Einblick in die Tuning-Szene: "Mit Argumenten geht da oft nichts mehr"
Die Brüder Mehmet und Hamza Sivrikaya sind in der Tuning-Szene gut vernetzt, im Interview sprechen sie über schnelle Autos, Poser, Tuner und Polizeikontrollen.

Mit jungen Männern in PS-starken Autos und auf Motorrädern haben viele Menschen in der Region Probleme. In der Stadt steigt bei manchem Anwohner parallel zur Drehzahl der Motoren der Puls, Ärger über laute Motorräder gibt es in manchen Orten schon lange. Die Brüder Mehmet und Hamza Sivrikaya geben Einblicke in die Welt tiefergelegter Karosserien und Turbolader – und was für Menschen am Steuer sitzen.
Wie oft sind Sie schon von der Polizei kontrolliert worden?
Mehmet Sivrikaya: Ich habe aufgehört zu zählen. Sehr oft.
Hamza Sivrikaya: Es würde mich überraschen, wenn wir mal nicht dabei wären.
Stört Sie das nicht?
Hamza Sivrikaya: Nein. Man kennt sich mittlerweile und weiß sich auf eine Art zu schätzen. Wir haben uns eine Vertrauensbasis erarbeitet. Sowohl mit der Polizei als auch in der Tuningszene.
Inwiefern erarbeitet?
Mehmet Sivrikaya: Weil wir versuchen, ordentliches Tuning zu machen. Die Fahrzeuge den Gesetzen entsprechend zu verbessern. Damit keiner unserer Kunden mit Kopfschmerzen aus der Garage fahren muss, ob er auch dort ankommt, wo er hinwill.
Wie meinen Sie das?
Mehmet Sivrikaya: Die Kontrollen machen auf die Szene durchaus Eindruck. So mancher überlegt sich zwei Mal, ob er mal kurz nach Mannheim fährt, geschweige denn in andere Länder. Ich würde sagen, die Kontrollen haben mindestens 20 Prozent dieser Jungs zurück in die Legalität gebracht.
Wieso funktioniert das nicht bei einem größeren Anteil?
Mehmet Sivrikaya: Dass man mit so einem Auto auffallen will, ist doch klar. Aber manchen geht es um Auffallen um jeden Preis geht. Dann wird es schwierig.
Hamza Sivrikaya: Mit manchen aus der jüngeren Generation ist schwer zu reden. Sie wollen immer nur größer, stärker, teurer. Es gibt keiner zu, aber meistens geht es um Ego, um Selbstwertgefühl. Mit Argumenten geht da oft nichts mehr.
Wie häufig erleben Sie das?
Hamza Sivrikaya: Ziemlich oft. Wenn es ums Auto und den Fahrspaß ginge, würde die Jungs ja nicht die Allee oder die Weinsberger Straße rauf und runter heizen. Da geht’s um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Nicht um Fahrspaß.
Mehmet Sivrikaya: Wissen Sie, man kann durchaus auch mit so einem Auto gesittet durch die Stadt fahren. Und dann ab und zu auf der Autobahn die Sau rauslassen. Manchmal wundere ich mich schon. Die Leute wohnen doch auch irgendwo, haben alte Eltern, kleine Geschwister, Kinder. Das muss doch nicht sein. Zumal das Geldproblem noch dazukommt.
Welches Geldproblem?
Hamza Sivrikaya: Es ist ein Problem, dass die Voraussetzungen, Autos zu leasen, gelockert worden sind. So fahren jetzt 18, 19, 20-Jährige in 70.000-Euro-Autos herum, dass der Fahrzeugbrief bei der Bank liegt, interessiert niemanden. Ich kenne Jungs, die geben von ihren 1700 oder 1800 Euro Gehalt 1000 für die Leasingrate aus. Und da kommen noch Versicherung und Tanken dazu. So was muss man machen, wenn man jung ist, keine Familie hat, sagen sie. Das hat mit Tuning nichts zu tun und ist gefährlich.
Wieso gefährlich?
Mehmet Sivrikaya: Legales Tuning kostet eine Menge Geld. Das haben viele nicht. Deswegen kommen sie auf dumme Ideen. Der eine macht Löcher in den Auspuff, damit das Auto lauter wird, der andere kauft ein Auto, das in den USA einen Totalschaden hatte und irgendwo in Osteuropa repariert wurde. Es gibt Risiken für sie selbst, die haben die jungen Leute nicht auf dem Schirm.
Zum Beispiel?
Mehmet Sivrikaya: Wenn die mit ihrem Auto voller nicht zugelassener Teile und Umbauten einen Unfall bauen, spielt die Schuldfrage schnell keine Rolle mehr. Dann zahlt die Versicherung nicht.
Hamza Sivrikaya: Das stimmt. Mir ist mal einer aufgefahren und die gegnerische Versicherung hat erstmal akribisch alle Eintragungen im Fahrzeugschein kontrolliert.
Sie haben gesagt, das wäre kein echtes Tuning. Warum nicht?
Hamza Sivrikaya: Tuning wäre, ein günstiges Standardfahrzeug zu kaufen und dann neu aufzubauen. Lackierung, Innenraum, Ausstattung, Motor. Ein dickes AMG-Serienfahrzeug zu leasen oder zu kaufen, ist kein Tuning. Wenn ich mit meinem Bruder monatelang an einem Auto geschraubt habe, entsteht eine Bindung zum Fahrzeug. Man investiert Zeit, Geld und ab und zu einen eingeklemmten Finger. Das hat man bei einem Neuwagen nicht.
Müsste es strengere Regeln geben, was ab Werk verkauft werden darf?
Mehmet Sivrikaya: Strengere Regeln würden wenig bringen. Es geht darum, dass man nicht alles machen muss, was man machen kann. Man darf ja auch in der Unterhose durch die Stadt laufen, trotzdem macht man es nicht. Weil man sich zum Idioten machen würde. Das müsste mancher einfach kapieren.
Zur Person
Mehmet Sivrikaya ist 27, sein Bruder Hamza Sivrikaya 23 Jahre alt. Mehmet Sivrikaya wurde in Berlin geboren und ist dann mit seinen Eltern nach Heilbronn gezogen, Hamza Sivrikaya kam in Heilbronn zur Welt. Beide sind gelernte Kfz-Mechatroniker. Während sich Mehmet Sivrikaya mit Werkstatt, Tuning und dem Autohandel in Bad Friedrichshall selbstständig gemacht hat, arbeitet Hamza Sivrikaya als Angestellter bei einem Autohaus in Neckarsulm.

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