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Eberhard Jochim: "Man braucht immer Leitwölfe"

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Feuerwehrkommandant Eberhard Jochim sagt gern, wo es langgeht. Sein berufliches Engagement, aber auch das als Stadtrat in Neckarsum, frisst viel Zeit. Was treibt ihn an?

Von Heike Kinkopf
Ein Macher, auch am Grill. Eberhard Jochim genießt die freie Zeit am liebsten im Kreis seiner Familie.

Foto: Ralf Seidel
Ein Macher, auch am Grill. Eberhard Jochim genießt die freie Zeit am liebsten im Kreis seiner Familie. Foto: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Wenn es brennt, behält Eberhard Jochim den Durchblick. Als Kommandant der Heilbronner Berufsfeuerwehr trifft er schnell Entscheidungen. Das liegt dem 60 Jahre alten Neckarsulmer im Blut. Im Gespräch sagt er, was ihn antreibt und was er unter Führung versteht.

 

In welcher Situation haben Sie sich hilflos gefühlt?

Eberhard Jochim: Hilflos? (überlegt) Ich erinnere mich an einen Taucheinsatz. Das ist bestimmt schon 20 Jahre her. Wir wussten, dass ein Kind in den Neckar gefallen war, wir hatten aber nur sehr ungenaue Angaben wo. Ich musste die Taucher einteilen. Das war schwierig.
 

Was tun Sie in derartigen Situationen?

Jochim: Ich versuche, eine Struktur reinzubringen. Ich gehe in mich, löse mich von der Situation und erfasse die Fakten. Es gibt den Spruch: Eine Lage hat sechs Seiten. Wie ein Würfel. Ich muss eine Situation von allen Seiten betrachten, nur dann kann ich sie richtig beurteilen. Wenn ein Gebäude vorne brennt, kann es sein, dass auf der Hinterseite jemand aus dem Fenster springt, weil dort Rauch ist. Das heißt, ich muss immer auch im Blick haben, wo es noch nicht brennt.
 

Ist das mit den sechs Seiten so etwas wie ein Lebensmotto?

Jochim: Ja, wenn jemand etwas sagt, überlege ich grundsätzlich: Wie sieht das ein anderer?
 

Wie treffen Sie Entscheidungen?

Jochim: Ich bin sehr spontan, das kann dann auch mal schiefgehen. Das passiert mir auch. Aber ich würde nie etwas abwarten. Ich handle jetzt.
 

Waren Sie schon immer so?

Jochim: Ja. 1984 zum Beispiel kaufte ich einen Geländewagen, der sich bei einem Unfall auf einer Neckarsulmer Kreuzung überschlagen hatte. Ich reparierte den Wagen, und vier Wochen später bin ich mit dem Auto und einem Kumpel losgefahren. Ohne Vorbereitung. Auf der Autobahn auf der Fahrt nach Genua schlingerte der Wagen, weil er völlig überladen war. In Italien fuhren wir mit dem Schiff weiter nach Tunis. Dort gingen wir auf einen Schrottplatz, suchten Federn und verstärkten das Auto. Anschließend tourten wir zehn Wochen quer durch Westafrika.
 

Sie sind also ein guter Problemlöser?

Jochim: Ich bin überzeugt: Für alles gibt es eine Lösung. Schwierigkeiten fordern mich. Das ist es, was mich reizt. Es macht Spaß.
 

Welche Fähigkeiten spielen Ihnen dabei in die Karten?

Jochim: Ich kann gut analytisch denken, bin spontan und habe den Willen, etwas zu tun. Es würde mich nerven zu warten, bis jemand kommt und mir sagt, was ich machen soll. Das ist nichts für mich. Schon in der Schule war ich Klassensprecher und bei der Jugendfeuerwehr in Neckarsulm Gruppenleiter.
 

Zieht es Sie zu den Ämtern, oder kommen die Leute auf Sie zu und sagen: Machen Sie das?

Jochim: Letzteres kommt schon mal vor. Neulich zum Beispiel hatten wir ein Führungskräfte-Meeting. Es ging darum, die Gruppe zu strukturieren. Die anderen Teilnehmer sagten, ich solle das machen. Wer laufend Führungsaufgaben wahrnimmt, kennt die Methoden. Er weiß, wie er Leute dazu bringt, zu tun, was von ihnen erwartet wird. Dazu gehört das Augenmaß und das Wissen, wem man Freiraum lassen sollte.
 

Sie sagen also nicht: Ich bin der Boss und du machst, was ich sage?

Jochim: Ich habe gute Mitarbeiter. Bei ihnen hole ich mir auch Rat. Wenn es jedoch eng wird, sage ich, wie es gemacht wird. Ein Team ist nicht die Lösung für alles. Wer hält den Kopf hin, wenn etwas schiefgeht? Ich bin klar der Meinung: Wer verantwortlich ist, muss entscheiden. Ich entscheide und trage alle Konsequenzen.
 

Sie sind Stadtrat in Neckarsulm. Wie kompromissfähig sind Sie?

Jochim: Dass ich bestimme, funktioniert bei einem Feuerwehreinsatz. In der Kommunalpolitik geht das nicht. Ich bin jemand, der sich gerne in der Sache streitet. Man kann mit überzeugenden Argumenten gute Lösungen finden.
 

Ist in der Politik der Wunsch nach einem, der vorneweg geht, groß?

Jochim: Sagen wir mal so: Man braucht immer Leitwölfe. Das zeigt sich beispielsweise in spontanen Diskussionen. Wenn jeder abwartet und schweigt, gibt es keine Lösung. Jemand muss aufstehen und Position beziehen. Einer muss den Anfang machen, etwas sagen, den Mut haben, eine Idee vorzustellen, auch wenn sie nachher zerpflückt wird.
 

