Einblick in zwei Lockdown-Welten: Es gibt nicht den einen richtigen Weg
Ein Einzelhändler und eine Gastronomin gehen ganz unterschiedlich vor: Hier kreative Angebote für Kunden, dort Komplettschließung. Beide eint der Optimismus, die Krise zu überstehen und bald wieder zu öffnen.

Zwei Lockdown-Betroffene, zwei ganz unterschiedliche Strategien: Während Mode-Einzelhändler Carl Bolz in Schwaigern mit kreativen Spezial-Angeboten stark auf Kunden zugeht, fährt Neu-Gastronomin Rebecca Espert in Heilbronn einen Kurs mit Komplettschließung. Beide sind optimistisch, beide haben gute Gründe für ihren Weg, zeigt der Blick in verschiedene Lockdown-Welten.
Video-Rundgang mit dem Handy und Mode-Fashion-Box für daheim im Angebot
Seit die Politik das Abholen von Ware für Kunden von Einzelhandelsgeschäften vor einigen Tagen wieder erlaubt hat, spürt Carl Bolz (66) einen Aufschwung. "Die Nachfrage ist deutlich gestiegen. Es rufen wieder mehr Kunden an und fragen nach Waren." Inzwischen macht er durch Werbung und neue Angebote etwa zehn bis 15 Prozent vom sonstigen Umsatz.
Im harten Lockdown sei das "fantastisch", auch, um laufende Kosten zu decken. Die meisten Kunden holten sich Kleidung zum Anprobieren ab. Bolz bietet eine "Fashion-Auswahl-Box" an, die er nach Kundenangaben zusammenstellt. Er läuft mit dem Handy durch die Regalreihen, zeigt Interessenten live per Video die Kleider. "Bedarf gibt es ja weiterhin." Nicht selten kaufen Kunden nach einer Anprobe daheim dann gleich mehrere Teile.
Zwischen Schmerzen und Perspektive eine Balance finden
"Die Not ist riesengroß, und Not macht erfinderisch", sagt der Einzelhändler zu seinen kreativen Angeboten. Von 20 Mitarbeitern seien bis auf die Verwaltung alle in Kurzarbeit. Bolz betreut Kunden, bietet Hotline-Stunden und Abholtermine, fährt Ware auch aus. Er habe sehr viele Stammkunden, wisse durch die Datenbank, welche Größe sie haben, welche Vorlieben. Es werde durch den Lockdown "Kapital vernichtet". Der Kapitalcrash mit der vielen Winterware tue weh. Man müsse "eine Balance finden zwischen Schmerzen und Perspektiven". Er nennt es "Glück", dass er keine Schulden hat und von besseren Zeiten zehren kann.
67 Jahre gibt es das Modehaus Bolz in Schwaigern, eine Filiale in Eppingen. "Es wird weitergehen", ist der Chef zuversichtlich. Von der Politik wünscht er sich, dass mit Augenmaß bald wieder eine Öffnung erlaubt wird. Der März sei da schon "eine Schmerzgrenze". Die Politik sollte sich nicht nur auf eine magische 50er-Inzidenzmarke fixieren.
Für Rebecca Espert war es immer "ein Traum", eine eigene Gaststätte zu führen. Als Wirt Torsten Horn im Sommer das Heilbronner Backstüble verließ und in Norddeutschland ein Lokal übernahm, zögerte die gelernte Hotelfachfrau nicht lange. Sie fing als angestellte Wirtin ganz neu an. Dann kam nach wenigen Wochen der harte Lockdown - ein Schlag ins Gesicht für die 33-Jährige.
Neuer Motivationsschub durch kleine Weihnachtsgeschenke der Stammgäste

"Am Anfang habe ich wirklich überlegt, ob ich weitermachen soll", sagt sie offen. Aber: Jetzt habe der Optimismus gesiegt und die Einstellung, ihren Traum von Corona "nicht kaputt machen zu lassen". Sie will wieder aufmachen, "ich vermisse meine Gäste, das ist das Schlimmste". Klar fehlen Einnahmen. Zuerst kümmerte sie sich bei Noch-Pächter Torsten Horn als Mini-Jobberin um kleinere Maßnahmen. Der Dart-Raum wurde neu gestrichen, Bänke wurden lackiert, die Speisekarte überarbeitet. Da ihr Mann verdient, komme man trotz aller Umstände klar. Aber: Die Köchin, die Teilzeit-Bedienungen hätten im Backstüble keine Arbeit mehr. "Es ist schon hart." Jetzt, als der Lockdown immer länger wurde, hat auch Espert sich bei der Agentur für Arbeit gemeldet.
Seit Wochen sind die schweren Rollläden am Backstüble unten, es gibt kein Leben im Lokal. Ob sie Gästen Essen zum Abholen anbieten soll, hat die 33-Jährige mit der Köchin diskutiert. Sie entschieden, es zu lassen. Wegen der großen Unsicherheit, ob sich der Aufwand lohnt. "Bei drei Essen sicher nicht." Wenn, hätte man mit Werbung und Infos über Social-Media auch mehr Vorlauf gebraucht. Im Nachhinein glaubt sie, dass es die richtige Entscheidung in ihrer Situation war.
Die Neu-Gastwirtin in der Zwangspause will weiter positiv bleiben. Schokolade-Geschenke und Karten von Gästen zu Weihnachten hätten ihr "einen Motivationsschub" gegeben. Sie hofft, im März wieder öffnen zu können. Der kleine Biergarten, der vielleicht ab April genutzt werden könnte, sei dabei "ganz wichtig" für den Neuanfang. "Ich will, dass es weitergeht."
Im Dehoga-Kreis Heilbronn bietet rund die Hälfte der Gastro-Betriebe Abholangebote an
Wie viele Gastro-Betriebe Gästen im Lockdown Abholangebote machen? Martin Kübler, Dehoga-Vorsitzender für den Kreis Heilbronn, schätzt die Zahl auf um die 50 Prozent. Vom Mittagstisch über Sous-Vide-Gerichte zum Erhitzen daheim "bis zum vollen Programm" reiche das Angebot, sagt Kübler auf Stimme-Anfrage. Finanziell sei es in erster Linie dazu da, Unkosten zu decken und Gäste bei der Stange zu halten. Bei ihm in der Ballei gebe es Kunden, die "jeden Tag kommen". Für manche Betriebe sei der Aufwand indes zu hoch für den Absatz, der sich ergebe. Kübler hofft, dass spätestens vor Ostern wieder die Türen aufgehen.