Das Weihnachtsgeschäft im Buchhandel läuft gut - Lesetipps der Redaktion
Eine Umfrage in den Buchhandlungen der Region zeigt: Bücher sind ein Endspurtgeschenk, die Kunden haben wieder Lust zum Stöbern und bleiben länger im Laden. Der Handel ist zufrieden mit dem Weihnachtsgeschäft. Und: Was "Stimme"-Redakteure empfehlen.

In den vergangenen Tagen hat es angezogen, das Weihnachtsgeschäft in den Buchhandlungen der Region. Auch, weil Bücher ein ideales Last-Minute-Geschenk sind. "Wir können noch am 23. Dezember bestellen und bekommen an Heiligabend die Lieferung vom Großhändler", sagt Andreas Stritter von der gleichnamigen Buchhandlung.
Selbst während des Lockdowns "hatten wir nichts zu jammern", sagt der Inhaber von Heilbronns ältestem Buchladen (seit 1688), wo schon Schiller Kunde war. Stritter und seine Mitarbeiter waren täglich erreichbar und haben ausgeliefert, was online und telefonisch bestellt wurde. Was er jetzt spürt: Dass die Großhändler wegen des Papiermangels weniger Neuauflagen nachliefern. Da müssen Buchhändler bei der ersten Bestellung ein Näschen haben, was gut läuft.
Der neue Krimi von Fitzek
"Sehr gut läuft" bei Stritter "Eine Frage der Chemie" von Bonnie Garmus, Dörte Hansens "Zur See", "Mimik" von Krimiautor Sebastian Fitzek, "Die einsame Nacht" von Charlotte Link und "Heilbronner Geheimnisse" von Stefanie Pfäffle, eine Art alternativer Stadtführer.
"Die Menschen stöbern wieder im Laden. Auch Beratung ist gefragt", registriert Juliane Süßmilch, Filialleiterin bei Osiander Heilbronn. Viele bestellen auf der Homepage, "die überwiegende Mehrheit aber kommt ins Geschäft, auch die, die online bestellen, um die Ware persönlich abzuholen". Dabei liefert der stationäre Handel Bücher portofrei nach Hause und Osiander innerhalb der Stadt mit Fahrradkurier.
Die Leute haben wieder Lust zum Verweilen
"Das Leuchten der Rentiere" von Ann-Helén Laestadius ist ein Topseller. Ebenso: "Zur See", der neue Fitzek, "Eine Frage der Chemie" und bei Sachbüchern "Fabelhafte Rebellen" von Andrea Wulf über die frühen Romantiker sowie "Das Licht in uns" von Michelle Obama.
Dass die Leute wieder Lust zum Verweilen haben, freut Nathalie Goede von der Buchhandlung am Markt in Neckarsulm. "Es läuft sehr gut. Von Tag zu Tag besser." Ihre Bestseller: "Eine Frage der Chemie", der Gesellschaftsroman "Dschinns" von Fatma Aydemir, "Zur See", "Als die Welt zerbrach" von John Boyne, "Jahre mit Martha" von Martin Kordic, der grandios die Boshaftigkeiten der deutschen Klassengesellschaft schildert, "Die Kunst des Verschwindens" von Melanie Raabe, "101 Essays, die dein Leben verändern werden" von Brianna Wiest. Schließlich "Das Klima Buch" von Greta Thunberg.
Stammkunden haben die Buchläden stets unterstützt
Sebastian Herz von Passepartout in Bad Rappenau ist "sehr zufrieden". Die Geschäfte laufen auf Vor-Pandemie-Niveau, "wenngleich uns unsere Kunden immer sehr unterstützt haben". Neben "Zur See" sind "Eine Frage der Chemie" und Susanne Abels "Stay away from Gretchen" Topseller. Ferdinand von Schirachs "Nachmittage" verkauft sich gut, Mechthild Borrmanns Roman "Feldpost" zieht an, "Mimik" und Steve Cavanaghs "Fifty Fifty" sind beliebte Krimis.
Bei den Sachbüchern vorn: Margot Käßmanns "Vergebung", "Fabelhafte Rebellen" und der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch "Wir haben es nicht gut gemacht".
Gute Unterhaltung und Abschalter
In der Buchhandlung Rau in Öhringen läuft das Weihnachtsgeschäft "so langsam an", noch sind die Menschen "beim Konsum zurückhaltend", sagt Markus Hassler. Krimis und historische Romane als "gute Unterhaltung" und "Abschalter" sind beliebt, "Eine Frage der Chemie", "Mimik", "Zur See", der neue Klüpfel & Kobr "Die Unverbesserlichen", der in Südfrankreich spielt, Michelle Obama. Und: "Lektionen" vom britischen Starautor Ian McEwan sowie "Heumahd" von Susanne Betz, angesiedelt um 1880.