Das scheint Ihnen leicht zu fallen. Hatten Sie Vorbilder?

Jochim: Mein Vater war beruflich selbstständig und Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Neckarsulm, später übernahm mein Bruder diese Aufgabe. Von daher habe ich schon früh Führungsstrukturen kennengelernt. Ich denke, das hat mich geprägt. Außerdem war ich das jüngste Kind von insgesamt fünf Geschwistern, ich musste mich durchsetzen.
 

Was genau haben Sie sich von Ihrem Vater abgeguckt?

Jochim: Mein Vater hat Verantwortung übernommen, Entscheidungen getroffen und den Betrieb am Laufen gehalten. Er hat mich gelehrt, die Dinge abzuchecken. Ich selbst bin jemand, der Mut zur Lücke hat und loslegt.
 

Wie war Ihre Mutter?

Jochim: Sie war diejenige, die alles zusammenhielt. Sie war immer für uns da. Genauso wie sie, bin ich ein Familienmensch. Meine Familie ist mir äußerst wichtig. Sie ist mein Ausgleich. Auch mit meinen Geschwistern treffe ich mich regelmäßig.
 

Sie engagieren sich stark. Ist Ihnen dabei immer bewusst, dass Privates zurücksteht und vergangene Zeit sich nicht nachholen lässt?

Jochim: Das ist mir sehr bewusst. Zwei meiner Geschwister sind mit 60 Jahren gestorben. Ich werde jetzt 61. Momentan trage ich immer den Melder bei mir. Er bestimmt mein ganzes Leben. Wenn es piept, muss ich los. Für mich steht fest: Wenn ich bei der Feuerwehr Heilbronn aufhöre, werde ich auch kommunalpolitisch kürzertreten. Weil: Dann ist gut. Ich werde nicht mehr fremdbestimmt sein.
 

Ist die Verantwortung eine Bürde?

Jochim: Manchmal ist sie eine Last. Sie beansprucht den Großteil meiner Zeit, in der ich etwas Schönes machen könnte. Aber das Engagement bringt mir auch was.
 

Was denn?

Jochim: Ich kann etwas steuern, ich bewege etwas. Das ist mir wichtig.
 

Können Sie als Chef eigentlich gut jemanden neben sich dulden?

Jochim: Ja, zum Beispiel meinen Stellvertreter bei der Feuerwehr. Er ist genial, wir ergänzen uns. Ihm vertraue ich blind.
 

Hätten Sie sonst ein Problem mit ihm?

Jochim: (lacht) Mit ihm sicher nicht. Aber es ist ja nicht so, als hätte ich keine Vorgesetzten. Bei taktischen Entscheidungen redet mir zwar keiner rein, aber wenn es ums Geld oder gesamtstädische Dinge geht, entscheidet die Verwaltungsspitze oder der Gemeinderat.
 

In welchen Momenten sind Sie froh, wenn die Verantwortung hinter Ihnen liegt?

Jochim: Wissen Sie, für mich ist ganz klar, wenn ich eine Aufgabe anfange, bringe ich sie zu Ende. Wenn ein Mitarbeiter mittendrin aufhört und sagt, meine Schicht ist jetzt zu Ende, dann tu ich mich damit schwer. In solchen Momenten bin ich froh, wenn ich mich irgendwann in Zukunft damit nicht mehr herumschlagen muss.


Es fühlt nicht jeder im gleichen Maße Verantwortung.

Jochim: Die Einstellung zur Arbeit hat sich gewandelt. Ich wundere mich, dass meine Kinder überhaupt groß geworden sind, so oft wie ich weg war. Elternzeit als Mann wäre für mich unvorstellbar gewesen. Ich finde es gut, dass es heute die Möglichkeit gibt. Ich denke aber auch, dass sie zu einer Führungsfunktion nicht immer passt.
 

Und was halten Sie von geteilter Führung, wie sie heute diskutiert wird und bei der sich zwei Leute eine Führungsaufgabe teilen?

Jochim: Geteilte Führung bedeutet auch geteilte Verantwortung. Das geht nicht. Die letzte Verantwortung hat einer. Das ist so. Als Kommandant bin ich immer Leiter dieser Feuerwehr. Aus dieser Verantwortung komme ich auch nicht heraus. Ich habe manchmal den Eindruck, dass eine Vollversicherungsmentalität herrscht, man will sich zu 100 Prozent absichern. Das finde ich unmöglich. Jeder muss Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Da tun viele lieber gar nichts.


Mancher scheut die Konsequenzen, er hat Angst, eine Fehlentscheidung zu treffen.

Jochim: Dann sollte er nicht versuchen, in eine Leitungsfunktion zu kommen. Wenn ich führen will, muss ich entscheiden. Wenn jemand nur wichtig, aber nicht verantwortlich sein will, bekommen wir ein Problem.
 


Zur Person

Eberhard Jochim ist 60 Jahre alt und lebt in seiner Heimatstadt Neckarsulm. Nach der Schule absolviert er eine Ausbildung als Maschinenschlosser bei Audi. Anschließend erlangt er die Fachhochschulreife. Das Studium Produktionstechnik bricht er ab. Dem jungen Jochim liegt das Lernen nicht, Motorradfahren macht ihm mehr Spaß. Auf den Tag genau vor 40 Jahren tritt er am 1. April 1979 in die Berufsfeuerwehr Heilbronn ein. Seit 2000 ist er deren Kommandant. Seit 2009 sitzt er für die CDU im Gemeinderat, seit zwei Jahren ist er Fraktionschef. Jochim ist verheiratet, er hat zwei erwachsene Söhne.

 

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