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Hohenlohe/Fichtenau
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Esel als perfekte Wanderfreunde

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Mit den Vierbeinern an der Seite ist plötzlich alles anders. Nicht nur, weil man sich auf den Partner einstellen muss und nach dessen statt nach dem eigenen Rhythmus marschiert. Sondern auch, weil man im Sechserschritt die Umgebung ganz anders wahrnimmt.

In kleiner Gruppe geht es Seite an Seite mit dem tierischen Partner durch die herrlich abgeschiedene Natur im östlichen Hohenlohe.
In kleiner Gruppe geht es Seite an Seite mit dem tierischen Partner durch die herrlich abgeschiedene Natur im östlichen Hohenlohe.  Foto: Alternativer Fotograf

Pablo zickt. Na da macht er dem Ruf seiner Gattung gleich alle Ehre. Gerade aus dem Stall im Eselhof Rötlein herausgeholt, gibt er den jungen Wilden - und will nicht so wie Iris Niederecker. "Er ist der Spitzbub - mit jeder Menge Flausen im Kopf", sagt sie. Seit 2018 betreibt sie den Eselhof, bietet geführte Halbtages- und Tagestouren, aber auch Kinderprogramme an. Vier Esel leben auf ihrem Hof. Neben Pablo sind das Olli - sanft und sensibel, quasi "die Ruhe in Person" -, dann Max, "der Yogi" unter den Eseln und gleichzeitig Chef der Truppe, und schließlich Isabell, die Dame in der Runde, Mama von Olli und überhaupt typisch Frau, wie Iris Niederecker sagt: "Eine Mischung aus zahm und zickig." Anders ausgedrückt: "Eine selbstbewusste Eseldame."

Nicht nach hinten blicken

Einigermaßen nervös und aufgeregt sind dagegen die Gäste dieses Ausflugs. Mit dem Esel raus ins freie Gelände? Diese Erfahrung haben die meisten noch nicht gemacht. Und was, wenn man gegen den störrischen Begleiter den Kürzeren zieht? Wenn er nicht so will wie ich? Chefin Iris Niederecker holt da gleich mal den Esel vom Eis. "Keine Sorge!" Was es vor allem brauche, sei Fingerspitzengefühl. Heißt: Die Führperson geht aufrecht, mit selbstbewusst nach vorne gerichtetem Blick. "Nicht nach hinten schauen, ob der Esel kommt, das verunsichert ihn."

Freie Natur erfordert manchmal Flexibilität. Der Steg ist nicht mehr begehbar. Aber ein Weg findet sich immer. Und Langeweile kommt so nicht auf.
Freie Natur erfordert manchmal Flexibilität. Der Steg ist nicht mehr begehbar. Aber ein Weg findet sich immer. Und Langeweile kommt so nicht auf.  Foto: Alternativer Fotograf

Los geht es aber mit Zärtlichkeiten - dem Zurechtmachen. Ausgiebig wird gestriegelt, werden Hufe und Ohren der Tiere gesäubert. Damit sich die vier Vierbeiner beim Wandern - immerhin 16 Kilometer sind es an diesem Tag - auch wohlfühlen. Und wer jetzt denkt, bei der Strecke könne man ja zwischendurch auch mal die Perspektive wechseln und vom Wanderer zum Reiter werden, dem sei gleich gesagt: Zwar können Esel als Reittiere ausgebildet werden und dann Kinder tragen - Erwachsene jedoch aufgrund ihres Gewichtes nicht.

"Ein Esel ist vor allem ein Lastentier." An diesem Tag dürfen sie aber ganz ohne Gepäck losziehen. Am Halfter wird ein Strick eingehakt - und dessen Ende bekommt der Wanderer in die Hand gedrückt. Schon ist man Eselführer. Ziemlich stolz und vorfreudig, aber doch mindestens genauso froh, dass noch eine kurze Einweisung folgt. Die Gäste lernen: Mit dem Strick deuten sie dem Esel durch sachtes oder auch mal dynamischeres Ziehen die Richtung an, in die es gehen soll. "Statisches Ziehen funktioniert nicht, dann reagiert der Esel mit Gegendruck." Anders gesagt: mit dem, was wir gerne als Sturheit bezeichnen. Gelaufen wird optimalerweise Schulter an Schulter. Das ist am entspanntesten. Überhaupt: Der Strick sollte locker gehalten werden, gefressen wird nur Gras - alles andere könnte den Tieren schaden, und - wenn es gut läuft: "Loben nicht vergessen."