"Verhalten gut" nennt Karl Knoll das "Weihnachtsgeschäft" und als Gründe hohe Krankenstände und das trübe Wetter. Bonnie Garmus, Charlotte Link, Sebastian Fitzek und Nele Neuhaus sind gefragte Autoren bei Holl & Knoll in Eppingen. Und natürlich der Bildband und Kalender zur Gartenschau von Andreas Petschke.
"Es macht richtig Freude"
"Viel los" ist in den Buchhandlungen von Martina Taube in Brackenheim und Güglingen. "So wie wir es kennen. Es macht richtig Freude." Neben den üblichen Verdächtigen verkauft Taube die historische Fiktion "Ein Garten über der Elbe" von Marion Lagoda, den Thriller "Blutmond" des Norwegers Jo Nesbø, Klüpfel & Kobr und von Susanne Lieder "Astrid Lindgren".
In der Buchhandlung Back in Weinsberg hat das Weihnachtsgeschäft "später eingesetzt und läuft jetzt gut", ist Kristoffer Mauch zuversichtlich. Natürlich sind auch hier die bekannten Topseller gefragt, aber auch Mats Strandbergs Thriller "Die Konferenz", "Der betrunkene Berg" von Heinrich Steinfest über einen Buchladen in 1700 Meter Höhe und "Die spirituelle Seite des Immunsystems" von Volker Fintelmann.
Selbstläufer und "Putins Krieg"
Die überall nachgefragten Titel wie Dörte Hansens "Zur See" oder der neue Sebastian Fitzek stehen auch bei Annegret Harsch in der Buchhandlung Lindenmaier in Künzelsau weit oben auf der Einkaufsliste ihrer Kunden. "Das sind Selbstläufer." Aber auch die Mittelaltersaga "Drachenbanner" von Rebecca Gablé und - "wir leben nun mal in ernsten Zeiten" - "Putins Krieg" der Fernsehjournalistin Katrin Eigendorf. "Wir sind sehr zufrieden, es wird wieder gelesen und verschenkt."
Hintergrund Topseller: "Eine Frage der Chemie" von der US-Amerikanerin Bonnie Garmus, eine humorvolle Fiktion, die Anfang der 60er Jahre spielt, als Frauen noch Hemdblusenkleider trugen, ist der Topseller in der Region, dabei stammt der Titel aus dem Frühjahrsprogramm. Auch der Verband unabhängiger Buchhändler hat ihn zum Lieblingsbuch des Jahres erkoren. Dörte Hansens "Zur See" über eine alteingesessene Insel-Familie, deren Mitglieder komplett nebeneinander her leben, "Mimik" von Krimiautor Sebastian Fitzek, ein Psychothriller über eine Mimikresonanz-Expertin, Michelle Obamas "Das Licht in uns" und "Fabelhafte Rebellen" von Andrea Wulf über die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich sind Verkaufsschlager.
Lesetipps aus der Kulturredaktion:
Claudia Ihlefeld: Im Sommer 1968 gehen in Europa die Studenten auf die Straße und kehrt Aïcha nach ihrem Medizinstudium in Straßburg nach Marokko zurück. Zwischen Moderne und autoritärem Traditionalismus, der Suche nach postkolonialer Identität und brutaler Unterdrückung schildert Leïla Slimani in "Schaut, wie wir tanzen" (Luchterhand, 384 Seiten, 22 Euro) ihre Familiengeschichte. Eine große Erzählerin.
An ein bewegtes Leben in einem nicht näher bestimmten postsowjetischen Land erinnert der einstige Barrikadenpianist Rotsky in seiner fantastischen Radio-Show. Obwohl der Ukrainer Juri Andruchowytsch "Radio Nacht" (Suhrkamp, 472 Seiten, 26 Euro) 2020 geschrieben hat, liest sich das beiläufig aktuell.
Mit eigenen und fremden Fotos hat Godmother of Punk Patti Smith mit "Buch der Tage" (KiWi, 400 Seiten, 32 Euro) einen poetischen Kalender zusammengestellt und jedes Bild mit einem Text versehen. Die 366 Kapitel widmet sie ihren Nächsten: den Lebenden wie den Toten. Wach, witzig, melancholisch.
Nur 15 Jahre hatte die Weimarer Republik Bestand. Das kurze Leben zwischen den Kriegen, so der Untertitel von "Höhenrausch" (Rowohlt, 560 Seiten, 28 Euro), erzählt Harald Jähner als packende Geschichte. Das Ende des Ersten Weltkriegs war nur ein kurzer Sieg der Demokratie.
