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Fotograf zeigt Lost Places in der Nähe von Heilbronn

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Benjamin Seyfang fotografiert verlassene Orte in Baden-Württemberg und ist auch in der Region Heilbronn fündig geworden - zum Beispiel in Bad Rappenau und Bad Wimpfen.

Von Torsten Schöll
Die Schönheit des Vergänglichen wird an dieser verlassenen Küche besonders deutlich.
Die Schönheit des Vergänglichen wird an dieser verlassenen Küche besonders deutlich.  Foto: Alternativer Fotograf

Wo dieses alte Dorfhaus tatsächlich steht, soll hier keine Rolle spielen. Irgendwo in Baden-Württemberg. Urban Explorer, zu Deutsch Stadterkunder, sind verschwiegen. Zumindest nach außen. Entdecker Benjamin Seyfang sagt: "Leute, die sich kennen, tauschen aber schonmal die besten Orte untereinander aus." Verlassene Orte, in Pseudoenglisch Lost Places genannt. Für sein neues Buch hat Seyfang solche Plätze auch rund um Heilbronn aufgestöbert und fotografiert. 

Auf dem Foto versinkt ein Auto, irgendwo bei Bad Wimpfen. Der Fotograf nennt bewusst keine Details zum Ort:

 

 
 
 
 
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Bücher aus den 70ern liegen herum

Es ist taghell. Die Wintersonne steht tief. Wir blicken uns in der Dorfstraße zwei Mal um und verschwinden dann hinter dem halb verfallenen Fachwerkhaus, das seit Jahren leer steht. Die Türen, längst aus den Angeln gehoben, sind von innen verkeilt. An einer Hausseite findet sich eine kleine Öffnung in Kopfhöhe. Rucksäcke rein, wir hinterher, halb gestiegen, halb gekrochen. Auf der anderen Seite landen wir sanft in einigen Strohballen.

"Ich war hier schon einmal vor ungefähr zwei Jahren." Benjamin Seyfang flüstert. Es muss nicht jeder draußen gleich hören, dass sich in dem alten Haus jemand herumtreibt. Doch tatsächlich ist es auch ein Ort, der nach Stille verlangt.

Benjamin Seyfang ist fasziniert von verlassenen Orten. Fotos: Benjamin Seyfang und Torsten Schöll
Benjamin Seyfang ist fasziniert von verlassenen Orten. Fotos: Benjamin Seyfang und Torsten Schöll  Foto: Alternativer Fotograf

Bei seinem ersten Besuch war die Zerstörung im Innern des Bauernhauses noch nicht so weit fortgeschritten. "Echt schade", sagt der Nürtinger, der in der Urban Explorer-Szene einen Namen hat. Eine Jukebox aus den Fünfzigern war das Juwel dieses verlassenen Ortes. Jetzt ist sie total ramponiert. In seinem neuen Buch mit Bildern verlassener Orte in Baden-Württemberg, erschienen im Silberburg-Verlag, zeigt eine seiner Fotografien eine kleine Puppe, wie sie in diesem Haus am Rahmen eines Fensters lehnt.

Die Puppe ist verschwunden. Dass hier irgendwann Kinder lebten, davon zeugen noch Jugendbücher aus den 70er-Jahren, die auf dem Boden verstreut liegen. In der Küche steht ein Topf auf dem Herd. Als ob jemand ganz plötzlich aufbrechen musste.

Kraichgauer Stillleben

Seyfang lässt alles unangetastet, wenn er einen verlassenen Ort aufsucht. Wichtig sind ihm seine Fotografien, aber vor allem das Erlebnis, einzutauchen in eine Welt, in der die Zeit stehen geblieben scheint. "Am liebsten sind mir Orte, die eine fast surreale Ausstrahlung haben", sagt der 31-Jährige. Er erzählt von einer verlassenen Tierarztschule voller skurriler Präparate, von aufgegebenen Krankenhäusern oder diesem Autofriedhof mitten in einem Wald.

Malerisches Gerümpel: Dieses Bild entstand bei Bad Rappenau.
Malerisches Gerümpel: Dieses Bild entstand bei Bad Rappenau.  Foto: Alternativer Fotograf

Dann ist da die Werkstatt in der Nähe von Bad Rappenau, in der alte Gerätschaften und Fahrräder wie zu einem Stillleben arrangiert scheinen. Oder der ausgediente Audi auf einem Grundstück bei Bad Wimpfen. Es sieht aus, als ob ein Baum aus dem Wrack herauswächst.

Die Villa Berg in Stuttgart hat der Fotograf bis heute nicht betreten

Zurück zum Fachwerkhaus: Wir betreten einen Raum, in dem die einstigen Bewohner eine ganze Sammlung an alten Fahrrädern und Mopeds abgestellt haben, die jetzt vor sich hin rosten. In einem schmalen Nebenzimmer steht noch ein Bett. Wieso gibt es bei uns Wohnhäuser, die jahrelang leer stehen, manchmal, bis sie von selbst zusammenfallen?

