"Das bedingungslose Grundeinkommen bedeutet Freiheit"
Jeder bekommt 1000 Euro im Monat und das ein Leben lang. Wäre das nicht schön? Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette DM, kämpft für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens.

Professor Götz Werner kommt pünktlich mit dem Rad zum Termin in ein Stuttgarter Hotel. Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE), bei dem jeder deutsche Bürger lebenslang 1000 Euro pro Monat bekommen soll, ist eine Herzensangelegenheit des Gründers der Drogeriemarktkette DM.
Wenn er erklärt, warum, sagt der gebürtige Kurpfälzer "isch" statt "ich" und "misch" statt "mich". Das macht den 74-Jährigen im Gespräch mit der Heilbronner Stimme sympathisch. Sich auf ihn einzulassen, heißt, bestehende Denkmuster aufzugeben.
Wieso brauchen wir das BGE?
Götz Werner: Die Gesellschaft ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle Menschen würdevoll leben können.
Können Sie das nicht? Wie soll Ihre Idee denn finanziert werden?
Werner: Was bezahlt werden muss, ist, dass Sie leben können. Dass Sie es sich leisten können, nach Stuttgart zu kommen, um Interview und Foto zu kreieren. Das BGE ist die Ermöglichung der Arbeit. Ihre Arbeit selbst ist gar nicht bezahlbar.
Fahrtkosten und Zeit sind durch meinen Arbeitgeber mit meinem Gehalt abgedeckt.
Werner: Arbeit und Einkommen muss man voneinander trennen. Das ist die Kernaussage.
Dann ist ja schon alles gesagt.
Werner: Ihren Lesern muss ein Licht aufgehen. Für Ihre Arbeit werden Sie ja gar nicht bezahlt. Sondern das Einkommen setzt Sie überhaupt in die Lage, das Interview zu führen.
Das klingt kompliziert.
Werner: Da müssen Sie umdenken. Die Menschen haben 300 Jahre gebraucht, um anzuerkennen, dass die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel ist. Wenn Sie ein Unternehmen führen, sehen Sie die Dinge anders. Die DM-Mitarbeiter werden nicht für ihre Arbeit bezahlt. Sie erhalten ein Einkommen dafür, dass sie es sich leisten können, bei DM zu arbeiten.
Geht's nicht ein wenig konkreter?
Werner: Mit welchem Blick schaue ich auf ein Unternehmen? Sage ich, da sind Leute, die wollen Geld verdienen. Oder sage ich, wir geben ihnen die Möglichkeit, in der Gemeinschaft tätig zu werden. Dazu braucht es ein Grundeinkommen.
Wie machen Sie das bei DM-Mitarbeitern?
Werner: Wir haben eine Einkommensvereinbarung, die sie in die Lage versetzt, bei uns arbeiten zu können.
Die ist aber nicht höher als die Einkommensvereinbarung von Mitbewerbern?
Werner: Nein, weil sonst müssten Kunden bei uns ja höhere Preise bezahlen.
Wie wollen Sie das den Menschen erklären?
Werner: Was es braucht, ist ein Bewusstsein für das Ganze. In der Komplexität der heutigen Arbeitswelt muss man schauen, dass man den Durchblick behält. Vergessen Sie Arbeitszeit und Freizeit. Es ist immer Lebenszeit. Und was interessant ist: Nicht nur der betroffene Mitarbeiter sagt, ja, das stimmt. Auch der Vorgesetzte hat es plötzlich mit einem Menschen zu tun, über dessen Lebenszeit er verfügt.
Über die Lebenszeit eines anderen zu verfügen, bedeutet Verantwortung.
Werner: Und Grundeinkommen bedeutet Freiheit. Der Vorgesetzte ist plötzlich auf Augenhöhe. Er weiß, dass Sie auch ohne ihn leben können. Das BGE versetzt Sie in die Lage, Nein sagen zu können.
Kann ich doch jetzt schon.
Werner: Nein. Wenn der Chef Sie entlässt, kann Sie das aus der Bahn werfen.
Zunächst fängt mich das soziale Netz auf.
Werner: Das soziale Netz geht ja schon in die Richtung eines Grundeinkommens. Aber die Idee vom BGE ist, dass jeder bescheiden, aber menschenwürdig leben kann auch ohne Arbeitsplatz. Das ist die Regelung, die dazu führt, dass Sie frei sind. Die Gemeinschaft verbürgt sich.
So frei sind wir doch gar nicht.
Werner: Deshalb ist das BGE bedingungslos.
Dann nochmals die Frage: Wer bezahlt das?
Werner: Es ist doch schon bezahlt, wir müssen unsere Geldströme nur passend regeln. Die Gemeinschaft stellt durch Steuern die soziale Infrastruktur - und dazu gehört das BGE - zu Verfügung.
Was heißt das konkret?
