Dekan Baisch zu Austritten: "Ohne Kirche würde viel verloren gehen"
Der evangelische Dekan von Heilbronn Christoph Baisch über den Umgang mit Missbrauch in der evangelischen Kirche, über gestiegene Austrittszahlen und über Gründe zum Drinbleiben.

Die aktuellen Missbrauchs- und Vertuschungs-Skandale in der katholischen Kirche lassen die Zahl der Kirchenaustritte steigen, – auch bei Protestanten. Der evangelische Dekan von Heilbronn, Christoph Baisch, bedauert, dass kaum jemand seinen Austritt begründet. Gleichzeitig betont er, dass sich das Drinbleiben lohne. Und er zeigt auf, wie seine Kirche mit Missbrauch umgeht und dem vorbeugen will.
Die aktuellen Austrittszahlen sprechen dafür, dass ihre Kirche mit der katholischen abgestraft wird.
Baisch: In der Tat sind die Zahlen leider hoch. Ein Grundproblem ist aber, dass wir die Gründe nicht kennen, da die Austritte auf dem Standesamt erfolgen und nicht auf dem Pfarramt. Ich kann mir aber vorstellen, dass manche bei uns austreten, weil sie sich über Vorgänge in der katholischen Kirche ärgern und nicht zwischen den beiden Kirchen unterscheiden.
Gehen Sie denn nicht mehr auf Ausgetretene zu, um sie zu fragen?
Baisch: Doch. Alle Menschen, die austreten, bekommen ein Schreiben, in dem wir den Austritt bedauern und auch nach den Gründen fragen. Leider ist das Echo darauf sehr gering.
Gibt es auch Übertritte, gerade in der aktuellen Situation?
Baisch: Es gibt immer wieder Menschen, die zur evangelischen Kirche übertreten. Ich kann aber nicht feststellen, dass diese Zahl aktuell besonders angestiegen ist.
Sind solche Skandale nicht auch ein Störfeuer für die Ökumene?
Baisch: Da bewährt es sich, dass die Kontakte vor Ort gelebt werden. Wo ein vertrauensvolles Zusammenleben stattfindet zwischen Gemeinden, Verbänden oder Seelsorgern, wird dieses nicht erschüttert, wenn es auf anderen Ebenen Verfehlungen gibt oder gab.
Missbrauch ist ein gesellschaftliches Phänomen, ihre Kirche ist auch betroffen, wie geht sie damit um?
Baisch: Es gibt leider auch im Bereich der evangelischen Kirche Vorfälle von sexualisierter Gewalt und Missbrauch, auch in diakonischen Einrichtungen. Das wird in einem unabhängigen wissenschaftlichen Projekt untersucht und auch von der Kirche aufgearbeitet. Dabei richtet sich der Blick auf die geschädigten Personen, die eine Form der Unterstützung oder Entschädigung benötigen, aber auch auf die Frage, inwieweit Kirche und Diakonie als Institution solche Vorkommnisse ermöglicht oder vertuscht haben. Daraus gilt es, als Organisation zu lernen. Es gibt deshalb in der Landeskirche nun Programme und Papiere zur Sensibilisierung und zur Prävention.
Vor zwei Jahren wurde ein pädophiler Heilbronner Kita-Leiter zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
Baisch: Das war auch bei uns der Anlass, das Gesamtsystem zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Wir haben in der Folge die Gesamtleitung unserer Kitas mit einer Doppelspitze aus pädagogischer Leitung und Verwaltungsleitung ausgestattet, in allen Kitas ein intensives Schulungsprogramm installiert. Ich denke, da sind wir jetzt gut aufgestellt.
Wir haben mit Austritten und fehlenden Begründungen begonnen. Nennen Sie uns drei gute Gründe, in der Kirche drinzubleiben?
Baisch: Gerne. Zum einen: Es tut gut, den Glauben in Gemeinschaft zu leben, und das nicht nur in Krisen, sondern auch im Alltag. Da geschieht gegenseitige Ermutigung, und ein gemeinsames Gebet trägt anders als das Gebet alleine, ein gemeinsam gesungenes Lied beflügelt anders als zu Hause allein ein Lied anzustimmen. Ein weiterer Grund: Die Botschaft der Bibel tut unserer Welt, der Gesellschaft, den Menschen zutiefst gut, sie gibt Orientierung und Halt. Es ist wichtig, diese Botschaft zugesprochen zu bekommen und sich nicht selber sagen zu müssen. Ich denke nur daran, wie tief es berührt, gesegnet zu werden. Das fehlt, wenn man sich aus der Kirche verabschiedet.
Aller guten Dinge sind drei.
Baisch: Ja, drittens: Wer in der Kirche ist, trägt die vielen Felder mit, in denen Kirche in der Gesellschaft tätig ist und zum Gemeinwesen beiträgt – von der Kita über die Seelsorge bis hin zur Diakonie, Bildung, Kirchenmusik und hier in Heilbronn den Gaffenberg. Wer der Kirche den Rücken kehrt, trägt all das nicht mehr mit und nimmt in Kauf, dass es so nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Ohne Kirche würde in unserer Gesellschaft viel verloren gehen. Grund genug, drin zu bleiben – oder sogar aktiv mitzumachen.
Zur Person
Christoph Baisch (61)stammt aus Schwäbisch Hall und ist seit 2018 Dekan des Kirchenbezirks Heilbronn und damit zuständig für rund 60 000 evangelische Christen in 25 Kirchengemeinden zwischen Bad Wimpfen, Schluchtern, Untergruppenbach und Ilsfeld.
Aktuelle Kirchenaustritte
Missbrauch , Vertuschung, Diskriminierung von nicht Heterosexuellen: Die katholische Kirche ist denkbar schlecht ins neue Jahr gestartet. Nach den Negativschlagzeilen schnellte die Zahl der Kirchenaustritte auf dem Heilbronner Standesamt im Vergleichszeitraum zwischen 15. Januar und 15. Februar gegenüber dem Vorjahr von 35 auf 63 hoch. Sie hat sich also nahezu verdoppelt. Gleichzeitig stieg die Zahl der Austritt auch in der evangelischen Kirche: von 51 auf 61.