"Meistens führen Erbstreitigkeiten dazu, dass sich niemand mehr um ein Haus kümmert", sagt Seyfang, der gar nicht so selten versucht, sich erst einmal eine Genehmigung zu organisieren, bevor er einen dieser Lost Places betritt.

An der Villa Berg in Stuttgart, der ehemaligen Sommerresidenz der württembergischen Könige, ist er damit vor kurzem gescheitert. Er stellte bei der Stadt den Antrag, das Bauwerk betreten zu dürfen, um zu fotografieren. "Der Termin stand schon fest", sagt Seyfang, der im Beruf Abwassertechniker ist. Dann kam die Absage. "Warum, weiß ich nicht." Betreten hat er die Villa bis heute nicht.

Urban Explorer bewegen sich juristisch gesehen auf heiklem Terrain

Dass sich Urban Explorer bei ihren Streifzügen auf heiklem Terrain bewegen - juristisch gesehen -, ist allen klar. "Wenn jemand kommt und will, dass ich den Ort verlasse, gehe ich sofort." Oft komme das aber nicht vor. Gefährlich an seinem Hobby ist etwas ganz anderes: Neben Wohnhäusern, stillgelegten Hotels, Kliniken oder auch Hallenbädern stehen Industrieanlagen, Bunker und Stollen ganz vorne im Pflichtenheft der Stadterkunder, die fast ausschließlich über das Internet recherchieren, wo ein lohnendes Ziel sein könnte.

Wie viele Lost Places es in unserer Region gibt, zeigt das Echo auf das Gewinnspiel des Bürgerportals Meine.Stimme im vergangenen Jahr. Mehr als 200 Fotos gingen dazu ein.Das Durchklicken lohnt sich!

Geht es in den Untergrund, trägt Seyfang eine Ausrüstung wie ein Höhlenforscher, und dann ist er nie alleine unterwegs. "Draußen weiß bei solchen Aktionen immer jemand Bescheid und kann im Notfall Hilfe holen." Klar, diese Mischung aus Verbot und Gefahr macht ein Stück weit den Reiz bei diesem Abenteuer aus.

Der Fotograf hat ein Buch mit Lost Places herausgebracht

Hier, im alten Bauernhaus, muss man nur aufpassen, dass man nicht in einen rostigen Nagel tritt. In einem der Zimmer liegen hunderte kleiner Schießscheiben, wie man sie von Kirmesbuden kennt, verstreut auf dem Holzboden. In seinem Buch "Lost Places Baden-Württemberg" hat er das Gebäude deshalb das Haus von "Schießbuden-Karl" genannt.

Solche Namen vergibt Seyfang gerne, wenn er seine Fotografien ordnet, die in die Tausende gehen und von Reisen aus ganz Europa stammen. Seit 2012 betreibt der Nürtinger sein Hobby. Und das hat ihn nicht nur durch Deutschland und seine Nachbarländer geführt, sondern bis in den Balkan, das Baltikum oder Armenien. Probleme auf seinen Reisen gab es fast nie.

Geschichten, die in Mauern stecken

Verlassene Orte erzählen Geschichten. Wenn es verlassene Wohnhäuser sind wie in diesem Fall, sind das selten schöne. Die Vergänglichkeit der Bauwerke, auf die Seyfang trifft, zeugt oft von der Vergänglichkeit der Menschen, die sie einst bewohnten. Schon deshalb verlangen diese Orte mit Respekt behandelt zu werden.

Ein Kino, das keine Besucher mehr erwartet.
Ein Kino, das keine Besucher mehr erwartet.  Foto: Alternativer Fotograf

Fotografiert Seyfang die Ruinen öffentlicher Gebäude oder Industriebrachen, trifft das nicht immer auf Begeisterung bei den Städten und Gemeinden, die die Bauwerke verfallen lassen. Der Schwarzwald, das zeigt sein Buch, ist voller Kurkliniken, deren Türen hinter dem letzten Kurgast einfach verriegelt wurden. Manchmal stehen dort noch die Kaffeekännchen auf den Tischen der Speisesäle.

Fotografien, wie sie Benjamin Seyfang macht, sind auch böse Karikaturen auf das Hochglanz-Selbstbild unserer Gesellschaft. Als wir das Haus verlassen und vom Halbdunkel wieder in die Helligkeit des Tages treten, ist das auch wie ein Schritt zurück in die Gegenwart. Ein wenig ist es fast so, als ob man aus einem Traum zuerst wieder erwachen müsste.


Noch ein Lost Place

Auch in Heilbronn waren Fotografen unterwegs: Sie haben die Ladenfläche des ehemaligen "Feinkost Müller" aus verschiedenen Perspektiven abgelichtet. Unser Kollege hat die Hobbyfotografen auf ihrem Streifzug begleitet und zeigt eindrucksvolle Aufnahmen in dieser Reportage:

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