Werner: Wir leben nicht von den Geldscheinen. Heute wird doch schon alles produziert. Wir leben von den Gütern und Dienstleistungen, die andere Menschen für uns erzeugen. Die Güter sind schon da. Wir leben buchstäblich im Überfluss.
Was glauben Sie, wie viele Menschen tun nicht das, was sie am besten können?
Werner: Mehr als man denkt. Wie viele Menschen sagen: Wenn ich mal pensioniert bin, kann ich machen, was ich will.
Wonach strebt der Mensch?
Werner: Nach Veränderung im Sinne von Verbesserung, es geht also um Entwicklung. Das Tier ist ein determiniertes Reiz-Reaktionswesen. Und der Mensch ist ein ergebnisoffenes Entwicklungswesen.
Haben Sie immer das getan, von dem Sie glauben, dass Sie es am besten können?
Werner: Zumindest das, was ich wollte. Ob ich es am besten konnte, ist eine andere Frage.
Sie haben 1973 Ihren ersten Drogeriemarkt in Karlsruhe eröffnet. Wie kam es dazu?
Werner: Ich war Prokurist bei der Drogeriekette Idro. Ach ja, die Drogerie Lichdi, die kam ja aus Heilbronn, die haben wir auch betrieben. Nun: Ich habe meinen Vorgesetzten empfohlen, das Geschäftsmodell zu ändern, weil wir sonst pleitegehen. Das wollten die Geschäftsführer nicht wahrhaben und haben mich rausgeschmissen. Danach habe ich mich selbständig gemacht und Drogerieartikel verkauft. Ich konnte nichts anderes.
Und wie lief es anfangs?
Werner: Am Anfang haben wir drei, vier Filialen pro Woche aufgemacht. Mir ist bewusst geworden, dass ich der Frau im Vorstellungsgespräch klar machen muss: Es ist das Beste, bei DM anzufangen.
Hat sich ja gut entwickelt. DM hat europaweit knapp 60.000 Mitarbeiter.
Werner: (lacht) Hätte schlechter laufen können.
Wenn das BGE morgen käme, wie würde sich Deutschland verändern?
Werner: Das wäre ein Schock. Grundeinkommen heißt: Sie haben keine Ausrede mehr. Wir neigen dazu, es uns in Opferrollen bequem zu machen. Sie müssten sich plötzlich fragen: Was will ich denn wirklich, was ist denn meins? Was will ich unterstützen? Wir bekämen vielleicht eine Gesellschaft, mit der wir uns identifizieren können.
Klingt nach einer idealen Welt.
Werner: Stellen Sie sich vor, Sie haben es nur noch mit Menschen zu tun, die Dinge machen, weil sie es wollen und nicht, weil sie sollen. Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau sagte: Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will.
Ihre Idee vom BGE lautet: 1000 Euro pro Monat für jeden von der Wiege bis zur Bahre. Ein 18-Jähriger hätte rein rechnerisch rund 220.000 Euro auf dem Konto.
Werner: Nein, denn auch ein Kind benötigt ein Einkommen für Essen, Kleidung, Kindergarten, Schule, Hobbys, Ausbildung, Studium und so weiter. Andere Versorgungssysteme wie Kindergeld oder Kinderfreibeträge würden mit einem Grundeinkommen wegfallen. Man muss umdenken. Und das braucht Zeit.
Wie lange?
Werner: Es ist eine Frage der Entwicklung. Entwicklung passiert schubweise und überraschend. Das ist etwas, das viele Menschen als bedrohlich empfinden. Dass sie nicht wissen, wann was erfolgt. Und plötzlich ist es da.
Was war für Sie der Auslöser, sich mit dem BGE zu befassen?
Werner: Ich habe mich mit dem Phänomen der Mehrwertsteuer beschäftigt. Steuern, die man als Unternehmer abführen muss, kalkuliert man in die Preise ein. Das war für mich ein Urerlebnis.
Ist das BGE ein Luxusproblem?
Werner: Gute Frage. Wir beschweren uns auf einem hohen Niveau.
Wenn es das BGE vor 50 Jahren gegeben hätte, was hätten Sie daraus gemacht?
Werner: Kann ich nicht sagen. Viele Biographien wären anders verlaufen. Man lebt das Leben nach vorne und versteht es nach hinten.
Zur Person
Götz Werner kommt 1944 in Heidelberg auf die Welt. Schon Vater und Großvater sind Drogisten. 1973 eröffnet er den ersten Drogeriemarkt, abgekürzt DM, in Karlsruhe. Als Nachfolger von Reinhold Würth wird er im Jahr 2003 zum Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Werner sitzt im Aufsichtsrat von Peek und Cloppenburg und ist Mehrheitseigner des Wirtschaftsmagazins "Brand eins". Er ist in zweiter Ehe verheiratet, hat sieben Kinder und lebt in Stuttgart.
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