Kinder sexuell missbraucht?
Lang zurückliegende Taten in Spätregenmission sollen bis heute vertuscht worden sein.

Beilstein - Jahrzehntelang hat Peter W. (Name geändert) das Erlebte mit sich herumgetragen. Nun ist er soweit, darüber zu reden, offizielle Stellen zu informieren. Im Gespräch mit der Heilbronner Stimme schildert der Mann, wie er als Kind in den 70er Jahren wiederholt sexuell missbraucht worden sei. Täter: Mitglieder der Deutschen Spätregenmission. Tatort: Das Glaubenshaus Libanon in Beilstein. Peter W. kann nicht verstehen, dass diese Missbrauchsfälle bis heute nicht aufgearbeitet worden seien, obwohl er Verantwortliche der Mission informiert habe. Der Mann versichert: In dieser Zeit seien weitere Jungen zum Opfer geworden.
Kontakt
"Im Alter von zehn bis 15 Jahren bin ich schwer sexuell missbraucht worden", erzählt Peter W. Meist an Wochenenden, oft im Heizungsraum des Gebetshauses. Die pädophilen Täter hätten zum Teil zur Führungsebene der Prediger gehört. "Sie waren vermögend und deshalb unantastbar." Er stehe in − anonymem − Kontakt mit mehreren Jungen, die die selben Erfahrungen gemacht hätten. "Viele trauen sich noch nicht, sich zu offenbaren." In der Tat tauschen sich in einem religiösen Diskussionsforum öffentlich Menschen aus, die behaupten, in Häusern der Spätregenmission missbraucht worden zu sein.
Die wiederholten Übergriffe haben nach Darstellung von Peter W. tiefe Spuren in seinem Körper, in seiner Psyche hinterlassen. Er sei teilweise schwerbehindert. Peter W. würde seine Geschichte vermutlich heute nicht einer Zeitung erzählen, wenn sich die Spätregenmission um ihn gekümmert hätte. "Es wurde nie etwas unternommen." Damals nicht, später nicht. Die Mission sei an einer wirklichen Aufarbeitung nicht interessiert.
Eine Anfrage der Stimme beantwortet der seit November 2012 amtierende Vorsitzende Martin Illig nur allgemein: "Die Mission möchte diese Personen herzlich einladen, im Gespräch mit uns die Geschehnisse der Vergangenheit vorzubringen." Im offenen und persönlichen Gespräch miteinander könne Heilung und Genesung angestrebt werden. Die Frage, ob Opfern in der Vergangenheit beigestanden, ob psychologische Betreuung angeboten wurde, beantwortet Illig nicht. Er macht auch keine Angaben dazu, wie viele Missbrauchsfälle der Mission bekannt sind.
Martin Illig erklärt, dass die Mission "vor einiger Zeit öffentlich darauf verwiesen habe, bestimmte Beschwerden bei den Behörden anzumelden". Klagen, die vom "Staatsanwalt und den Behörden untersucht und geklärt gehören, bitten wir, schnellstmöglich einzureichen". Für eine Strafanzeige ist es im Fall von Peter W. wohl zu spät. "Die Taten sind verjährt", sagt er. Warum ist er nicht früher zur Polizei gegangen? "Der Druck und die Ängste waren so entsetzlich groß, dass ich das niemals gewagt hätte." Peter W. ist in einem Haus der Mission geboren und dort aufgewachsen.
Sexueller Missbrauch ist oft nur schwer zu belegen. Viel hängt von der Glaubwürdigkeit der Menschen ab. So auch bei Peter W. "Auf mich hat er einen glaubwürdigen Eindruck gemacht", erklärt Hansjörg Hemminger, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche auf Stimme-Anfrage. Ihm hat Peter W. vor ein paar Tagen von seinem Missbrauch berichtet. Außerdem, so Peter W., habe er den Fall dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung gemeldet. Dass Opfer viel Zeit benötigen, bis sie ihre Leidensgeschichte schildern können, ist nicht ungewöhnlich. Sexueller Kindesmissbrauch, werde, wenn überhaupt, oft erst Jahre oder Jahrzehnte später angezeigt, erklärt Professor Christian Pfeiffer vom kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen.
Skandal
Hansjörg Hemminger, der die Mission seit langem beobachtet, glaubt nicht an einen massenweisen Missbrauch. Er geht von Einzelfällen aus und berichtet von einem anonymen Kontakt zu einem weiteren potenziellen Opfer. Der Skandal sei, dass dies damals vertuscht und nicht aufgearbeitet worden sei. Für die Psyche der Betroffenen habe dies katastrophale Folgen.
Die Spätregenmission sieht sich als "Teil des Leibes Christi". Den Nächsten zu lieben wie sich selbst, gehöre zu den biblischen Grundregeln der Gemeinschaft. "Die Mission distanziert sich ausdrücklich von jeglichem Abweichen von diesen Grundregeln", betont Martin Illig.