Tak-tak, tak-tak

Puh. Okay. Also dann - los. Ich gebe zu: Ich bin nervös, mein Kopf schwirrt ein bisschen. Ich will ja alles richtig machen. An meiner Seite ist Olli. Ich erinnere mich: sensibel und weich. Das klingt doch schonmal gut. Zwar soll selbst Pablo an der Hand von Iris Niederecker schnell zu einem ruhigen Laufrhythmus finden, aber mit Olli fühlt sich der Einstieg ins Eselwandern doch irgendwie sicherer an. Und tatsächlich trottet der hübsche graue Vierbeiner neben mir los, als ich kurz am Strick nach vorne ziehe. Ha! Das läuft ja prima. Über Wiesen- und Waldwege zieht unser Grüppchen also mit den vier Eseln los. Teil davon sind Olli und ich allerdings schon nach kurzer Zeit nicht mehr. Denn wir sind sehr gemütlich unterwegs. Nochmal ziehen am Strick ...? So richtig traue ich mich nicht. Ich merke, wie ich unruhig werde. Das soll doch hier alles glatt laufen, und ich will nicht auffallen, weil ich es nicht hinbekomme, und ? Ganz viele "unds" schießen da plötzlich durch meinen Kopf.

Zeit zum Grasen muss sein.
Zeit zum Grasen muss sein.  Foto: Alternativer Fotograf

Was Olli natürlich überhaupt nicht beeindruckt. Dafür beeindruckt er mich. Denn er macht einfach sein Ding. Seelenruhig. Kein nervöses Hin- und Herlaufen. Stattdessen ganz und gar gleichmäßiges Gehen. Er ist ganz bei sich. Tak-tak, tak-tak kleppern seine Hufe. Ich streichle seinen Hals. So schön weich. Und plötzlich merke ich, dass ich angefangen habe, mit ihm zu sprechen. Ein Satz, den Iris Niederecker kurz zuvor gesagt hat, kommt mir in den Sinn: "Ein Esel lässt sich kein Tempo aufzwingen." Und während wir so laufen, denke ich: Ja. Stimmt. Und es ist gut so.

Plötzlich kann ich auch akzeptieren, dass es egal ist, wie schnell wir sind. Die Gruppe wartet ein Stück weiter vorne ganz selbstverständlich auf uns. Und als wir sie erreichen, fühle ich mich zufrieden. Die Anspannung hat nachgelassen. Die Ruhe des Esels hat auch mich ruhig gemacht. Eines habe ich darüber hinaus über den ersten Kilometer ganz und gar ausgeklammert: meine Umgebung, so malerisch hübsch sie mit ihren weiten Wiesen bis zum Horizont auch ist. Aber dafür soll an diesem Tag noch genug Zeit sein. Viel wichtiger ist in diesem Moment die Zuversicht: Olli und ich, ja, das wird was.

Dabei hat man es als Esel wahrlich nicht leicht. Immerhin werden ihm allerlei Eigenschaften zugeschrieben, die aufs Erste so gar nicht rühmlich erscheinen. Dümmlich, störrisch, einfältig. Und wer einen anderen einen Esel nennt, der hat ganz sicher keine besonders hohe Meinung von ihm. Wie gut, dass man während dieser Tagestour zur Klinglesmühle und weiter zum Lixhof ausreichend Gelegenheit hat, vorgefertigte Bilder zu hinterfragen. Es stimmt schon, sagt Iris Niederecker: "Esel haben ihren eigenen Kopf." Aber muss das schlimm sein? Man kann es etwa auch so sehen: Mit Esel zu wandern, hat etwas Meditatives. Beruhigendes. Umso mehr, je häufiger man mit ihnen unterwegs sei. "Durch bloßes Stehenbleiben können sie einen auch ganz plötzlich aus dem eigenen Gedankenkarussell reißen." Den Blick für die Umgebung schärfen.

