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Interview
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"Gemeinsamkeiten stärker betonen"

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Viele kennen die Moderatorin Stephanie Haiber vom Radio und aus dem Fernsehen. Im Dritten moderiert sie SWR Aktuell. Im Interview spricht sie über Zusammenhalt, Politik, Familie und wie ein Schicksalsschlag ihr Denken beeinflusst.

Von Heike Kinkopf
Stephanie Haiber stammt aus der Region. Der Familienzusammenhalt ist ihr wichtig. Und nicht nur der. Foto: Mario Berger
Stephanie Haiber stammt aus der Region. Der Familienzusammenhalt ist ihr wichtig. Und nicht nur der. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Ist das die Haiber?", fragt eine Passantin beim Fotoshooting in der Stuttgarter Innenstadt. Die Haiber. Es klingt nach Prominenz. Die SWR-Journalistin lacht, als sie später davon erfährt. Im Gespräch wird sie ernst. Sie sieht den Zusammenhalt in der Gesellschaft gefährdet, sagt aber auch, was ihn stärkt.

Wie egoistisch sind Sie, Frau Haiber?

Stephanie Haiber: Egoismus ist etwas, das ich mir bis zu einem gewissen Punkt antrainiert habe. Ich bin empathisch, mehr der klassische Familienmensch. Zu Hause sage ich immer, ich kann gut Kutsche laufen.

Kutsche laufen? Was meinen Sie damit?

Haiber: Kutsche laufen meint, dass ich eben nicht vorneweg galoppiere, sondern schaue, was machen die anderen? Wie geht es den anderen heute? Wer braucht etwas? Ich bin also mehr wie ein Pferd im Gespann an der Kutsche.

Wird die Gesellschaft egoistischer?

Haiber: Ich denke, dass Egoismus zunimmt. Wenn ich zum Beispiel überlege, wie viele Menschen in Baden-Württemberg alleine im Auto sitzen und weit pendeln. Oder andere, die zwei Jobs haben, um über die Runden zu kommen. Sie alle müssen schauen, wie sie ihr Leben organisieren. In so einer Situation konzentriert man sich auf sich selbst. Wer dagegen mehr gemeinsam macht, im Verein oder in der Familie, erlebt häufiger, dass er aneckt und nimmt sich zurück.

Ihr Vater war Bürgermeister in Untergruppenbach, Ihre Mutter Schulleiterin in Talheim. Wie hat Ihr Elternhaus Sie geprägt?

Haiber: Ich war das jüngere von zwei Kindern und um mich herum waren starke Persönlichkeiten, die sich für die Gemeinschaft einsetzten. Ich erlebte, dass meine Mutter abends stundenlang wegen eines Schülers telefonierte, den andere abgeschrieben hatten. Mein Vater war ein Teamplayer, der sich als einer von vielen verstand. Wenn etwas angepackt werden musste, wurde gemeinsam nach Lösungen gesucht.

Was ist der Kitt, der Ihre Familie zusammenhält?

Haiber: Wir verbringen viel Zeit miteinander. Wir machen Dinge zusammen, in denen nicht jeder Experte ist. (lacht) Beispielsweise binokeln wir, und meine Mutter versteht bis heute die Regeln nicht.

Was haben Sie aus privaten Erfahrungen für das Leben in der Gesellschaft gelernt?

Haiber: Aus dem Familienzusammenhalt nehme ich zwei Dinge mit: Dass man Wurzeln hat und dass man füreinander da ist. Heute haben viele Menschen das Gefühl, die Orientierung zu verlieren. Viele Themen sind komplex, alles ist global. Familiäre Wurzeln geben Sicherheit.

Menschen finden Gemeinsames zunehmend in kleinen Gruppen. Wer anders ist, wird abgelehnt oder ausgeschlossen.

Haiber: Zunächst mag das auch Sicherheit geben. Es vermittelt ein Zugehörigkeitsgefühl und ein Gemeinschaftsgefühl. Es läuft aber in eine falsche Richtung.

Worin zeigt sich Zusammenhalt im Alltag?

Haiber: Häufig fallen einem eher Beispiele ein, die zeigen, dass er schwindet. Bei sozialen Medien etwa ist von der Verrohung der Sprache die Rede. Es handelt sich dabei um eine laute Minderheit. Sie prägt jedoch die Berichterstattung in den Medien und das politische Handeln. Ich wünsche mir mehr Verständnis für die jeweils andere Seite. Je vielfältiger und verschiedener eine Gesellschaft wird, umso mehr brauchen wir gemeinsame Werte, auf die wir uns einigen. Um diese Werte wird gerungen. Wobei ich meine, dass es immer weniger Gemeinsamkeiten gibt.

Was tun Sie für ein gutes Miteinander?

Haiber: Ich tue in kleinen Situationen etwas dafür. Ich sehe, wenn in der Stadt jemand friert oder wenn jemand weint. Ich sehen, ob jemand Hilfe braucht.

Und dann helfen Sie?

Haiber: Ja, zum Glück passiert das nicht hundert Mal am Tag, das würde ich nicht schaffen. Neulich zum Beispiel habe ich ein weinendes Mädchen vor dem Sender aufgegriffen. Sie hatte den Notarzt gerufen, weil sich eine Freundin geritzt hatte. Für mich war es selbstverständlich, zu bleiben. Zu warten, bis der Arzt da ist.

Die Vereinzelung der Gesellschaft, individuelle Lebensentwürfe, die kulturelle Verschiedenheit. Ist das Segen oder Fluch?