Ranjo Doering: In "Die Philosophie des modernen Songs" (C.H.Beck, 352 Seiten, 35 Euro) nimmt uns Musiklegende Bob Dylan mit auf eine Reise durch seine Lieblingslieder. Gewohnt exzentrisch legt der Nobelpreisträger eine spannende Essaysammlung in 66 Kapiteln vor.
Ein Antiheld ist der knarzige Privatermittler Simon Brenner, den Wolf Haas im Krimi "Müll" (Hoffmann & Campe, 288 Seiten, 24 Euro) zum neunten Mal von der Leine lässt. Makaber und mit der gewohnten sprachlichen Verknappung geht es dieses Mal um eine Leiche auf einem Wertstoffhof. Ein spannender Fall über Rache und Organhandel.
Coolness trifft auf Wortwitz: Der spannendste Musikact des Jahres kommt von der Isle of Wight. Die Frauen des britischen Indierock-Duos Wet Leg liefern auf ihrem Debüt "Wet Leg" (als CD und Stream) zwölf erfrischende Gitarrensongs mit Ohrwurmpotenzial.
Wer Filme mag, die sich Genrezuschreibungen verweigern, wird "Everything Everywhere All At Once" (DVD, Video on Demand) lieben. Visuell und inszenatorisch überbordend, ist der Film des Regieduos Daniel Scheinert und Daniel Kwan die berührende Geschichte einer Einwandererfamilie, gleichzeitig Martial-Arts-Action- und absurd-komischer Science-Fiction-Streifen. Eine Liebeserklärung ans Kino.
Tanja Ochs: Nicht nur an den Festtagen wird es deutlich: Familie kann man sich nicht aussuchen. Wie schmerzhaft diese Erkenntnis sein kann, beschreibt Andrea Roedig in ihrem Buch "Man kann Müttern nicht trauen" (dtv, 240 Seiten, 20 Euro). Sie schreibt sehr berührend über ihre schwierige Kindheit mit einer meist abwesenden Mutter, schonungslos und poetisch zugleich.
Eine Familiengeschichte ganz anderer Art ist "Via Torino" (Harper Collins, 409 Seiten, 22 Euro). Es geht um drei Frauen und ihre Liebe zu Italien, um sizilianische Pasta, Studentenrevolte, politische und familiäre Verwicklungen. Eine unterhaltsame Mischung.
Das echte Leben in Italien kann allerdings hoffnungslos sein. Über das Aufwachsen in prekären Verhältnissen in einem Vorort von Rom schreibt Giulia Caminito in "Das Wasser des Sees ist niemals süß" (Wagenbach Verlag, 320 Seiten, 26 Euro). Nicht mal Bildung hilft gegen Trostlosigkeit, ihre Herkunft macht die Hauptfigur zur Außenseiterin in beiden Welten. Ein bisschen wie Elena Ferrante, nur konsequenter.
Weltpolitik in große Zusammenhänge setzt "Die Macht der Geographie" (dtv, 352 Seiten, 14 Euro). Tim Marshall erklärt anhand von Karten, wie Geografie Politik beeinflusst, ein durchaus lehrreicher Perspektivwechsel.
Christoph Feil: Wer mit Besinnlichkeit zum Fest nichts anzufangen weiß: Kunsthistoriker Alexander Braun hat mit "Horror im Comic" (Avant Verlag, 456 Seiten, 49 Euro) einen Mix aus Genre-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte vorgelegt. Fans von Bildergeschichten machen bei diesem großformatigen Wälzer Augen.
Kleider schreiben Geschichte, das zeigt "Die Geburt der Mode" von Ulinka Rublack (Klett-Cotta-Verlag, 536 Seiten, 48 Euro). In ihrer "Kulturgeschichte der Renaissance" erzählt die Historikerin von Menschen, die ihre Individualität inszeniert haben. Und damit uns durch Social Media erprobten Selbstdarstellern nahe rücken.
Mit seiner gut 90 Bände umfassenden "Menschlichen Komödie" schrieb Honoré de Balzac ein Sittengemälde des 19. Jahrhunderts. Von Rudolf von Bitter ist nun die frische Übersetzung eines zentralen Stücks des Zyklus" erschienen: "Glanz und Elend der Kurtisanen" (Carl Hanser Verlag, 816 Seiten, 42 Euro).
Als würde Raymond Chandler über die BRD der 80er schreiben: Mit einer Neuedition arbeitet der Diogenes Verlag am literarischen Denkmal für Jörg Fauser. Nun ist aus dem Anlass "Die Tournee" erschienen (288 Seiten, 24 Euro). Obwohl Fragment, ist der Krimi um drei Absteiger im typisch schnodderigen Fauser-Sound gehalten.