Angst vor Bus und Bahn nehme. Immerhin habe ein namhaftes Institut die Analyse vorgenommen. Wenn Schulen nun wieder verstärkt auf Präzenz umstellen, sieht er bei Wechselunterreicht keine Probleme mit überfüllten Fahrzeugen. Wenn alle zurückkehrten, könne man je nach Impfquote über Zusatzfahrten wie im November/Dezember reden. Das Land habe diese bis zu den Sommerferien in Aussicht gestellt.
Auf gute Lüftungen und die Maskenpflicht verweist auch Gerhard Gross, Geschäftsführer im Heilbronner-Hohenloher-Haller Nahverkehr (HNV). Die Studie sei "eine Unterstützung für uns". Er hofft darauf, dass Fahrgäste nun wieder verstärkt zurückkommen. Mit allen Schutzmaßnahmen sei das Risiko überschaubar. Zur Kritik an der Studie meint Gross: "Es sind Fachleute, die sie durchgeführt haben."
"Froh" über das Studienergebnis ist Andreas Kühner, Gross-Reisen-Geschäftsführer und Bezirksvorsitzender im Verband der Busunternehmen. Auch er verweist auf Schutzmaßnahmen und leistungsfähige Klimaanlagen in den Bussen im Nahverkehr, auch er sieht bei einem flächendeckendem Präsenzunterricht ein System mit Zusatzbussen als möglich an. Da gebe es mit den Landratsämtern und der Stadt Heilbronn eine gute Zusammenarbeit. Kühner hofft, dass diese Studie bei den Menschen wieder mehr Vertrauen in Bus und Bahn weckt. Der öffentliche Nahverkehr sei schließlich auch ein wichtiger Baustein für Nachhaltigkeit.
Fahrgäste blieben zuletzt fern: Ein Rückgang auf die Hälfte
Die Fahrgastverluste schwanken in der Corona-Zeit in Abhängigkeit von Lockerungen und Wetter. Von einem Rückgang auf etwa 50 Prozent im Vergleich zu Zeiten vor Corona sprechen die Anbieter. Die AVG meldete im März 53 Prozent, die Heilbronner Verkehrsbetriebe aktuell knapp 50 Prozent. Im Dezember sei es sogar nur ein Drittel gewesen, hieß es.
Meinung: Fingerzeig
Was sind die Ergebnisse einer solchen Corona-Studie in Bus und Bahn wert? Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen ist Hauptauftraggeber der Studie, die von einem renommierten Institut - der Charité Research Organisation in Berlin - durchgeführt wurde. Diese ist auf medizinisch-klinische Studien spezialisiert. Mitfinanziert wurde die rund zwei Millionen Euro teure Analyse von elf Bundesländern.
Man kann an jeder Studie etwas finden, das kritikwürdig erscheint. Die Teilnehmerzahl ist nicht extrem groß, die Aussage kann deshalb eher als eine deutliche Tendenz gewertet werden. Aber: In der Corona-Krise, in der vieles neu und ungeklärt ist, liegt jetzt wenigstens mal ein wissenschaftliches Ergebnis zum vieldiskutierten Nahverkehr auf dem Tisch. Und das sagt aus, in Zeiten spärlich gefüllter Busse und Bahnen ist das Risiko mitzufahren bei Beachtung der Hygieneregeln samt Maskenpflicht nicht sonderlich groß.
Andererseits muss man auch die Grenzen der Studie sehen. Sie sagt nichts dazu aus, wie viel Risiko mitfährt, wenn Schüler sich demnächst wieder in Massen morgens im Nahverkehr drängen oder Pendler zur Rushhour in proppenvollen Zügen fahren. Und: Die Fahrten waren maximal 30 Minuten lang. Über Ansteckungsrisiken bei stundenlangen Bus- oder Bahnfahrten kann die Untersuchung keine Aussage treffen.
Sie ist ein klarer Fingerzeig, dass man im Nahverkehr derzeit ziemlich beruhigt in Bus und Bahn einsteigen kann. Und sie deutet auch an, dass Land und Kommunen wenigstens bis zur Sommerpause das Konzept beibehalten sollten, bei Lockerungen zu den Stoßzeiten lange Fahrzeuge und Zusatzbusse fahren zu lassen. Damit die Gefahr niedrig bleibt.