Rast an der Klinglesmühle

Nach eineinhalb Stunden erreicht unsere Truppe die erste Rast, den Forellenhof Klinglesmühle. Dort können die Esel auf der Schafkoppel direkt am großen Teich weiden und die Wanderer die Idylle um sie herum genießen. Nebenbei werden sie noch herzlich von Familie Merz begrüßt - und auf ein Schnäpschen eingeladen.

Wer bist du denn? Wenn man unterwegs überhaupt jemanden trifft, dann meist tierische Bauernhofbewohner.
Wer bist du denn? Wenn man unterwegs überhaupt jemanden trifft, dann meist tierische Bauernhofbewohner.  Foto: Alternativer Fotograf

Danach geht es ganz und gar entspannt voran. Nicht wegen des Schnäpschens. Vielmehr, weil man sich seinen Esel ein wenig vertraut gemacht hat. Es fängt an, sich ganz und gar natürlich anzufühlen, nicht mehr allein, sondern zu zweit unterwegs zu sein. Tak-tak, tak-tak, ? So langsam öffnet sich das Auge auch für die Umgebung. Wunderschön ist es hier! Weitläufig und kaum besiedelt, die Wiesen groß und die Wälder dicht. Ach ja: und das Gras offenbar sehr saftig, denn die Esel lassen es sich wirklich gerne links und rechts der Wege schmecken. Da hilft dann doch mal ein beherztes Ziehen: Mein Freund, es geht weiter!

"Der Esel muss geführt werden", lernt die Gruppe. Allein nach seinem Kopf darf es nicht gehen, denn dann geht nichts vorwärts. Ob Olli oder Pablo, Isabell oder Max - mit seinem Esel macht jeder der Wanderer so seine Erfahrungen. Und damit ist sie nicht nur eine entspannende, sondern auch eine rundum lustige und gesellige Sache, diese Eselwanderung. Plaudern und stilles für-sich-Laufen wechseln sich ganz selbstverständlich ab.

Von wegen Dickschädel

Esel sind klug. Störrisch, wie man das halt nun mal so lernt, seien sie eigentlich nur, wenn sie Angst hätten, erklärt Iris Niederecker. Denn Esel denken nach und wägen ab, ob es gut ist, weiterzugehen. Nicht, weil sie einen Dickschädel haben. Es sei ein evolutionär bedingter Reflex des Stehenbleibens. "Sie kommen ja aus der Steinwüste in Afrika. Wenn sie das Gefühl haben, der nächste Schritt ist nicht sicher, dann gehen sie ihn nicht. Sie sind vorsichtig." Weiter geht"s. Richtung Lixhof, ein großes Landwirtschaftsanwesen, dessen Ursprünge ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Die Kühe auf der Weide begrüßen unseren kleinen Trupp und folgen uns in Richtung Hof, soweit es ihre Koppel zulässt.

Zu Hause im Stall hat jeder Esel seinen "Garderobenhaken".
Zu Hause im Stall hat jeder Esel seinen "Garderobenhaken".  Foto: Alternativer Fotograf

Von der anderen Seite her schnattern die Gänse, ein Hund bellt in seinem Zwinger, als er uns sieht, weiter hinten auf der Koppel stehen die Pferde. Am Hof angekommen, können die Esel auf der Wiese grasen - und die Wanderer ein Picknick machen. Mit ein wenig Glück ist Josef Ottenwälder, überzeugter Demeter-Landwirt, in der Nähe und hat ein paar Minuten Zeit zu plauschen. Er hat jede Menge zu erzählen. Von vielen Generationen Familiengeschichte, von Fehden und Lieben, von arbeitsreichen Jahren, aber auch von seiner Kapelle, die seine Eltern einst in den Hof integrierten und in der er selbst am liebsten an der Orgel sitzt. Es fällt ein wenig schwer, sich wieder loszueisen, der 67-Jährige ist so einer, dem man nur zu gerne lauscht. Man vergisst darüber fast, das mitgebrachte Vesper zu essen.