Haiber: Es kommt darauf an, wo man sich befindet. In einer Großstadt sind Menschen es häufig gewöhnt, dass alles bunt ist, das erschreckt kaum einen. Woanders ist man das aber nicht gewöhnt. Außerdem hat sich vieles sehr schnell verändert in den vergangenen Jahren. Es gibt Menschen, die kommen nicht mehr klar und fragen sich etwa, wie mache ich Online-Banking? Oder die Bilder von Flüchtlingen. Sie haben Menschen Angst gemacht. Wie viele kommen? Wie werden wir damit fertig? In solchen Momenten empfinden Menschen Vielfalt häufig als Fluch.

Was tun?

Haiber: Ihre Ängste muss man hören, aber auch Positives zeigen. Zum Beispiel eine Stadt wie Heilbronn, in der mehr als die Hälfte der Bürger einen Migrationshintergrund hat und die trotzdem nicht täglich mit Mord und Totschlag in den Schlagzeilen steht.

Wie erleben Sie Politiker?

Haiber: Ich erlebe sehr viele von ihnen als Menschen, denen Zusammenhalt wichtig ist. Sie versuchen, dafür Konzepte zu entwickeln.

Kommt das bei den Menschen an?

Haiber: Bei einigen. Es ist aber auch schwierig. In einer Fernsehsendung zum Beispiel sollen Politiker in zwei, drei Minuten ihre Botschaften unterbringen und zwar so, dass sie jeder versteht. Dabei müssen sie aufpassen, was sie sagen, um nicht falsch ausgelegt zu werden. Oder in der eigenen Partei sind die Positionen noch nicht festgelegt, weil es noch Flügelkämpfe gibt. Sie retten sich dann in eine glatte Sprache, um nicht angreifbar zu sein. Sie formulieren gestelzt, vorsichtig. Das wirkt auf einige gekünstelt. Politiker erscheinen dann vielleicht nicht ehrlich.

Musste sich Ihr Vater winden und überlegen, wie er was sagt?

Haiber: Ich sage es als Tochter mal liebevoll: Diplomatie war unter Zeitdruck nicht immer seine Sache. Aber im Grunde ist mein Vater umgänglich. Wer etwas erreichen will, kann nicht immer gleich mit der Tür ins Haus fallen.

Wer etwas Bestimmtes erreichen will, muss sich durchsetzen können, taktieren, überzeugen, nach Macht streben. Behindert das den Zusammenhalt?

Haiber: Ja, dafür gibt es aktuell in der großen Politik einige Beispiele von Autokraten, die spalten. Aber schauen Sie dagegen mal in Unternehmen. Dort setzen sich ganz andere Führungsrollen durch, es wird im Team geführt. Für mich heißt das, wenn Gesellschaften vielfältiger und komplizierter werden und sich nicht mehr so leicht auf einen Nenner bringen lassen, gerade dann müssen wir uns mehr austauschen.

Die Suche nach dem Konsens birgt die Gefahr, dass alles gleichgemacht wird, alles eins wird. Politiker und Parteien werden nicht mehr in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen.

Haiber: Das erleben wir zum Beispiel mit der Großen Koalition in Berlin. Es gibt außerdem aber noch eine Gefahr, nämlich die, dass immer nur der kleinste gemeinsame Nenner zum Zug kommt.

Driftet die Gesellschaft auseinander?

Haiber: Ich möchte kein Pessimist sein. Ich wünsche mir, dass Gemeinsamkeiten wieder stärker betont werden. Es gibt Werte, auf die wir uns verständigen können. Nehmen Sie die Zehn Gebote, oder wenn es einer weniger religiös haben möchte: Es gibt das Grundgesetz. Ich hoffe, dass die Menschen wieder näher zusammenrücken, ohne auszugrenzen.

Warum ist Ihnen Zusammenhalt wichtig?

Haiber: Meine beste Freundin ist 2002 bei einem Anschlag auf Bali durch Extremisten ums Leben gekommen. Damals gab es Entsetzen. Aber so ein Anschlag wurde lange nicht so instrumentalisiert von allen möglichen politischen Kräften wie heute. Wenn man zum Beispiel auf die Ereignisse in Chemnitz und anderswo schaut. Für die Angehörigen ist der Tod eines geliebten Menschen eine sehr private Sache. Wenn daraus noch mehr Hass resultiert, so was macht mich fertig. Der Tod meiner Freundin war so sinnlos. Wenn ich heute in hitzigen Debatten sehe, zu welchen Aggressionen Anschläge, Morde führen, dann denke ich: Jetzt gewinnen Extremisten. Wir sollten nicht zulassen, dass sie uns auseinanderdividieren. Ich habe mich auch gefragt: Will ich mich selbst vergiften? Will ich diesen Hass jeden Tag in mir tragen? Ich denke, es ist nicht meine Aufgabe, mich zu rächen, und es ist nicht meine Aufgabe, zu hassen."


Zur Person: Stephanie Haiber, 45 Jahre alt, wächst bei Öhringen und in Untergruppenbach auf. Nach dem Abitur am Theodor-Heuss-Gymnasium in Heilbronn studiert sie zunächst Politische Wissenschaften, Soziologie und Germanistik in Mannheim, bricht das Studium aber ab. Sie absolviert ein Volontariat bei Radio Regional (später Radio Ton) und bei der Heilbronner Stimme. Bei Radio Regenbogen und SWR3 moderiert sie Musiksendungen, die Morningshow und das Nachtmagazin Luna. 2012 wechselt sie zum Fernsehen. Im Dritten moderiert sie SWR Aktuell. Haiber hat eine Tochter.

 

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