Toll gemacht, Olli!

Doch wir müssen ja weiter, haben noch rund zweieinhalb Stunden Marsch vor uns. Satt vom vielen grünen Gras sind die Esel jedenfalls gestärkt dafür. Sie laufen uns erwartungsvoll entgegen, als wir uns ihrer Koppel nähern. So schön! Erst über ein paar Asphaltwege, dann aber mit Hilfe des GPS-Geräts auch wieder über freie Wiesen und Felder, geht es zurück. Schon lange hängt der Strick locker zwischen Wanderer und Esel. Tak-tak, tak-tak. In einem fort. Dabei das Streicheln nicht vergessen. Und loben! "Toll hast du das gemacht, Olli", sage ich ihm. Ganz und gar unbeeindruckt läuft er weiter. Tak-tak, tak-tak. Und auch ich richte den Blick wieder nach vorne. So marschieren wir. Seite an Seite. Wohlfühl-Tempo im Sechserschritt.

 

Buchtipp
"Im Sechserschritt" ist eines von 20 Rendezvous mit der Natur (im Umkreis von eineinhalb Fahrstunden rund um Heilbronn) aus dem Stimme-Buch "Heimatverliebt" (192 Seiten, 19,90 Euro). Es ist in den Stimme-Geschäftsstellen, unter www.stimmeshop.de sowie unter Telefon 07131 615-625 erhältlich.

 

Tipps und Infos
Strecke: 16 Kilometer
Dauer: Tagesausflug, Wanderung dauert 6 bis 7 Stunden mit Pausen
Jahreszeit: Frühjahr bis Herbst. Ganzjahresangebote auf Anfrage
Zielgruppe: Erwachsene, es gibt aber auch kinderfreundliche Anfänger-Pfade beziehungsweise Eselerlebnisse speziell für den Nachwuchs, darunter ein Nachmittag auf dem Eselhof, eine Zauberwald-Tour, Kindergeburtstagswanderungen mit Schatzsuche oder eine 40-minütige Esel-Weiher-Runde um Rötlein.
Kosten: bis zu acht Personen pauschal 290 Euro
Verpflegung: Die beschriebene Tour beruht auf Selbstverpflegerbasis und bietet sich wunderbar für ein Picknick an. Es gibt aber auch Tourenangebote, die an Gasthöfen vorbeiführen. Während der Einkehr weiden die Esel auf einer Wiese.
Anfahrt: Ab Heilbronn in gut 1 Stunde auf der A6 bis zum Autobahnkreuz Crailsheim/Feuchtwangen, dann weiter auf der A7 Richtung Ulm/Füssen bis zur Ausfahrt Fichtenau. Eselhof Rötlein, Ruhmühlstr. 11, 74579 Fichtenau-Rötlein
Wegbeschreibung: Vom Eselhof geht es in Richtung Klinglesmühle. Hier ist eine Rast möglich, die Esel weiden auf der Schafkoppel, die Wanderer können sich ausruhen oder auf dem Weiher Boot fahren. Weiter über Wiesen, Felder und durch den Wald zum Lixhof von Demeterbauer Josef Ottenwälder und von dort aus zurück zum Eselhof. Die Tour ist auch ohne Führung (mit GPS-Gerät) buchbar. Rastmöglichkeit besteht dann ebenfalls an der Klinglesmühle (Sitzgruppe am Weiherweg) und später am Lixhof (Sitzgelegenheit und kleine Eselwiese).
Die Eselwanderungen sind individuell abstimmbar und entweder geführt möglich oder auch selbstständig (nach einer Einweisung am Eselhof) - in ganz unterschiedlichen Längen von kurzen Spaziergängen bis zu Halbtages-, Tages- oder auch Mehrtagestouren. Möglich sind reine Naturerlebnisse, aber auch Themenführungen, zum Beispiel mit einem Besuch beim Drehorgelbauer oder auf einer Straußenfarm, Meditationswandern oder Geocaching.

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